4. Mission Missionierung

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Vor geraumer Zeit war mir eine Geschichte auf Wattpad untergekommen, die nur so vor Unlogik, schlechter Rechtschreibung und scheinbar jeglicher Missachtung vernünftigen Denkens der Autorin strotzte. Es war noch dazu gewaltverherrlichend und stellte das Stockholm-Syndrom als etwas Positives dar, wenn es diese Störung denn überhaupt beachtete. Ganz so genau konnte ich das trotz einiger langer Diskussionen mit der Autorin nicht beurteilen.

Dieses Werk wollte ich nun meinen drei Rittern der Literatur präsentieren, mitsamt der uneinsichtigen Verfasserin, nur um Gewissheit zu haben, dass Reich-Ranicki was zu meckern hatte. Ich öffnete das Buch, doch noch bevor es geladen hatte, ertönte Goethes Stimme hinter mir. »Mir scheint, der Titel des Werkes ist fehlerhaft. Entweder ist es ein falscher Plural oder der Genitiv wurde falsch gebildet.«

Goethe, der Grammatik-Guru. Damit hatte ich nicht gerechnet. Eher hatte ich vermutet, dass es Reich-Ranicki auffallen würde oder meinetwegen Duden. Aber der Dichter trug offensichtlich nicht umsonst das Prädikat Universalgenie.

»Ganz richtig, Herr von Goethe«, sagte ich ihm und konnte den leichten Stolz in meiner Stimme nicht unterdrücken. Er war ein seit fast dreihundert Jahren toter hochgeschätzter Mann, auch schon zu Lebzeiten gewesen, und erst seit einer halben Stunde bei mir und trotzdem fühlte es sich so an, als könnte ich berechtigt stolz auf ihn sein, als wäre es mein Schaffen. Nun ja, immerhin hatte ich ihn hergeholt und jetzt hatte es sich bezahlt gemacht. »Der Titel ist grammatikalisch nicht korrekt und es ist der Autorin auch ziemlich egal. Vielleicht ist es ja eine perfide Methode, um Leser anzulocken, die sehen wollen, wer sich im Internet vor aller Welt so bloßstellt.«

Na toll. Jetzt hatte ich ihn schon wieder verschreckt, indem ich wieder von etwas gesprochen hatte, das er nicht verstand. Wieso konnte er nicht einfach dem Weltgeschehen vom Himmel – oder der Hölle, wer wusste das schon – aus zugesehen haben? Jetzt blieb die ganze Arbeit an mir hängen... Nein! Ich durfte nicht so denken, durfte nicht versuchen, die Last der Welt oder zumindest die der Missstände auf Wattpad auf meine Schultern zu laden und infolge dessen verrückt zu werden, den Verstand zu verlieren und auf dem imaginären Psychologensofa einer meiner Mitkämpfer im Krieg (Durfte ich das Wort in diesem Zusammenhang überhaupt erwähnen? Vor Reich-Ranicki wohl eher nicht, vor Goethe wahrscheinlich schon und bei Duden hatte ich keine Ahnung, da zu seinen Zeiten keine ernsthaften kriegerischen Auseinandersetzungen des Deutschen Reiches stattgefunden hatten) zu enden. Fakt war, dass ich einerseits leicht abzulenken und zu Monologen zu verleiten war, die von ihrer Länge her gar nicht in die Zeitspanne passten, in der ich sie stattfinden ließ, andererseits, dass ich mich nicht ablenken lassen durfte. Denn gerade machte Duden schon weiter.

Ging ja doch besser als gedacht, sagte ich mir in Gedanken, als der Verfechter der einheitlichen Rechtschreibung verlauten ließ: »Wieso sind denn die ersten Worte großgeschrieben?«

Er zeigte auf den Klappentext, dessen erste Worte tatsächlich in Capslock verfasst waren. »Ich kann Ihnen diese Frage leider nicht beantworten. Vielleicht soll sich der Leser angeschrien fühlen. Aber Sie sehen ja, welche Grausamkeiten ich Ihnen hier präsentieren will und das ist erst der Anfang. Es kommt ja noch der Inhalt hinzu.«

»Aber wie soll man es denn richtig verstehen, wenn es keine einheitlichen Regeln gibt?«

»Regeln gibt es und sie sind nach wie vor in einem immer wieder neu erscheinenden Buch festgehalten, dass Ihren Namen trägt, Herr Duden. Leider werden sie von vielen hier nicht beachtet und obwohl man hier am Computer die Rechtschreibung überprüfen lassen kann, wird das von vielen einfach nicht genutzt. Ein Grund, weswegen ich mich dazu entschieden habe, ausgerechnet Sie zusammen mit Goethe und Reich-Ranicki zurückzuholen.«

»Nun, dann will ich Sie nicht enttäuschen.«

Strike! Duden war mein. Ich überlegte sogar, ihm das »Call of Duden«-Meme zu zeigen, das seit einigen Jahren durchs Internet geisterte. Das fände er bestimmt lustig.

Mit meinem neuen besten Freund Konrad Duden, einem mental halbwegs stabilen Goethe und einem mürrisch dreinblickenden Reich-Ranicki öffnete ich das erste Kapitel und begann vorzulesen. Dabei bemühte ich mich, die offensichtlichen Fehler nicht automatisch zu korrigieren. Am Ende, also nach etwa fünf Minuten, das ganze Kapitel packten wir alle vier nicht (wer genaueres erfahren wollte, würde sich das entsprechende Kapitel in meiner Wattpad-»Geschichte« »Let's hetz« durchlesen müssen), waren wir völlig fertig und auch verstört.

 Sogar Reich-Ranicki schien erst nach passenden Wortensuchen zu müssen. Ich hatte ihne auch noch die Kommentare gezeigt, die unterder Geschichte zu finden waren und die fadenscheinigen Argumente der Autorin,die sich selbst»SchlechteBabykatze√15129« nannte.

»Da hilft es ja gar nicht eine anständige Kritik zu schreiben«, gab er aufgebracht von sich. »So etwas zu lesen, ist ja untragbar.«

»Teilweise wird so etwas sogar für Geld vertrieben«, merkte ich an und spürte den Wutpegel steigen. Ausgezeichnet!

»Ich bin zutiefst verstört«, murmelte Goethe vor sich hin.

»Dann ist wohl alles klar«, sagte ich. »Verfolgen Sie die Autorin, verfolgen Sie sie in ihren Träumen und bekehren Sie sie. Oder meinetwegen machen Sie sie auch so verrückt, dass sie das Schreiben aufgibt, aber ich glaube das wäre nicht das, wofür ich stehen möchte. Wofür wir stehen sollten. Auch wenn es sehr verlockend wäre.«

»Dann werden wir uns auf den Weg machen«, sagte Duden, »aber wie sollen wir an sie gelangen?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Sie sind die übernatürlichen Wesen. Nutzen Sie Ihren Tod und ihren Verstand. Sollten Sie beides zur Verfügung haben.«

Die drei nickten und lösten sich ohne Knall oder Lichteffekt vor mir in Luft auf. Ich wartete jetzt schon sehnsüchtig auf ihre Rückkehr.

Ich war wie Charlie und sie meine drei Engel. Und nun gingen sie auf ihre erste Mission. Ich machte die typische Handgeste von Mr. Burns aus den Simpsons und lehnte mich genüsslich in meinem Stuhl zurück, der sich fast anfühlte wie ein Thron.

Die Geister, die ich riefWo Geschichten leben. Entdecke jetzt