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Er begrub seine Eltern draußen vor dem Haus, damit die Geier sich nicht auf sie stürzten. Mit dem Spaten hob er eine tiefe Grube in der trockenen Erde aus und legte seine Eltern hinein. Es schien ihm so unvollkommen, also riss er das Kreuz von der Tür und legte es seiner Mutter in die Hand. Tränen liefen ihm über das Gesicht, als er die Grube zu schüttete. Er war schon fast fertig und seine Tränen waren getrocknet, als er wieder einen Reiter in der Ferne sah. Der pure Anblick dieses Reiters machte ihn wütend. Wenn das noch einer dieser Banditen war, würde er ihn umbringen. Er sah sogar so aus wie ein Bandit. Dreckige Kleidung, alter Hut, Stoppelbart. Aber er war allein. Banditen waren so gut wie nie allein. Sie brachten immer mindestens einen Handlanger mit. Nun war Nathan skeptisch. War das vielleicht der Mann, auf den er gewartet hatte? Einer der Kopfgeldjäger? Würde er ihm helfen, ihn vielleicht mitnehmen? Seine Eltern und seine Schafe waren tot, er hatte keine Zukunft. Der Reiter wurde immer langsamer, je näher er kam und kurz vor Nathan hielt er an und stieg ab. "Hast du etwas Wasser für meinen Gaul, Junge?", fragte der Mann. Er hatte eine raue Stimme. "Ja, Sir. Hinter dem Haus steht eine Pferdetränke. Daraus kann Ihr Pferd auch trinken." Wortlos ging der Mann mit seinem Pferd hinter das Haus. Als er zurück kam fragte Nathan ihn, ob er nicht vielleicht reinkommen und etwas essen wolle. Der Mann folgte ihm in die Hütte. Vor den halb getrockneten Blutlachen blieb er stehen. "Max...", flüsterte er. "Er war heute mittag da. Und er hat meine Eltern umgebracht. Woher kennt Ihr ihn, Sir?", fragte Nathan ihn. Langsam drehte der Mann sich um. "Du scheinst blind zu sein, Junge. Meine Art ist hier doch bekannt. Ich töte für das Geld des Staates." "Kopfgeldjäger!", sagte Nathan. "Ich bevorzuge Ezrah", erklärte der Mann. "Du sagtest, dass sie erst heute Mittag hier waren? Dann besteht noch eine Chance. Ich kann nicht zum Essen bleiben, Junge." "Warte! Meine Eltern sind tot, meine Schafe sind tot. Ezrah, kannst du mich nicht mitnehmen? Bitte..." Ezrah seufzte. "Junge, ich bringe den Menschen nur Unglück. Such dir irgendwo eine Ausbildung oder irgendwas, vergiss mich!" "Nein, bitte, ich will eine Ausbildung bei dir beginnen, ich will ein Kopfgeldjäger werden. Ich bin kein Hirte oder Bänker und ich werde es auch niemals sein. Ich bin so wie du!" Ezrah zögerte. Etwas in seiner Miene hatte sich verändert. Erneut seufzte er. "Dann komm mit", sagte er. Nathan schnappte sich alles was er noch besaß und folgte Ezrah.

