Schattenmelodie

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Tristan weiß das es nur dreißig Stufen sind, bis der Schatten sie entdecken würde und eine unglaubliche Angst überkommt ihn.

Er lässt das Schwert zu seinen Füßen liegen, schnappt sich die Hand seiner Schwester und zieht sie vom Geländer weg. Hektisch sieht er sich um. Zum Elternschlafzimmer würden sie noch etwa zehn Schritte laufen müssen, er würde sie sicher entdecken, wenn sie an der Treppe vorbei liefen.

Kurzerhand dreht er sich um und zieht den Wandschrank auf.

Es ist ein altes Haus, in dem die Familie Odin wohnt und die beiden Kinder haben hier schon unzählige Male verstecken gespielt, deshalb weiß Tristan, dass der Wandschrank eines der besten Verstecke ist.

Die Türen heben sich farblich kaum von der Wand ab und der Türknopf ist nur zu spüren, wenn man mit den Fingern darüber streicht.

Gerade rechtzeitig schließt Tristan den Schrank hinter sich und seiner Schwester. Vollkommen lautlos fallen die Türen hinter ihnen zu.

Der Schatten tritt gerade über die letzte Stufe hinweg in den ersten Stock. Sein Blick gleitet über die vielen glücklichen Familienbilder, die Reihenweise an der Wänden hängen.

Zufrieden lächelt er in sich hinein. Wieder einmal ist seine Wahl brillant. Auf leisen Sohlen schreitet er an Zimmer für Zimmer vorbei.

Er kommt und geht, niemand wird ihn sehen und die, die es tun würden kurze Zeit später ihr erbärmliches Leben aushauchen. Durch seine Hand.

Tristan legt Trisha eine Hand über den Mund. In dem kleinen Raum kann er jetzt nur noch seinen eigenen Atem hören und hält ihn an.

Durch den kleinen schmalen Spalt kann er sehen, wie jemand an der Tür vorbei huscht. Jetzt ist es mucks Mäuschen Still im Haus. Tristan will schon aufatmen, da kommt der Schatten zurück und geht ein weiteres Mal an dem Schrank vorbei, ohne ihn seine Aufmerksamkeit zu schenken.

Tristans Hand, ist nass, da Trishas Tränen unaufhörlich auf seine Haut tropfen.
„Shht. Ist ja gut." Flüstere er so leise, wie er kann. Doch seine Schwester schluchzt leise auf und Tristan rüttelt sie. „Trish, du musst leise sein! Sonst hört uns der Mann. Und dann tut er uns weh."

Er wartet geduldig, bis Trishas Tränenfluss versiegt ist und nur noch ihre krampfhaften Atemzüge zu hören sind. Zögerlich löst er die Hand von ihrem Mund. Wenn sie jetzt schreit sind sie geliefert, doch sie bleibt ruhig.

Trisha hört das vertraute knarrende Geräusch der Bodendiele, die zu dem Zimmer ihrer Eltern führt. Wie oft war sie bei Gewittern schon über diese gelaufen? Sie kann sich nicht erinnert, auf jeden Fall viele Male.

Zu diesem Zeitpunkt weiß sie noch nicht, dass sie nie wieder vor Angst in das Bett ihrer Eltern springen wird.

Verdammt! Warum hat er sich auch so ein altes Haus aussuchen müssen. Jede Diele biegt sich unter seinem Gewicht und macht ächtzende Geräusche. Er versucht möglichst leise die Tür auf zustoßen.

Da liegen sie. Jonathan und Marie-Ann Odin. Friedlich schlafend, heben sich ihre Oberkörper in einem friedlichen Rhythmus auf und ab. Ach, wie wundervoll.


Man könnte meinen der Gesichtsausdruck des Schattens, würde Liebe, ja sogar Zuneigung ausdrücke, doch in ihm steckt kein Herz, das solche Gefühle, empfinden könnte. In seiner Brust ist ein tiefes schwarzes Loch, nur auszufüllen, durch den Gedanken Tod zu bringen. Leben in der Hand zu haben und es zu zerdrücken.

Gemächlich tänzelt er auf die Mutter der beiden Kinder zu, die immer noch versteckt im Wandschrank auf ihr Schicksal warten.

Der Schatten streicht ihr eine Strähne aus dem Gesicht, ohne ihre Haut wirklich zu berühren. Er geht in die Hocke und betrachtet ihre Züge, die von dem schwachen Mondlicht angestrahlt werden.

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