I suck at deep talk and make-up, definitely.
Ich ließ mein Fahrrad stehen und vergrub meine Eisfinger in den Taschen meines Parkas, zum Teil weil mir wirklich kalt war und zum Teil auch, weil ich das silbrige Glimmen meiner Hände verbergen wollte. Christinas Blick lag trotzdem auf Höhe meiner Jackentaschen. Im Stillen liefen ein Stück den Kai entlang, der lediglich von gelblichen Laternen erleuchtet war. Zwischen zweien der weit auseinander stehenden Lichtkegel blieb Christina schließlich stehen.
"Abigail, folgendes", setzte sie an, doch ich schnitt ihr das Wort ab. Ich hatte keine Lust auf den Sermon der jetzt folgte.
"Also du willst mir jetzt erzählen, dass ich nicht normal bin, sondern etwas ganz besonderes, dass ich eine Gabe habe und deswegen anders bin. Spar dir den Teil, ja? Ich sehe Geister und komme damit klar, okay?", meine Stimme klang noch nicht einmal genervt sondern einfach nur müde. Ich war stolz auf mich.
"Eigentlich wollte ich das nicht so herunter rattern aber gut", sie lachte, wobei eine Spur Nervosität mitschwang. Dieses kleine bisschen Nervosität war schon eine Erleichterung für mich. Christina war nur ein Mensch. Das hatte ich zwar schon mal festgestellt, allerdings hatte sie mich damals angeschrien und als egoistisch bezeichnet. Demnach würde ich jetzt vielleicht ganz rational mit ihr reden können, nicht so wie Benjamin befürchtete.
"Ist sonst noch etwas?", obwohl mir selbst etwas flau im Magen war, schaffte ich es so zu klingen als würde sie mich um die Mathehausaufgaben bitten.
"Ja und zwar", sie stockte und starrte auf ihre leuchtenden Handflächen.
"Also irgendwie macht es, es schon einfacher, dass du über die Geisterwelt und unsere Gabe Bescheid weißt aber-", erneut geriet sie ins Stocken.
"Aber du weißt wahrscheinlich nicht, dass wir unsere Gabe aus einem bestimmten Grund erhalten haben, oder?".Ja weiß ich, aber im Gegensatz zu dir bin ich von den Guten und lasse Geister nicht einfach so im Nichts verpuffen, hätte ich nur zu gerne von mir gegeben. Aber einmal im Leben entschloss ich mich besonnen zu handeln, das Gespräch in der Toilettenkabine noch im Hinterkopf.
"Nein, weiß ich nicht", ich versuchte mich an einem schüchternen Lächeln, das vermutlich so aussah als würde ich an üblen Zahnschmerzen leiden.
Christinas Lächeln wurde eine Spur schmaler. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie ihre Finger an einem losen Faden ihres Mantels herum nestelten.
"Also, Geister sind nicht ohne Grund hier. Sie sind die Seelen von Menschen, die etwas Schreckliches getan haben."
"Also Mörder und Verbrecher?", hakte ich nach. Was hatte Ava Green aus der Schulcafeteria bitte so schreckliches getan, außer diesen Zach anzuhimmeln, sich merkwürdig zu verhalten und zu blöd für einen nur vorgetäuschten Selbstmordversuch zu sein?
Christina schmunzelte und ihr Blick verweilte einen Wimpernschlaglang auf dem unebenen Kopfsteinpflaster, bevor sich ihre Augen wieder in die Meinen bohrten. Unter ihrem Blick wurde mir schlecht, doch ich zwang mich dazu unverwandt zurück zu starren.
"Nicht direkt...", sie zögerte, worauf ich erwartungsvoll die Augenbrauen hob:"Ja?".
"Also das ist das Prinzip da hinter. Aber nicht nur die Seelen von Verbrechern bleiben hier, sondern auch die von Leuten mit bösen Absichten, Leute die anderen geschadet haben oder es wollten...". Wieder wanderte ihr Blick auf das Kopfsteinpflaster und schloss dann: "Menschen die falsch waren".
Verstehend nickte ich: "Klingt ja plausibel". Ja klar und Menschen die im Suff blöde Ideen haben, wie zum Beispiel ein Haus anzünden, aber eigentlich von Grund auf gut waren, müssen im Übrigen auch hier bleiben. Super plausibel.
"Und das war's?", riet ich, obwohl ich wusste, dass diese Erklärung lange nicht das Ende vom Lied sein konnte.
Ein leises Lachen entfuhr Christina und mein Magen zog sich zusammen. "Nein leider nicht", erwiderte sie weit aus freudloser als ich es nach ihrem Lacher erwartet hätte:
"Wir - Also alle die Geister sehen können- haben noch eine weitere Gabe. Wir können dafür sorgen, dass sie verschwinden. Dass sie ausgelöscht werden und niemals die Welt betreten, in die die guten Menschen nach ihrem Tod übergehen".
Dass das ihre Meinung oder ihre Darstellung der Sache war, hatte ich mir selbst schon so zusammen gereimt. Dennoch spielte ich tapfer weiter die Ahnungslose: "Wie meinst du das, welche Welt?".
Erneut verzogen Christinas Lippen sich zu einem Lächeln. (Wie schaffte sie das bloß die ganze Zeit? Hatte sie keinen Muskelkater in den Wangen?)
"Naja, sowas wie das Leben nach dem Tod, das Jenseits, der Himmel, das Nirwana, wie du's nennen willst".
"Oh", machte ich, während mir flüchtig die Erinnerung an Benjamins und mein erstes Gespräch über das Jenseits, denn Himmel oder was auch immer danach kommt, durch den Kopf schoss.
"Verrückt oder?", ihr honigsüßes Lächeln wurde noch eine Spur süßer. Wenn das so weiter ging würde ich mich gleich übergeben müssen.
"Ein wenig, ja", gab ich zu und zwang mich tief zu atmen. Der durchdringende Geruch von Tang und Algen hatte beinahe eine beruhigende Wirkung auf mich. Eine Weile sagte niemand ein Wort. Offensichtlich meinte Christina es gäbe nicht viel mehr zusagen für den Moment. Mir war das nur Recht: "Ich werd mich dann mal auf den Heimweg machen". Mit dem Kopf machte ich eine halbherzige Bewegung in Richtung meines Fahrrades, das einsam und verlassen am Rande des Kais auf mich wartete.
Christinas Blick lag nun auf den schwachen Wellen die gegen die Kaimauern schlugen und mit den verankerten Booten spielten.
"Gute Nacht, Abigail", säuselte sie.
Unnötig zu erwähnen, dass mir ein Schauer über den Rücken huschte.
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Ghosts of Eleo
Paranormal"Abigail du kannst sehen", so hatte Abbys Großmutter es einige Stunden vor ihrem Tod ausgedrückt. Seit dem Ableben ihrer Großmutter sieht Abby Geister und gibt ihr bestes diese Tatsache zu ignorieren. Zwar hat sie ihre Gabe meistens unter Kontrolle...