Kapitel 4: So etwas wie Zufall gibt es nicht

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PoV. Stegi



Ich war bereits in der nächsten Stadt angekommen und warte auf meinen Anschlusszug. Schon seit der Abfahrt plagte mich der Hunger, da ich es nicht mehr geschafft hatte etwas zu frühstücken. Ich betrachtete nachdenklich die wenigen Münzen, die mein gesamtes Kapital für diese Reise darstellten. Wenn ich es richtig anstellte sollte es für einige Tage reichen. Vorausgesetzt das ich nicht entdeckt wurde, was an einem öffentlichen Bahnhof selbstverständlich nicht die einfachste Aufgabe war. Einen Plan, wo es hingehen sollte hatte ich ebenfalls nicht. Erstmal einfach nur weg. Zugegeben die besten Voraussetzungen für meine Flucht waren das nicht, aber es war besser so. Ich hoffte inständig, dass Tim sich meinen Brief zu Herzen nahm und nicht nach mir suchte. Es war eine naive Hoffnung, aber früher oder später würde er aufgeben. Ich hatte ihm keine andere Wahl gelassen. Ich schloss die Faust um die Münzen in meiner Hand, bis sie mir ins Fleisch schnitten und setzte nachdenklich meinen Weg fort. Es war die einzig richtige Entscheidung.

Ich dankte der Kassiererin und verließ das Geschäft. Ich hatte noch ein bisschen Zeit, wenn da bloß nicht dieser Hunger wäre. Ich drehte mich um und entdeckte eine Person, die auffällig unauffällig hinter mir lief. Sie hatte das Gesicht in einer Kapuze verborgen. Hastig verzog ich mich in eine nahe Seitenstraße. Als ich mich umdrehte, merkte ich, dass derjenige immer noch in einigem Abstand hinter mir herlief. Ok, das war definitiv gruselig und doch wohl kein Zufall mehr? Was wenn das jemand aus der Organisation war? Dann hatten sie mich vermutlich bereits umzingelt. In meiner Nervosität fing ich an zu rennen und zu meinem Entsetzen folgte die Person hinter mir meinem Beispiel. Ich bog um die nächste Ecke. Wenn ich mich kleiner machte, konnte ich mich bestimmt hier irgendwo verstecken! Hastig sah ich mich um, als mich plötzlich jemand am Arm packte: „Oh nein, das wirst du nicht!", sagte eine Stimme und ich fuhr herum. Im rennen war anscheinend die Kapuze meines Verfolgers herunter geklappt, so dass ich nun sein Gesicht sehen konnte. Erstaunt sah ich ihn an.

„Tobi?", rief ich überrascht und meine Mundwinkel gingen sofort nach oben, „Was machst du den hier?" Erleichterung überkam mich.

Er grinste und zeigte mir mit einer Hand ein Peace-Zeichen. Seine Haare standen wild in alle Richtungen ab oder hingen ihm teilweise ins Gesicht. Vermutlich wegen gerade eben. Trotzdem freute ich mich riesig ihn wiederzusehen.

„Ich bin hier gerade auf dem Weg zu meiner Tante und da seh' ich da jemanden im Laden stehen und denke mir ich träume!", er lachte laut und ließ meinen Arm los, so dass ich mich ihm nun richtig zuwenden konnte.

„Wo hast du denn Tim gelassen?", war gleich seine nächste Frage und sofort sank meine Stimmung wieder. Ich wich seinem Blick aus und fixierte den Boden.

„Er ist weg...", sagte ich knapp und kratze mich am Hals. Fragend sah er mich an. Dann schlang er zielstrebig seinen Arm um meinen und zog mich weg.

„Das glaub ich dir in hundert Jahren nicht!", rief er überzeugt.

Wenig später saßen wir dann zu zweit auf einer Mauer, die eine kleine Grünfläche am Bahnhofsplatz begrenzte. Mein Sandwich hatte ich nun doch schon komplett gegessen und Tobi dabei erklärt, was passiert ist. Die ganze Zeit über hat er immer wieder genickt und sich abgewechselt zwischen „mhm" und „Ach so". Als ich fertig war atmete ich langgezogen aus, genau genommen war es eher ein Seufzen. Er fasste sich ans Kinn und überlegte mit mal wieder übertriebener Gestik. Unerwartet riss er dann die Augen auf, fasste mich an den Schultern und sah mir in die Augen.

„Stegi, du Idiot!"

Ich sah ihn unverständlich und mit verzogenem Gesichtsausdruck an. Ich hatte es doch gerade erklärt!

Ein großes Herz für eine kleine Welt - StexpertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt