Ich starrte auf die weit entfernten Zielscheiben, sie waren nur durch eine lange Wiese von mir getrennt. Als ich mich umdrehte um zurück zum Haus zu gehen, sah ich wie ein großgewachsener, kräftiger, junger Mann auf mich zu kam. Seine Harre waren dunkelbraun und seine Augen so grün wie die Bäume hinter ihm. Als er mich erreichte blieb er stehen und kniete sich hin um mir in die Augen sehen zu können. "Angel süße, wo ist dein Bogen?" Er fragte sanft und behutsam ohne auch nur ein Anzeichen von böser Vorahnung. Ohne ein Wort zeigte ich hinter mich in Richtung Zielscheiben, eine Träne rann über meine Wange. Auch er sah traurig aus, jedoch nicht wütend. Er stand stillschweigend auf, nahm mich auf den Arm und lief langsam auf den Bogen zu. Ich grub meinen Kopf in seine Schulter und wartete auf irgendeine Reaktion, doch nichts passierte als er sich bückte und den Bogen betrachtete. Er setzte mich auf den Boden, in das nasse Gras und sah mich Stirnrunzelnd an. Doch dann lies er sich auf den Boden sinken und legte sich ins Gras, als wäre ich nicht mehr da. Er schaute nur stur in den Himmel. "Daddy?", meine zierliche Stimme zerriss die Stille, doch er schaute nicht zu mir, er fing nur plötzlich an zu lachen:"Als ich in deinem Alter war, habe ich genau dasselbe getan." Verwirrt schaute ich ihn an. "Du hast deinen Bogen zerstört? Warum? Du bist der beste Bogenschütze den ich kenne!" Ein lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. "Ob du es glaubst oder nicht, Bogen schießen war nie meine Stärke. Einmal habe ich ihn sogar in den See geschmissen." Davon hatte ich keine Ahnung, in meinen Augen konnte er schon immer schießen.
"Jedoch hat mein Vater mich immer angeschrien, anstatt mir beizubringen wie man richtig schießt. Alles was ich kann habe ich mir selbst beigebracht." Wieder lachte er. "Willst du auch alles alleine lernen oder soll ich dir helfen?" Klar wollte ich, dass er mir half, aber das sagte ich ihm nicht. Ich stand auf, griff nach seinem Arm und zerrte ihn wieder in Richtung Haus. "Komm ich brauch einen neuen Bogen!"
Er schmunzelte. "Solches Selbstvertrauen und so einen Willen hatte ich mit 5 Jahren allerdings noch nicht." Ich lächelte ihn stolz an, bevor ich mich umdrehte und davon rannte. Jedoch war es von vorne herein klar, dass er mich einholen würde. Als es soweit war, packte er mich an der Hüfte und hob mich auf seine Schultern. "Was für einen Bogen hätte die Dame denn gerne? Leider hast du gerade die letzte Minivariante zerbrochen aber ich hätte noch 'nen pinken." Neckte er mich. "Ihh, nicht Pink!", kreischte ich. "Okay, dann Braun oder Schwarz?", er zeigte auf einen Ständer mit vielen verschiedenen Bögen. "Den da!", ich zeigte auf einen dunkelbraunen Bogen mit schwarzen Steinen darauf, er zog mich irgendwie an. Langsam versuchte ich mich auf seinen Schultern aufzurichten und sprang dann ab. "Angel!" Meine Mutter kam gerade aus dem Haus auf und zu. "Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst nicht aus so einer Höhe runterspringen?!" Ich sah meinen Vater an und er mich, dann fingen wir beide an zu lachen. "Beruhige dich mein Schatz, Angel lebt ja noch und du kannst diesen Stress gerade nicht gebrauchen." Er legte seine Hand behutsam auf ihren Bauch. Jetzt lächelte auch sie. "Ehm bekomm ich jetzt meinen Bogen?" Schon wieder zerstörte ich den Moment, doch ich wollte meinen Bogen, also schaute ich sie erwartungsvoll und unschuldig an. "Okay Schätzchen, hol ihn dir.", mein Vater küsste meine Mutter noch einmal und kam dann wieder auf mich zu, doch ich war schon am Bogenständer angelangt und versuchte meinen Bogen irgendwie da raus zu bekommen. Chancenlos. Mein Vater griff über mich hinweg und zog ihn aus dem Ständer. "Komm ich zeig dir wie du ihn halten musst." Circa 40 Meter vor den Zielscheiben blieben