Als wir wieder zu Hause ankamen war es schon dunkel, das Haus schien schon mit der Dunkelheit zu verschmelzen, wenn da nicht das eine Licht aus einem der oberen Zimmer käme. Irea war also noch wach. "Gib mir deinen Bogen und den Köcher, ich räum alles weg. Geh du rein und sag Irea, dass sie endlich schlafen soll."
Nachdem ich ihm alles gereicht hatte, ging ich ins Haus. Es herrschte Totenstille. Als ich Ireas Tür öffnete sah ich zunächst nur Irea, doch als ich sie weiter öffnete sah ich auch meine Mutter auf einen Stuhl sitzen.
"Angel, geh bitte kurz raus." Ich sah ihr an wie schuldig sie sich fühlte, jedoch tat ich ihr keinen Gefallen und blieb stur stehen. "Nein, warum sollte ich es tun? Hast du denn immer getan was von dir verlangt war?" Meine Stimme wurde mit jedem Wort lauter und zittriger. Mir wurde erst jetzt klar, wie sehr es mich verletzte und doch erkannte ich auch, dass ich vielleicht nicht so laut sein sollte, denn nun hörte ich Schritte die Treppe raufkommen. Als auch meine Mutter erkannte, dass mein Vater gleich hier sein würde, wurde ihr Gesichtsausdruck ängstlich.
"Was ist hier los?" Er war ruhig, aber das würde sich gleich ändern. Mein Blick wanderte zu Irea, er erkannte es sofort. "Irea was ist los? Es kann doch nicht so schlimm sein." Langsam ging er auf sie zu. Er kniete sich vor sie und Irea sah ihn nur kurz an bevor sie schnell in eine andere Richtung schaute. Doch es reichte aus. Das Gesicht meines Vaters wurde traurig und verletzt. Er sagte nichts, er schaute nur auf den Boden. Als er wieder aufsah, stand er ohne ein weiteres Wort auf und ging aus dem Zimmer. Die Tür schlug mit einem lauten Knall zu. Meiner Mutter rannen Tränen über die Wangen, als auch sie das Zimmer verließ und ihm folgte.
"Warte hier.", sagte ich leise. Ich konnte einfach nicht anders. Ich wusste zwar, dass es mich nichts anging, aber meine Neugier war zu groß. Leise öffnete ich die Tür und versteckte mich am Geländer. Durch ein Loch im Holz, konnte ich meine Eltern unten sehen.
"Andrew, es tut mir leid. Es ist ewig her und war einmalig, ich..." "Ich was? Ich wollte das nicht? Warum hast du es dann getan?" Er wird lauter, wütender und mit jedem Wort verletzter.
Sie antwortete nicht, sie senkte nur ihren Kopf.
"Ein Waldläufer, stimmt's?", sein Kiefer verkrampfte sich "Das würde einiges erklären."
Verwirrt sah meine Mutter auf. "Was meinst du? Natürlich war er ein Waldläufer, was sonst?"
Sein Kiefer verkrampfte sich immer mehr, eine Träne lief über seine Wange und für einen kurzen Moment meinte ich zu sehen, wie seine Augen rot aufleuchteten.
Bevor sie reagieren konnte, wendete er sich ab und ging aus dem Haus. Mein Atem wurde schneller, ist das gerade wirklich passiert? Ich konnte ihm nicht folgen, dafür müsste ich an meiner Mutter vorbei, die nur reglos dastand. Aber ich hatte da so eine Idee. So leise wie möglich ging ich in mein Zimmer und öffnete das Fenster. Bis nach unten waren es ca. 5 Meter.
Als ich aus dem Fenster stieg, versuchte ich mich an den kaputten Stellen der Hauswand festzuhalten, doch nach unten hin gab es keine Einkerbungen mehr, also sprang ich.
Ich versuchte in der Dunkelheit irgendetwas zu erkennen, doch ich sah meine eigene Hand vor Augen nicht. Vielleicht hätte ich eine Taschenlampe mitnehmen sollen, aber daran hatte ich gar nicht gedacht. Ich konnte nicht zurück klettern, aber das wollte ich auch nicht.
Blind vor Dunkelheit tastete ich nach der Wand und versuchte um die Ecke zu kommen, dort war meist ein Licht an. Doch selbst im Licht konnte ich meinen Vater nicht finden, er musste in den Wald gelaufen sein.
