Park

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„Weg von dir", teile ich Harry über die Schulter mit, während ich mich aus seinem Griff losreiße. Mit schnellen Schritten bewege ich mich über den Kiesweg, mein Ziel ist es, so bald wie möglich aus dieser Klinik zu verschwinden. Doch wieder höre ich, wie mir jemand folgt und wenig später höre ich seine Stimme: „Wieso willst du mich verlassen?"

Abrupt bleibe ich wutentbrannt stehen und wirbele zu ihm herum. „Weil ich es nicht mehr aushalte, bei dir zu sein!", schreie ich ihn voller Zorn an, einzelne Tränen rollen meine Wangen hinunter. Harry befindet sich einige Schritte von mir entfernt, sein Mund leicht geöffnet, als würde er etwas sagen wollen.

„Aber ich brauche dich.", stößt er schließlich heraus und will auf mich zugehen, doch ich weiche schnell einige Schritte zurück, um die Distanz zwischen uns zu vergrößern. Er wiederholt den Satz, dieses Mal etwas lauter und stampft mit einem Fuß auf den Boden, um seinen Worten Ausdruck zu verleihen. „Du kannst mich nicht einfach so verlassen, nach all den Höhen und Tiefen, die wir durchgemacht haben. Unsere Verbindung viel zu stark, um einfach so getrennt zu werden.", setzt Harry fort und zieht schön langsam alle Aufmerksamkeit auf uns. Zahlreiche Patienten und deren Betreuer schauen uns neugierig an, als wären wir für sie eine überdramatische, spanische Seifenoper.

Doch mir ist das in diesem Moment egal, das Einzige, das für mich wichtig ist, ist Harry. „Ich denke, dass du vergisst, wie oft ich den Mist, den du dir eingebrockt hast, wieder ausbaden musste. Meistens, weil du zu feig dafür warst, für deine Fehler zu stehen. Im Gegenzug hast du mir zwar immer die Liebe und Aufmerksamkeit geschenkt, die ich brauche, aber schön langsam kann ich nicht mehr. Ich bin am Ende.", erkläre ich und zeige mit einem Finger auf ihn. Ich gehe langsam auf ihn zu und raune: „Du hältst mich für dumm, stimmt's?"

„Wie kommst du darauf? Ich würde niemals so von dir denken.", leugnet Harry kopfschüttelnd. Ich lache sarkastisch auf und da ich nun direkt vor ihm stehe, drücke ich die Kuppe meines Zeigefingers in seine Brust und sage: „Glaubst du, ich hätte nicht irgendwann herausbekommen, wie schlecht dein mentaler Zustand eigentlich ist, abgesehen von deinem Trauma?" „Wie gesagt, ich dachte, dass du mich deswegen verlassen würdest und das hätte ich nicht überlebt.", murmelt Harry, sein Gesicht wendet sich dem Boden zu.

Ich kann sehen, wie sich Tränen ihren Weg in seine Augenwinkel bahnen und langsam über seine Wangen rollen. Er ballt die Hände zu Fäusten und blickt schlagartig wieder nach oben. Sein Gesichtsausdruck verängstigt mich, da er so wütend und aggressiv aussieht, als er raunt: „Du darfst dich nicht von mir trennen. Sonst ..." „Sonst was, Harry?", zische ich und verenge meine Augen zu Schlitzen. Auf eine Antwort wartend trete ich wieder einen Schritt zurück, um einen gewissen Abstand zwischen uns zu wahren.

„Wenn du nicht bei mir bist, sollst du bei niemandem sein.", flüstert er, mit seiner Tonlage verursacht er bei mir Gänsehaut auf dem ganzen Körper. Dieses Mal klingt Harry so, als würde er es ernst meinen, so sehr sogar, dass er sofort bereit dazu wäre, seine Worte in Taten umzusetzen.

Ich schüttele meinen Kopf und wische die Tränen, die sich unbemerkt ihren Weg über meine Wangen gebahnt haben, mit dem Handrücken weg und versuche möglichst stark zu klingen, auch, wenn ich innerlich kurz vor dem endgültigen Zusammenbruch stehe: „Versuche ja nicht, mir auch nur auf irgendeine Art und Weise zu drohen. Hast du schon vergessen, dass du hier eingesperrt bist und ich nicht?" „Hast du schon vergessen, dass du bald schwören willst, bei mir zu bleiben, bis der Tod uns scheidet? Dass du mich heiraten willst, weil du mich liebst?", kontert Harry so laut, dass nun jeder in diesem Park uns ansieht, gespannt, was als nächstes passieren wird.

„Ich habe nie gesagt, dass ich dich nicht heiraten will! Nur so, wie du dich in letzter Zeit verhältst, bist du nicht mehr der Harry, in den ich mich verliebt habe. Du bist nicht mehr der Harry, mit dem man mitten in der Nacht einen Flug irgendwohin buchen kann und einfach für ein paar Tage verschwinden kann. In meinen Augen bist du unberechenbar, stellst eine Gefahr für mein Leben dar. Stelle dir doch einmal vor, wie unsere Kinder aufwachsen würden, wenn du immer wieder, ganz unerwartet, durchdrehst!", schreie ich in der selben Lautstärke zurück.

Schön langsam wird mir diese Auseinandersetzung zu viel und ich würde am liebsten einfach nur mehr aus der Klinik flüchten. Mich in mein Auto setzen, eine Flasche Tequila, oder doch gleich zwei, kaufen und mich im Garten unseres Hauses antrinken. Denn auch, wenn ich weiß, dass Alkohol absolut gar keine Lösung für dieses Problem ist, möchte ich einfach nur für ein paar Stunden Harry vergessen, ohne, dass ich ihn hintergehe.

Harry holt mich schnell aus meinen Gedanken zurück, indem er mich an den Schultern packt, so fest, dass ich vor Schmerzen aufkeuche. „Ich bin noch immer derselbe, du siehst es nur nicht. Ich bin noch immer derjenige, der dich vor dem Hungertod gerettet hat und erst nach einer Wette seine Gefühle für dich offenbart hat. Mach doch endlich die Augen auf und merke, dass ich noch immer Harry bin.", redet er eindringlich auf mich ein, die ganze Zeit liegt sein Blick auf mir.

Ich drücke mir mit meinen Fingern auf die Schläfen, um die Kopfschmerzen, die ich durch das ganze Problem gekriegt habe, zu mildern und drücke die Augen fest zu. Wieder dringt seine Stimme zu mir durch: „Ich bin noch immer derjenige, der dich liebt und braucht."

„Vielleicht ist es an der Zeit, dass du endlich deine Augen aufmachst und wieder zurück in die Realität kommst. Lasse dich doch endlich um deine Familie trauern, erzähle der Polizei, wer der Mörder ist! Du kannst nicht ewig mit deinen Gedanken in dieser einen Nacht sein, das zerstört dich.", kontere ich, woraufhin Harry mit einem verletzten Gesichtsausdruck einen Schritt nach hinten tritt. Er zeigt mit einem Zeigefinger auf mich und zischt: „Du kannst leicht darüber reden, mir sagen, was ich machen soll. Du hast aber auch nicht diese Nacht miterlebt."

Ich schüttele wegen seiner Sturheit meinen Kopf und wende mich von ihm ab. „Ich werde dich erst wieder besuchen kommen, wenn du dich der Realität stellst. Bis dahin vergesse nicht, dass ich dich liebe und ich trotz allem zu dir halte. Tschüss, Harry.", teile ich ihm mit und lasse ihn dieses Mal endgültig hinter mir.

Frozen / h.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt