Bevor ich die Haustür öffnete, blieb ich stehen und lehnte meinen Kopf an die Tür. Warum hatte ich zurück geschaut? Warum ist es so schlimm, dass er mich gesehen hat? Warum sollte ich so schnell gehen und woher kannte ich den Jungen? So viele Fragen auf die ich keine Antwort wusste.
Die Tür flog auf und ich direkt hinterher, direkt gegen einen großen Mann. "Angel? Wo warst du? Ich dachte du bist oben." Ohne Antwort zu geben, versuchte ich mich an ihm vorbei zu quetschen, doch er war zu stark.
"Angel, ich rede mit dir." Er schien nicht wütend. "Ich war im Wald." "Hmm." Er war nicht mit der Antwort einverstanden, dennoch machte er mir den Weg frei. "Danke Dad."
Drinnen roch es nach Essen, Essen welches mich noch hungriger machte als ich es eh schon war, und es veranlasste mich ins Esszimmer zu gehen. Auf dem Tisch stand ein Schweinebraten und Kartoffeln. Typisch für einen Freitag und doch hatte ich nicht damit gerechnet. Als ich vom Essen aufblickte, drehte sich mein Vater gerade um. "Wo ist Irea?" Meine Stimme klang erstaunlicherweise klar, obwohl mein Hals komplett ausgetrocknet war. Ich griff nach einem Saft und öffnete den Verschluss. "Draußen, sie schießt." Trinkend lief ich zur Hintertür und lehnte mich an den Rahmen. Irea schoss schnell und gut, jeder Schuss war ein Treffer. Sie war besser als ich. Selbst die Hilfe unseres Vaters hatte sie nicht gebraucht, doch es wunderte mich nicht, dies war eigentlich normal für Waldläufer. Aber ich kam mehr nach meinem Vater, der nie eine richtige Erziehung hatte und sein Talent nicht ausreichend üben konnte, Irea kam nach unserer Mutter und konnte es besser. Eigentlich war es ein Grund neidisch zu sein, doch ich war es nicht, ich gönnte es ihr. Für was sie es verdient hatte wusste ich nicht, aber ich spürte eine starke Bindung zu ihr.
"Angel, hol deine Schwester, es gibt essen." Auch wenn mein Magen vor Hunger schmerzte hatte ich im Moment nicht den Nerv und die Lust dazu mit meiner Familie am Tisch zu sitzen. Ich wollte nur noch schlafen. Meine Gedanken ordnen und mir bewusst werden was passiert war. "Irea, komm rein!"
Sie kam nicht rein. Natürlich nicht, warum sollte sie es mir auch leicht machen. Also ging ich auf sie zu. "Irea, ich weiß, dass du mich hörst." Das Gras raschelte unter meinen Schritten. "Irea?" Sie hört mich. "Lass mich, ich habe keinen Hunger." Sie log, sie hatte immer Hunger und sie aß auch viel, doch sie war sogar dünner als ich.
Meine Schritte wurden schneller und meine Hand berührte ihre Schulter. "Bitte lass mich einfach in Ruhe." Ihre Stimme bebte. "Schau mich an wenn ich mit dir rede!" Keine Reaktion. "Irea?" Erfolglos versuchte ich sie umzudrehen. Okay wenn sie es nicht anders wollte. Ich hob sie hoch und drehte sie in meinen Armen zu mir. Zappelnd und protestierend wendete sie ihren Kopf ab. "Irea schau mich an!" Langsam wurde ich ungeduldig.
Zögernd sah sie mich an und ich erkannte eine kleine, aber tiefe Wunde über ihrer linken Augenbraue. "Was ist passiert?" "Ich weiß es nicht! Ich bin aufgewacht und spürte diese Wunde." Die Wunde fiel kaum auf und würde schon bald zu einer Narbe verblassen. Warum war sie also so gereizt? "Irea sag mir die Wahrheit, ich weiß, dass du mehr weißt." Sie laß viel mehr als ich, sie musste also mehr wissen, sonst hätte sie uns die Wunde schon längst gezeigt. "Ich weiß nicht mehr, ich weiß nur, dass du mir wehtust. Lass mich jetzt los!" In meiner Aufregung hatte ich gar nicht bemerkt, dass ich fester zugedrückt hatte. "Entschuldigung." "Sag Mom und Dad bitte nichts, ich geh jetzt hoch in mein Zimmer, sag ihnen mir wäre schlecht oder so." Ohne auf eine Antwort zu warten, ging sie aufs Haus zu. Ich blieb noch ein bisschen stehen. Warum wollte sie es unseren Eltern nicht zeigen?
Es sah doch nicht schlimm aus.