wir stehen, er drückte mir den Bogen und einen Pfeil in die Hände und stellte sich hinter mich. "Spann den Bogen mal an, aber schieß noch nicht!" Ich spannte den Bogen an, so weit wie ich es schaffte, doch besonders stark war ich nicht. "Hmm, okay warte." Er hielt nun meine Hände in seinen, so dass ich von seinen Armen umgeben war, und spannte den Bogen weiter an. "Gleich lässt du los und schießt hoffentlich auf die Scheibe, aber zielen nicht vergessen!" Ich nickte und versuchte den Pfeil auf die Zielscheibe zu richten auf die ich schießen mochte und ließ los. Meine Mutter kreischte laut auf und als ich mich zu ihr drehte, sah ich wie sie auf den Boden sank. Mein Vater rannte schnell auf sie zu. Alles geschah wie in Zeitlupe, hatte ich sie etwa getroffen? Ich drehte mich wieder zur Zielscheibe. Nein, der Pfeil steckte in der Mitte einer der Zielscheiben. "Geh ins Haus Angel und bring Decken ins Schlafzimmer!", rief er mir zu als er versuchte meine Mutter, ohne ihr wehzutun, ins Haus zu tragen. Ich rannte ins Haus und suchte alle Decken zusammen, die ich finden konnte. Als ich dann ins Schlafzimmer ging, um sie abzulegen, lag meine Mutter laut atmend auf dem Bet, mein Vater saß neben ihr auf einem Stuhl und hielt ihre Hand. "Danke Angel, leg die Decken auf den Stuhl und warte dann draußen, wir holen dich wenn es vorbei ist." Ich nickte nur, ging schweigend raus und schloß die Tür hinter mir. Doch dann blieb ich vor der Tür stehen und lauschte. "Marian, wir haben keinen Seelenfänger, wer soll das Kind zum Baum bringen, wir dürfen es als Eltern nicht tun!" Ich spürte schon fast die angespannte Atmosphäre. "Ich weiß es nicht Andrew aber wir müssen schnell jemanden finden, denn es lässt nicht mehr lange auf sich warten." Wieder hörte ich sie weinen und stönen. Ich wollte rein gehen und irgendetwas tun um ihr zu helfen, aber ich wusste, dass ich es nicht konnte, also ließ ich mich langsam gegen die Tür sinken und blieb sitzen bis ich meine Mutter wieder aufschreien hörte. Sie schrie so laut, dass selbst die ermutigenden Sprüche meines Vaters unterzugehen schienen. Doch dann hörte sie auf zu schreien und ein anderes Geräusch durchzog das Haus. Das Weinen eines Babys.
Meine Mutter lachte und weinte vor Freude bis ihr wieder etwas einfiel. "Hast du dich für jemanden entschieden?" Sie hörte sich hoffnungsvoll an. "Marian, es gibt nur eine Person die infrage kommt." "Und was ist wenn sie es nicht schafft? Das würde ich mir niemals verzeihen." "Sie kann das und sie wird es schaffen, mach dir keine Sorgen." Ich hörte Schritte und dann ging die Tür auf. "Angel, kleine komm rein, wir müssen dir jemanden vorstellen." Meine Mutter sah mich vertraut an und ich ging auf sie zu. In ihren Armen lag ein schlafendes Kind. "Mommy? Wer bringt sie zum Seelenbaum?" Nun schauten sich meine Eltern in die Augen und mein Vater war der erste der seine Stimme wiederfand. "Wir dachten dabei an dich." Ich hatte es schon geahnt, aber ich hatte gehofft, dass nicht ich diese Verantwortung tragen musste. Aber ich nickte trotzdem, denn ich wusste, dass niemand anderes da war um es zu tun. Meine Mutter küsste das Baby einmal auf die Stirn und reichte es dann meinem Vater. "Komm mit zur Tür." Ich schaute meine Mutter an und ging dann hinter ihm her. An der Haustür angelangt, blieb er stehen und öffnete sie. Dahinter trennte nur ein schmaler Feldweg uns von einem riesigen Wald. Das nächste Haus das ich sah, war auf der anderen Wegseite viel weiter rechts als unseres, ich musste also nach links. "Okay, du musst nach links rennen, aber die genaue Wegbeschreibung kenne ich nicht."
Misstrauisch sah ich ihn an. "Daddy ich hab keine Ahnung wo ich hin muss, ich war noch nie dort."
"Doch, du warst am Tag deiner Geburt dort. Du wirst wissen wo lang du musst, ich verspreche es dir."