Ohne etwas zu sehen, konnte ich nicht tief in den Wald gehen, ohne mich zu verlaufen, aber ich wollte ihn finden.
Zögernd lief ich in Richtung Wald. Es war totenstill, nicht mal eine Eule war zu hören, aber ich spürte einen kalten Windzug im Nacken und dann hörte ich schnelle Schritte. Reflexartig drehte ich mich um. Niemand war da. Zumindest niemanden den ich in der Dunkelheit erkannt hätte. "Dad?" Meine Stimme brach ab, ich war überrascht, wie ängstlich ich mich anhörte. Ich war noch nie alleine nachts im Wald und ich hatte auch keine Ahnung wo ich mich befand, es war also sinnlos weiter zugehen, in der Dunkelheit konnte ich sowieso nichts sehen.
Ich drehte mich um, um zurück zum Haus zu gehen. Doch, ich hatte mich schon einmal umgedreht, oder? Oder hatte ich mich danach nochmal andersrum gedreht? Langsam verlor ich die Orientierung und es war einfach zu finster um auch nur das kleinste Detail wieder zu erkennen. Vielleicht sollte ich einfach hier bleiben, bevor ich noch tiefer in den Wald lief. Genervt setzte ich mich auf den Boden, hier draußen war es kalt und der Boden durchnässt. Als ich mich nach hinten legen wollte stieß ich mit voller Wucht gegen einen Baum, doch ich versuchte einen Schrei zu unterdrücken. Erfolglos. Die erste Regel meines Vaters war immer, dass man im Wald leise sein sollte, es wäre sonst respektlos und lockte wilde Tiere an. Aus Angst Tiere auf mich aufmerksam gemacht zu haben sah ich mich panisch um. Wieder hörte ich Schritte, ein Rascheln der Blätter auf dem Boden, aber diesmal klangen die Schritte nicht menschlich. In der Ferne war ein Knurren zu hören und mein Herz schlug immer schneller. So leise wie möglich drückte ich mich an den Baum und versuchte nur noch flach zu atmen. Das Knurren kam näher und ich musste mir schnell etwas einfallen lassen. Ich drückte mich immer näher an den Baum.
Natürlich der Baum! Vorsichtig drehte ich mich um und griff nach der Rinde um mich hochzuziehen, als ich plötzlich ein Schnaufen an meinem Bein spürte. Ein Wolf stand direkt hinter mir. Kurz bevor er zuschnappen konnte, zog ich mein Bein weg und zog mich weiter hoch, unter mir hörte ich ein Knurren und Krallen die am Baum kratzten. Dann war wieder alles ruhig, war er weg? Ob er nun da war oder nicht, auf dem Baum war es sicherer. Ich griff nach dem untersten Ast, als ich plötzlich einen stechenden Schmerz in meiner rechten Wade spürte. Eine warme Flüssigkeit rann mein Bein herunter und Krallen bohrten sich immer tiefer in mein Fleisch. Der Schmerz wurde immer größer und das Gewicht des Wolfes zog mich runter.
Ich spürte mein Bein kaum noch, aber mit letzter Kraft trat ich nach ihm und zog mich, am Ast, vollständig auf den Baum. Mit einer Hand drückte ich auf die Wunde um die Blutung zu stoppen und mit der anderen Hand versuchte ich mein Hosenbein komplett abzureißen. Als es mir endlich gelang, wickelte ich es so fest wie möglich um mein Bein und lehnte mich dann an einen dicken Ast zurück.
Das war vermutlich die dümmste Idee die ich je hatte. Warum war ich auch so verdammt naiv und neugierig? Jetzt müsste ich die Nacht hier verbringen. Genervt versuchte ich eine Position zu finden aus der ich nicht runterfallen konnte.
Wieder hörte ich ein Knurren, doch bevor ich reagieren konnte, wurde der Laut erstickt und ich schlief unter Schmerzen ein.
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Seelenfänger
FantasiaAngel lebt in einer Welt in der das Leben eines Kindes von deren Seelenfängern abhängt. Seelen werden Menschen genommen und Kindern gegeben, aber was passiert wenn sie nur genommen werden? Auch Zwillingsseelen soll es geben aber was bedeutet das f...