„Ja, nicht wahr? Entschuldige, das war weit unter meinem Niveau." Völlig überraschend hat er tatsächlich eine reuige Miene aufgesetzt und sieht sich suchend nach der Bedienung um. „Hallo? Sorgen Sie bitte für eine angenehme Hintergrundbeschallung, dass meine Begleiterin hier zufrieden ist. Und sollte sie es nicht sein, schneiden Sie sich die Ohren ab und servieren sie ihr zum Nachtisch."
Mein Herz setzt kurzzeitig aus. Er bemerkt es fast nebensächlich, ohne jeden drohenden Tonfall. Der ist auch nicht nötig, die Konsequenzen sind in Stein gemeißelt. Im letzten Moment, bevor sich der Mann umdreht, um dem Wunsch nachzukommen, erhasche ich noch dessen Gesichtsausdruck - es ist reine Verzweiflung, ein entsetztes Aufblitzen seiner Augen in meine Richtung. Der Druck in meinem Unterleib wird schier übermächtig.
Ohnmächtig wende ich mich wieder Kilgrave zu, der ganz gelassen da sitzt und mich betrachtet. Dies dort ist ein Monster. Ein Ungeheuer in Gestalt eines gutaussehenden Mannes in seinen besten Jahren, mit guten Manieren und gepflegter Erscheinung. Und ich bin ihm in die Fänge geraten, aus heiterem Himmel. Was soll ich tun? Ich unterdrücke meine Panik und versuche an meine Familie zu denken - an meine kleine Joanna und an Lee, meinen Mann. Hatte ich ihre bloße Existenz vorhin einfach verdrängt? Was war in mich gefahren? Die Panik schwappt fast über, denn mir wird bewusst, dass es nur einen Grund geben kann: Ich befinde mich wie alle anderen in seinem Bann. Und ich kann auch jetzt nicht einfach weglaufen, selbst wenn es mir möglich wäre, denn andere sind von meinem Verhalten Kilgrave gegenüber abhängig. Mit ein paar tiefen Atemzügen versuche ich mich wieder zu sammeln.
Gedämpfte Musik setzt ein, ein unauffälliger Sound, und ich beeile mich, glaubwürdig ein zufriedenes Lächeln aufzusetzen und zu nicken. Auch Zebediah lässt den Ansatz eines Lächelns sehen, doch meine Miene scheint ihn überzeugt zu haben und er verfolgt das Thema nicht weiter. Ich bin mir sicher, dass im Hintergrund die Erleichterung einer gewissen Person nicht größer sein kann, seine Ohren unversehrt zu behalten.
Spontan beugt er sich vor und hält mir seine Hand auffordernd hin. Der Atem stockt mir - was hat er vor? Zögernd lege ich meine hinein und unterdrücke dabei ein Zittern, dann erheben wir uns und er führt mich ein paar Schritte bis auf den Gang. Eine sanfte Melodie erfüllt den Raum, als er mich an sich zieht und anfängt zu tanzen. Gefangen blicke ich ihm in die dunklen Augen, unfähig etwas anderes zu tun, als mich seinen Bewegungen anzupassen, während er bedächtig einen Schritt nach dem anderen setzt, mich ganz zart im Arm haltend.
Eine angsterfüllte Faszination hat sich meiner bemächtigt, die mir einen Schauer über den Rücken jagt und mir die Beine vor Schwäche fast wegsacken lässt. Dieser Mann, den ich noch vor ein paar Augenblicken als Monster bezeichnet habe, scheint von mir bezaubert zu sein, denn sein berückter Blick und die ganze Art, wie er mich hält, zeugen von einer Zärtlichkeit und Emotionalität, die ich ihm nicht zugetraut hätte.
Das Lied geht zu Ende und er verharrt für einen Augenblick still vor mir, meinem Gesicht ganz nah, so dass ich bereits annehme, er würde mich jeden Moment küssen. Ich erwische mich entsetzt dabei, es mir zu wünschen und frage mich unwillkürlich, wie stark sein Einfluss auf mich tatsächlich sein muss. Doch er hält sich zurück, scheinbar plötzlich schüchtern geworden, und murmelt mir ein wenig atemlos zu:
„Wollen wir den Rest des Abends bei mir verbringen?"
Ich kann nur nicken, keine andere Option scheint mir offen, da ist nur er. Er will mich und ich fühle die Ohnmacht, mich diesem Sog zu widersetzen. Eigentlich will ich weglaufen, ganz weit weg, diesem traumatischen Szenario entfliehen, doch ich bin gefangen, wahrhaftig gefesselt, mit unsichtbaren Banden an ihn gekettet. Er ruft nach mir und ich komme.
„Wirklich? Möchtest du es? Sag mir die Wahrheit!", raunt er leise, doch die letzten Worte klingen messerscharf. Ich sehe ihm in die Augen und erkenne mit Grauen: Keiner hat mich bisher derart erregt wie er, allein durch seine Präsenz, seine Ausstrahlung. Ja, er ist furchteinflößend und ich habe Angst, wie ich sie noch nie gekannt habe. Und doch kann ich mich ihm nicht entziehen.