Ich vertraute der Sache nicht ganz, aber ich nahm das Baby vorsichtig entgegen, als er es mir reichte.
"Gut, wenn du die Türschwelle übertrittst, hast du circa 5 Minuten zeit, also beeile dich. Du schaffst das." Er küsste mich auf die Stirn und ging dann einen Schritt zurück. Ein letztes mal sah ich nach rechts bevor ich die Türschwelle übertrat und nach links rannte.
Ohne zu wissen wo lang ich musste, rannte ich einfach in die Richtung in die es mich zog. Es war als wüsste ich wo lang ich musste, aber ich konnte mich an keinen Anblick erinnern. Jeder einzelne Baum schien anders auszusehen aber keiner war mir bekannt.
Ich wusste nicht wie lang ich schon rannte, aber ich durfte nicht zu spät kommen, deshalb versuchte ich noch schneller zu rennen. Plötzlich hörte ich eine ruhige Stimme in meinem Kopf "Eine Minute." Auf meinen Wunsch wurde mir tatsächlich die Zeit gesagt, aber das stellte mich nur unter noch mehr Stress.
"Renn weiter.", sagte ich mir selbst immer wieder, denn ich würde es nicht mehr lange aushalten. Doch dann erkannte ich in der Ferne eine Lichtung , in deren Mitte ein riesiger Baum auf mich wartete.
"Zehn Sekunden.", die Stimme wurde lauter, doch ich ignorierte sie. Der Baum kam immer näher.
"Fünf Sekunden." Noch ein paar Schritte trennten mich von ihm.
Um die großen Wurzeln des Baumes war eine Art Teich, jedoch war sein Wasser Eisblau sodass es schon fast Weiß schien.
Ich warf mich vor das Wasser und sah hinein. "Zwei Sekunden." Was sollte ich hier tun? "Eine Sekunde." Einfach aus Instinkt und Verwirrung legte ich das Baby vorsichtig ins Wasser. Es ertönte ein Geräusch in meinem Kopf und eine weiße Rauchwolke zog aus dem Inneren des Baumes heraus. Sie kam direkt auf mich zu.
Hatte ich etwas falsch gemacht? Die Wolke kam immer näher und drang in meine Arme ein. Es fühlte sich wie eine sanfte Berührung einer Hand an.
Immer noch halb unter Wasser, lag das Baby in meinen Armen, doch es rührte sich nicht.
Meine Arme wurden wärmer und fingen an weiß zu glühen. Es war wunderschön, doch es verunsicherte mich, was passierte hier? Das Glühen wanderte langsam von meinen Armen in meine Hände und dann in das Kind. Es war so klein, das es komplett, von oben bis unten leuchtete.
Als das Leuchten erlosch, erschien wieder die Stimme. "Irea Greyst, Waldläufer gegen Theo Sanders, Waldläufer." Irea öffnete ihre Augen, sie lebte. Langsam blickte ich in den Nachthimmel, jemand anders hatte sein Leben verloren und seine Seele an Irea abgegeben.
Als ich Schritte hörte, schaute ich wieder nach unten. Ein Junge in schwarzen Klamotten und in etwa meinem Alter, rannte mit einem Kind im Arm auf den Baum zu. Er kam aus einem Teil des Waldes in dem ich nie zuvor war. Der Teil aus dem er kam schien düsterer zu sein als alle anderen Teile. Er musste ein Schattenläufer sein. Seine Augen leuchteten in einem gräulichen Rot und Schwarz. Sie schienen unergründlich tief und verschlossen und doch wirkten sie verletzlich.
Mittlerweile saß auch er einige Meter entfernt von mir am Wasser, seine Arme waren tief im Wasser versunken.
An seinem Ausdruck war zu erkennen, dass er schnell genug war. Ich war plötzlich erleichtert, auch wenn ich ihn nicht kannte, doch als er aufblickte und mich anlächelte, konnte ich nicht anders.
Als mein Blick wieder zu Irea ging, realisierte ich zum Ersten mal, dass ich eine kleine Schwester hatte und dieser gerade das Leben ermöglicht hatte. Eine Welle von Glücksgefühlen erfüllte mich und ich war unendlich stolz.
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Seelenfänger
FantasyAngel lebt in einer Welt in der das Leben eines Kindes von deren Seelenfängern abhängt. Seelen werden Menschen genommen und Kindern gegeben, aber was passiert wenn sie nur genommen werden? Auch Zwillingsseelen soll es geben aber was bedeutet das f...