Beim Essen fiel mir wieder etwas ein und reflexartig blickte ich auf. Tatsächlich, auch Mom und Dad hatten solche Narben über den Augenbrauen. Dad hatte sie über beiden Augenbrauen und Mom nur über der Rechten. Soweit ich weiß, hatte ich keine Narbe, warum also alle anderen? "Warum isst du nichts?" Mom machte sich mal wieder Sorgen. Alles war in letzter Zeit so komisch.
"Dad? Was bedeuten diese Narben?", verwirrt und verwundert blickte er auf. "Ich meine die über deinen Augenbrauen." "Man bekommt sie wenn..." "Andrew das kann doch bis nach den Essen warten." Schmunzelnd runzelte er die Stirn. "Okay, Angel komm nach dem Essen auf die Wiese."
Danke Mom, das hast du toll gemacht. Sie hasste es wenn wir beim Essen redeten. Doch aus irgendeinem Grund reizte mich all das heute mehr als sonst."Dad warte lauf nicht so schnell!" Ich lief fünf Meter hinter ihm, vom Anhalten war keine Spur. Erst kurz vor Ende der Lichtung, die unser Garten war, blieb er stehen und setzte sich unter einen großen Baum. "Setz dich." "Warum rennst du immer so weit weg?" "Setz dich, ist viel bequemer." Langsam setzte ich mich zu ihm. "Warum hast du das vorhin gefragt?"
Ich konnte ihm nicht von Irea erzählen solange ich nicht wusste was es bedeutete. Außerdem hatte Irea das Recht es ihm selbst zu erzählen.
"Nur so, ich frage mich das schon länger." "Du siehst besorgt aus. Aber es ist tatsächlich nichts schlimmes. Man bekommt diese Male wenn ein Elternteil stirbt. Wenn die Mutter stirbt über der rechten Braue und wenn der Vater stirbt über der Linken. Ich weiß nicht wieso man sie überhaupt bekommt, immerhin bekommt man es ja meistens mit wenn ein Elternteil stirbt."
Mein Vater als auch meine Mutter lebten noch. Das ergab keinen Sinn, wieso hatte Irea also so eine Wunde? Links für den Vater und Rechts für die Mutter, hatte er gesagt. Ireas Wunde war Links, aber Dad saß lebend vor mir. "Kann man sie auch anders bekommen?" "Nein, nicht das ich wüsste, aber ist ja nicht wichtig. Lass uns jagen gehen."
Es würde sogar sehr wichtig werden, wenn Dad Irea sehen würde, denn ich hatte da so eine Vermutung und Irea wusste es bestimmt auch schon. "Klar, ich hol schnell die Bögen." Zögernd stand ich auf, mein Vater folgte meinem Beispiel. "Ich warte hier. Frag Irea ob sie auch mitkommen will." Wortlos nickte ich und lief los. Ich würde Irea nicht fragen ob sie mitkommt, das könnte ich meinem Vater nicht antun, aber ich würde sie noch einmal darauf ansprechen. Vor den Ständern blieb ich stehen und nahm zwei Köcher und unsere Bögen heraus. Die Köcher hing ich mir um und hielt die Bögen in einer Hand. Eigentlich hatte ich keine Lust zu jagen, aber so könnte ich Irea ein wenig Zeit verschaffen um darüber nachzudenken.
In der Küche stand unsere Mutter und machte den Abwasch. Da ich sie im Moment nicht sehen wollte, ging ich so leise wie möglich die Treppen hoch. Ich glaubte immer mehr an meine Vermutung, auch wenn ich es ihr nie zugetraut hätte.
Bevor ich Ireas Tür öffnen konnte, öffnete sie sich schon von innen. "Komm rein." Sie sprach leise und ihre Augen waren rot vor Tränen. "Du weißt was es bedeutet?" Sie nickte und schmiss sich aufs Bett. "Dann nehme ich an du kommst nicht mit jagen?" "Nein, ich werde mit Mom reden." "Tu das, ich werde jetzt gehen, aber du weißt, dass du immer zu mir kommen kannst, wenn etwas ist." Ohne auf ihre Antwort zu warten, drehte ich mich um und ging.
"Gib mir die Tasche." Dad wartete nur darauf endlich loszukommen, er war wie ein kleines Kind, wenn es ums jagen ging. Also warf ich ihm die Tasche, seinen Bogen und einen Köcher zu. "Auf geht's."

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Seelenfänger
FantasyAngel lebt in einer Welt in der das Leben eines Kindes von deren Seelenfängern abhängt. Seelen werden Menschen genommen und Kindern gegeben, aber was passiert wenn sie nur genommen werden? Auch Zwillingsseelen soll es geben aber was bedeutet das f...