„Ich will dich", es geht verwirrend leicht von meinen Lippen, dabei habe ich gar nicht vorgehabt, so etwas zu sagen. Er schaut skeptisch drein, ungläubig hebt er seine linke Augenbraue, während ich nicht wage zu atmen. Der Moment zieht sich in die Länge, dann verwandelt sich seine Skepsis langsam in den Ansatz eines unsicheren Lächelns. Noch näher kommt er, ringt um Worte, haucht sie mir ins Gesicht.
„Wie kann ich nur erkennen, dass du es wirklich ernst meinst?"
Ich weiß es selbst nicht - ich weiß gar nichts mehr. Die Furcht vor ihm ist so unsagbar tief, dass ich ihn nur stumm und mit weit aufgerissenen Augen anstarren kann - wie das Kaninchen vor der Schlange. Und doch ist dieser Mann so anziehend, derart attraktiv, dass ich mir vorstelle, wie er mich an sich reißt, mich mit Leidenschaft nimmt... ich will ihn wirklich, ich brenne in seiner Hölle.
„Dann komm", murmelt er und ich folge ihm dichtauf.
Keiner verlangt, dass wir bezahlen, wir verlassen völlig unbehelligt das Restaurant und treten auf die Straße. Automatisch hält das nächste Taxi genau vor unserer Nase, wie es in dieser Stadt üblich ist. Zuvorkommend wie er ist, hält Zeb mir die Tür auf und lässt mich zuerst einsteigen, bevor er zu mir in den Font des Wagens klettert. Er nennt dem Fahrer die Adresse, dann dreht er sich mir zu und runzelt die Stirn. Sämtliche Alarmglocken fangen an zu schrillen und ich verkrampfe mich automatisch. Mache ich etwas falsch, das ihn reizt?
„Du bist so schweigsam", stellt er fest und versucht ein Lächeln. Ich beginne die innere Verkrampfung wieder zu lösen, doch das beklommene Gefühl bleibt. Nervös lecke ich mir die Lippen. Die Erkenntnis hat sich mir offenbart, dass er versucht, mich nicht zu zwingen. Ich scheine ihm etwas zu bedeuten, warum auch immer. Und zwar so viel, dass es ihm wichtig ist, dass ich mich ihm freiwillig zuwende.
Nur dass es nicht so funktioniert. Auch wenn er es anders formuliert und mir scheinbar eine Wahl lässt, hat er mich doch in seinem Griff, wie auch immer er das anstellt. Es muss so sein, denn wieso bin ich sonst mit ihm gegangen, diesem Fremden? Was sonst hat mich für ihn eingenommen, dass ich Kilgrave solche Dinge sage? Dass ich ihn will... wie komme ich darauf - ich liebe doch Lee, meinen Ehemann und Vater meiner Tochter! Niemals bin ich ihm untreu gewesen, noch nicht einmal in Gedanken!
Wieder versuche ich die aufkommende Panik zu unterdrücken, versuche mich zu beruhigen. Kilgrave meint also, mir nichts aufzuzwingen, und zwar ganz bewusst. Bedeutet es, dass ich dadurch soweit davor gefeit bin, von ihm misshandelt zu werden? Und was ist, wenn wir miteinander alleine sind?
„Soll ich denn überhaupt reden?" Ich zucke mit den Schultern und mache ein betont harmloses Gesicht.
„Wenn du magst... dann ja." Irgendwie neugierig wartet Zebediah auf meine Reaktion. Es scheint neu und sehr ungewohnt für ihn zu sein, seine Worte so zu formulieren, dass er jemandem seinen freien Willen lässt. Dadurch muss er immer wieder prüfen, welche Wirkung es hat, was er sagt, allgemein zu jedem ...und speziell bei mir. Plötzlich tut er mir leid. Es muss ein Fluch sein, nicht unterscheiden zu können, ob die Mitmenschen, mit denen er zu tun hat, freiwillig mit ihm interagieren oder ob sie als seine Marionetten handeln.
Spontan lege ich meine Hand auf seinen Arm. Zeb schaut misstrauisch darauf nieder, dann hebt er seinen Blick und ich sehe überraschte Dankbarkeit aufflackern. Scheinbar hat zuvor noch nie jemand derartig reagiert. Doch als hätte ich ihn bei seiner Schwäche erwischt, weiten sich seine Augen sofort darauf und er stößt hervor: „Wehe, du enttäuschst mich!"
Er beugt sich zum Fahrer vor und redet kurz mit ihm, lässt sich etwas geben und hält es mir hin. Zufrieden lächelnd schiebt er seinen Mund an mein Ohr und flötet mir mit süßer Stimme ein paar Worte hinein.
DU LIEST GERADE
Marvel's Jessica Jones: He made me do it
FanfictionEs ist rein zufällig auf der Straße, dass wir uns über den Weg laufen. Ich scheine ihn an jemanden zu erinnern... Jedenfalls sagt er meinem Mann und meiner Tochter, dass sie ohne mich weitergehen sollen, und sie tun es ohne Widerrede und ohne zu zög...