Gemeinsam ritten sie nebeneinander her. Nathan begriff selbst noch nicht ganz, warum er mit diesem fremden Mann seine Heimat verlassen wollte, doch er bereute es auch nicht. "Der Sonnenuntergang ist schön", sagte er etwas unbeholfen. Ezrah schwieg. "Das Orange und dieses Gelb sehen fantastisch aus, wenn sie verschmelzen, nicht wahr?" Ezrah schwieg. "Gelb ist meine Lieblingsfarbe, was ist deine Lieblingsfarbe, Ezrah?", fragte er weiter. Er hoffte, dass es die Situation etwas auflockern würde.  "Junge!", sagte Ezrah genervt, doch seine Stimme blieb ruhig. "Ich hoffe dir ist klar, was du hier tust. Wir werden überall hin reisen. Du wirst in ständiger Gefahr leben. Du musst unglaublich viel lernen. Und du wirst Menschen töten. Kannst du das? Ihnen das Leben rauben? Denn wenn nicht, werde ich dich in der nächsten Stadt zurück lassen müssen, kleiner Lebrechaun." "Doch, hier töten sich ja alle. Ich glaube, ich kann das auch. Also, ich kann ja auch für sie beten." Ezrah lachte ein dunkles, raues Lachen. Nathan hatte noch nie einen Tiger gesehen, aber er glaubte, wenn Tiger lachten, dann klangen sie bestimmt wie Ezrah. "Junge, ich mag dich. Du bist ungeschickt und blauäugig, aber ich mag dich", sagte er. "Und meine Lieblingsfarbe ist rot, es war schon immer rot und es wird rot sein bis ich sterbe", ergänzte er. Nathan dachte darüber nach, während sie weiterhin dem Sonnenuntergang entgegen ritten. Es gab viele Arten von Rot. Helles Rot, dunkles Rot, Weinrot, aber auch Blutrot. War Ezrah etwa so grausam? War er kaltblütig? Es beschäftigte ihn solange, bis sie in der Ferne die Umrisse eines kleinen Dorfes sahen. Es wurde auch Zeit, denn es war schon fast dunkel. "Schlafen wir dort heute Nacht, Ezrah?", fragte Nathan. "Warum nicht? Ich habe schon länger nicht geschlafen." "Wie lange?" "Ich weiß es nicht, ich glaube, seit einem oder zwei Tagen." Nathan lachte. Es war ein junges, herzliches Lachen. Es war so ansteckend, dass es sogar Ezrah zum Schmunzeln brachte. "Ist es normal für dich, solange nicht zu schlafen?", fragte Nathan. "Eigentlich nicht, aber bei solchen Banden wie der von Max...die vier halten mich ganz schön auf Trab." "Also kannst du die normalerweise Zeit lassen?" Ezrah lachte. Er lachte ihn schon fast aus. "Mit der Konkurrenz im Nacken und den täglich mordenden Banden? Nein, Junge, als Kopfgeldjäger ist man auf den Beinen. Denkst du, dass du das schaffst?" "Ähm...", stotterte er. "Ach, der Beruf härtet dich schon ab. Spätestens in einem Jahr bist du nicht mehr der selbe." Nathan wusste nicht genau, ob er das gut oder schlecht finden sollte. Doch er hatte sich dafür entschieden, ein Risiko einzugehen. Nun musste er damit leben und sich einfach darauf einlassen. Sein Leben würde ein Abenteuer werden.

Sie mieteten sich ein Zimmer im Saloon, es war so klein, dass das Bett gerade so hinein passte. Ezrah legte sich auf das Bett. Nathan sah ihn daraufhin fragend an. "Ich bin der Lehrer, du bist mein Schüler. Und die heutige Lektion bringt dir bei, ohne jeglichen Komfort auszukommen. Bis morgen, Junge." Ezrah blies die Kerze neben seinem Bett aus und im Raum war es dunkel. Nathan ließ seinen kleinen Beutel auf den morschen Boden fallen. Die Bretter knirschten, als er sich vorsichtig hinlegte. Seinen Kopf legte er auf den Beutel, die Beine winkelte er an, er konnte sie nicht ganz ausstrecken. Dabei war er gar nicht besonders groß, er war kleiner als die anderen Jungen auf dem Schiff gewesen. Plötzlich durchbrach Ezrah die Stille:"Hey, kleiner Ire? Du schläfst noch nicht, oder?" "Nein." "Wie heißt du eigentlich?" "Nathan." "Hm...Leprechaun steht dir besser. Schlaf gut, Junge!" "Schlaf gut, Ezrah."

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