Unbekannt

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Schweiß gebadet wache ich auf. Wo bin ich? Ich kann nichts sehen, das einzige, was ich höre ist ein Dröhnen in meinem Kopf, welches immer lauter zu werden scheint. Ich bekomme Panik. Meine Hände krallen sich in das Holz unter mir. Splitter bohren sich in meine Fingerkuppen. Ich kneife meine Augen zusammen und konzentriere mich nur auf den Schmerz. Es ist ein gewohntes Gefühl. Eine Konstante in meinem Leben, vermutlich die einzige. Ich öffne wieder die Augen und kann die modrigen  Schrägbalken der Timber erkennen. Nach und nach kann ich das Dröhnen, welches mittlerweile eine unaushaltsame  Lautstärke angenommen hat, als meinen viel zu schnellen Herzschlag identifizieren. Ich setze mich langsam auf, die Nachwirkungen des wohl bekannten Albtraumes sind durchnässte Klamotten und eine Eiseskälte, die sich durch meinen ganzen Körper zieht.
Ich schnappe mir mein grün kariertes Hemd und ziehe es mir über. Als Hose trage ich lockere, schwarze Shorts, welche nur das nötigste bedecken. Noch etwas wackelig auf den Beinen tappse ich die kleine Treppe an Deck hinauf, immer bedach, keinen Lärm zu verursachen, um niemanden zu wecken.
Ich trete hinaus und die kühle Nachtluft hüllt mich, noch bevor ich den ersten Schritt mache, komplett ein. Meine Haare wehen unkontrolliert umher und mein Hemd flattert im Wind. Ich trete an die Rehling heran und stütze mich mit beiden Händen ab. Mein Blick fällt auf meine Handgelenke. Dünn sind sie geworden, die Sehnen sind deutlich sichtbar und auch die Knochen treten kantig unter meiner Haut hervor. Langsam fahre ich mit der rechten Hand die feinen unzähligen Narben entlang, welche von den  Übungskämpfen stammen, darunter finden sich auch deutlich tiefere, die von echten Kämpfen stammen. Jede erzählt ihre eigene Geschichte, genau wie das dunkelgrüne Paracord Armband, welches sich um mein linkes Handgelenk schlingt. Ich sehe den silbernen Anker an, der als Verschluss dient. Sofort tauchen Bilder in meinem Kopf auf, die ich seit Jahren immer wieder versuche zu verdrängen. Mühsam reiße ich meinen Blick von dem schlichten Schmuckstück, meine Augen gleiten in den Himmel. Dunkle Wolken türmen sich auf und in der Ferne sind schon die ersten Blitze zu sehen.
Die Wärme, die von seinem Körper ausgeht kann ich schon spüren, bevor er überhaupt zu sprechen beginnt.
”Was machst du hier?“, ich gehe nicht auf seine Frage ein, in der Hoffnung, er würde gleich wieder verschwinden oder wenigstens verstehen, dass ich nicht mit ihm reden möchte, doch daraus wird nichts.
”Du schweigst mich an, also willst du mir nicht sagen, warum du mitten in der Nacht auf Deck bist?“, ich stehe immer noch mit dem Rücken zu ihm, doch ich spüre genau wie er mich mustert. Langsam drehe ich mich um und blicke in seine dunkelgrauen Augen, sie werden von schwarzen Sprenkeln durchbrochen. Ich mag seine Augen, sie sind kalt. Ohne Emotionen. Das war schon immer so, er hat mich nie bemitleidet oder bevormundet. Wenn er Gefühle mir gegenüber gezeigt hat, dann sind es, wie heute auch noch Spott, Hass und liebevolle Feindseligkeit. Dies beruht auf Gegenseitigkeit.
”Es regnet gleich, du solltest wieder in dein Bett, bevor du dir noch eine Erkältung holst.“ Die Wörter kommen kalt aus meinem Mund, mein Blick ist immer noch starr auf seine Augen gerichtet. Er sieht mich leicht verwirrt an, meine Mundwinkel gehen ganz von alleine nach oben, als in seinen Augen das bekannte Feuer aufleuchtet, welches sie immer zeigen wenn er wütend ist. Er hat erst jetzt verstanden, dass ich ihn wie so oft nur aufgezogen habe. Bedrohlich baut sich sein Körper vor mir auf, er ist gut zwei Köpfe größer als ich und auch mit seinem Körperbau kann ich nicht mithalten, langsam stützt er seine muskulösen Arme links und rechts hinter mir auf der Rehling ab, er kommt mir immer näher und sein Gesicht ist nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt. Er versucht mir Angst zu machen, doch dazu kenne ich ihn schon zu lange. Sein Gesicht ist dicht neben meinem, mit Daumen und Zeigefinger nimmt er sich eine Strähne meines Haares und dreht sie leicht hin und her. Ich kann seinen Atem auf meiner Wange fühlen, als er sich vorbeugt und ein kaum hörbares, aber berdohliches ”Lauf!“, in mein Ohr flüstert. Ich verstehe sofort, was er mir damit sagen will und schlüpfe unter seinem muskulösem Arm hindurch.
Nur einen Bruchteil einer Sekunde später höre ich, wie er eines seiner Schwerter zieht und einen geziehlten Hieb nach mir setzt. Ich weiche nur mit Mühe aus und beginne dabei zu lachen, noch im selben Moment setzt er zu einem erneuten Schlag an, mein Lachen verstummt und ich entkomme mit einer nicht ganz eleganten Rolle zur Seite, wobei ich gegen ein leeres Holzfass stoße, welches unter seinem nächsten Schlag zerbricht. Ich schnappe mir eines der herausgebrochenen Bretter und ziehle auf seine Beine, doch er ist schneller und bremst meinen Schlag mit seinem Schwert. Er macht schnell einen Schritt auf mich zu, ich weiche noch immer auf dem Boden liegend zurück. Er fixiert mich und schwingt seine Waffe erneut, doch dieses mal komme ich ihm zuvor und ziehe ihm mit  meinen eigenen Beinen die Füße weg. Er verliert den Halt und fällt, sobald er auf dem Boden liegt, stürze ich mich auf ihn und verpasse ihm, noch bevor er reagieren kann, ein paar Schläge in's Gesicht. Wir rollen noch eine Weile hin und her. Er ist mir zwar kräftetechnisch überlegen, jedoch ich bin flinker als er.
”Aufhören!“, die donnernde Stimme des Captian  lässt uns sofort inne halten. Er sieht uns zornig an, schnell springen wir vom Boden auf und richten unsere Klamotten.
”Dein rechter Haken könnte noch schneller kommen“, er
betrachtet mich prüfend und neben mir beginnt ein gewisser junger Herr zu lachen.
”Lach nicht! Schäm' dich, dass du gegen ein Mädchen nicht sofort gewonnen hast!“ Jetzt war ich diejenige, die zu schmunzeln beginnt, es war nicht das erste mal, dass wir die anderen aufwecken, weil wir unsere Kämpfe an Deck austragen. Schwungvoll dreht sich der alte Mann um und verschwindet wieder in seine Koje.
Inzwischen regnet es wie aus Eimern und meine Haare kleben mir im Gesicht. Meine Klamotten hängen an mir  wie an einem nassen Sack, doch auch mein nebenan sah nicht besser aus. Mit einem letzten vernichtenden Blick meinerseits und einem seinerseits verkrichen wir uns beide wieder unter Deck.

Verschollen - One PieceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt