hearing

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Nervös fuhren meine Hände über mein strenges Kostüm, während ich krampfhaft den Blick in den Spiegel vermied und mir Wasser ins Gesicht schüttete. Es war 7:45 Uhr, in 15 Minuten würde meine Gerichtsverhandlung beginnen und ich war nicht bereit für das. Ganz und gar nicht.

Meine Finger krallten sich in in den Stoff und als mir das bewusst wurde, löste ich sie langsam und sah, dass sie zitterten. Mein Atem ging schwer und ich spürte den schnellen Herzschlag in meiner Brust. Von diesem Verfahren hing mein ganzes zukünftiges Leben ab. Und die ganze Welt sah zu.

Ich wusste, dass meine Akte, oder zumindest das, was mir vor vier Jahren geschehen war, unter Verschluss gehalten wurde, aber im Angesicht der Tatsache, dass das hier extrem eskalieren konnte, wusste ich nicht, wie weit das gültig war, wie weit meine Eltern ihren Einfluss hatten gültig machen können.

Schließlich löste ich meinen Blick von meinen Händen und musterte mein Gesicht: Die großen Pupillen, die roten Wangen, mein strenger Dutt, aus dem sich einzelne Haare bereits gelöst hatten, die ich mit beinahe akribischer Sorgfalt wieder hinter mein Ohr strich- ich sah gut aus, aber man sah mir an, wie nervös ich war und das war schlecht. Das hatte mir Jessica oft genug erklärt:

Wirke so, als hättest du nichts zu verstecken, als wäre alles ok.

Doch wie ging das? Wie ließ ich andere Menschen in dem Glauben, dass es mir gut ging?

Nur zu schmerzhaft war mir die Pille in meiner Tasche bewusst, nur zu schmerzhaft wusste ich um Fly, aber ich wusste auch, dass das nicht genug sein würde. Ich brauchte etwas stärkeres. Ich brauchte die Anfangsdroge.

Ich wollte sie so sehr. Ich wollte es so sehr. Jede Faser meines Körper verlangte danach, verlangte nach dem wunderschönen, unbeschreiblichen Gefühl, dass sich in meinem Körper ausbreitete, wenn das flüssige Gold durch meine Adern floss, mich vergessen ließ.

Ich wollte es. So sehr.

Ich wollte Morphium.

Ohne es mir bewusst zu sein, griff ich in meine Tasche, erfühlte mein Telefon und zog es aus der Tasche, erst als ich den Warteton hörte, und sich mein Blick wieder fokussierte, wurde mir bewusst, dass ich gerade im Inbegriff war, ihn anzurufen.

Der, der alles ausgelöst hatte: Hades.

Vor meinem inneren Auge entstand ein Bild, die blonden Haare, die Tattoos, auf seinen Armen, sein eleganter Kleidungsstil. Seine Stimme, die mich immer wieder um Verzeihung bat, seine Liebe zu mir beteuerte.

Bonnie, meine Schöne," ertönte Clydes Stimme und ich atmete tief durch. Er hatte einen guten Tag. Denn, wenn es anders wäre, wäre er Hades und ich seine Persephone. Sein Untergang. So wie er meiner gewesen ist, so wie er meiner noch immer war. „Wie kann ich dir behilflich sein?"

Ich atmete tief durch, versuchte mich dazu zu überwinden, versuchte aufzulegen, versuchte irgendwie mich zu bewegen, doch ich konnte nicht.

„Ist alles gut? Bonnie?", fragte er wieder nach, doch ich holte nur tief Luft, als ich die Sorge in seiner Stimme hörte, die echte, wahrhaftige Sorge. „Wo bist du? Hast du einen Anfall? Bist du kurz vor einem Rückfall? Hast du noch genug?" Und als ich wieder nicht antwortete, hörte ich, wie er im Hintergrund eine Tür zuschmiss. „Sag mir sofort wo du bist, Kaelin."

„Ich bin... mir geht es gut... e-es tut mir leid, Clyde." Ich suchte meinen eigenen Blick im Spiegel über dem Waschbecken und mit einem endgültigen Nicken legte ich schließlich auf. Ich konnte das. Ich war stark genug. Ich würde nicht weglaufen. Nicht mehr.

Und mit einem letzten Blick in den Spiegel, drehte ich mich schließlich um und verließ die Toilette.

Wir befanden uns im 35. Stock im Gerichtsgebäude in Upper Manhattan und ich wusste, dass vor dem Gerichtssaal viele Journalisten warteten, genauso wie vor dem Gebäude. Sie wollten Neuigkeiten, sie wollten Details, doch abgesehen von einem, von Grayson ausgewählten Journalisten, durfte niemand in den Saal. Niemand abgesehen von dem Richter, der Jury und ein paar Zeugen und Angehörigen. Um den Tumult zu entgehen, ging ich durch den Hintereingang und ließ mich dann, ohne links und rechts zu schauen, neben Jessica fallen, die mich durchgehend musterte. „Geht es dir gut?", fragte sie und ich nickte nur zögernd, versuchte die Schwäche in meinen Gliedern abzuschütteln, während mir immer wieder Clydes Anspannung in der Stimme bewusst war. Und die Tatsache, dass er mich wahrscheinlich die ganze Zeit versuchte zu erreichen, nur war mein Handy auf stumm, und er damit von mir abgeschnitten.

Auf einmal stand Jessica neben mir auf und ich sah, wie der Richter in seinem edlen Gewand durch die Tür kam, und seine Sekretärin ihn uns vorstellte. Schnell stand ich auf und strich meinen Rock glatt. Mein Herz pochte wild in meiner Brust und ich fuhr mir ein letztes Mal über die Haare, wobei mein Blick zu Grayson hinüberflog. Seine schwarzen Locken hingen ihm teilweise in die Stirn, aber er trug einen edlen Anzug und ein weißes Hemd, dass sich fast über seiner Brust spannte. Als würde er meinen Blick spüren, sah er mich an, musterte mein Gesicht und lächelte. Seine dunklen Augen brannten Löcher in meine Seele und ich spürte die Hitze in meinem Körper wieder aufsteigen.

Wir wollten das beide nicht, nur waren unsere Anwälte streitsüchtig. Um genau zu sein hatten wir sogar beide darüber am Telefon gelacht und Späße über sie gemacht. Jessica wollte anscheinend Rache, weil sie das Verfahren verloren hatte und Ezra hasste Jessica einfach nur mit einer unverhohlenen Leidenschaft. Und sie benutzten dieses Verfahren dafür, dass sie ihre begrabenen Hass wieder aufleben konnten.

Und was sollen wir jetzt tun? Ich meine, ich war bereit den Vertrag zu unterschreiben." Meine eigenen Worte waren in meinem Kopf, das Gespräch wieder und wieder präsent.

Nun ja, sie würden uns niemals aussteigen lassen. Ich schätze wir versuchen den Schaden relativ gering zu halten. Und das soll jetzt nicht blöd klingen, aber wenn ich verliere, dann ist das nur halb so schlimm. Ich weiß nicht, wie es von finanzieller Seite bei dir aussieht, aber bei deinem Ruf kann ich es mir gar nicht vorstellen, dass du Geldprobleme hast."  Er wusste nichts von Fly. Er wusste nichts von den Drogen. Er wusste nichts.

Und so sollte es auch bleiben.

„...Fall 27698, mit der Anklagenden Kaelin Fiona Hall, vertreten von Jessica Ferraz-Bellard und dem Angeklagten Grayson Callaghan, vertreten durch Ezra Sinclair. Bitte, verlesen Sie die Anklagepunkte."

Ich atmete tief durch und versuchte mich zu konzentrieren, versuchte meine Gedanken abzuschotten von meiner Vergangenheit, von Grayson, von all dem Scheiß, den ich nicht wollte, meinem Ballast.

Ich sah ein letztes Mal zu Grayson hinüber und er erwiderte meinen Blick. Das konnte lustig werden.

Strange LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt