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Auf einmal stand ich neben Harry und ein Arzt stand uns gegenüber. Wie war ich hier hergekommen? Solle ich nicht eigentlich in einem Autofrack auf der Landstraße sein? "Bei diesem Unfall sind gleich zwei Wunder passiert", sagte der Arzt und riss mich somit aus meinen Gedanken. "Erstens hat Ihre Tochter nichts Schlimmes abbekommen. Wir lassen sie zwei Tage zur Beobachtung hier, aber Sie können echt froh sein, dass trotzt der durch die Gegend geflogenen Glasscherben nichts weiter passiert ist. Das andere Wunder ist, dass Ihre Frau überhaupt überlebt hat." Harry seufzte. "Glauben Sie, Sie können sie retten", ragte er und ich sah die Tränen in seinen Augen. "Hallo, ich bin hier. Mir fehlt nichts", sagt ich, aber er ignorierte mich. "Die Chance, dass sie jemals wieder aufwachen wird ist ziemlich gering. Es tut mir leid, Ihnen das sage zu müssen, aber das Einzige, was Sie tun können ist hoffen. Sie können von Glück sprechen, dass Ihre Frau so langsam und vorsichtig gefahren ist, denn wenn die beiden Autos mit normaler Geschwindigkeit zusammengekracht wäre, hätte es wahrscheinlich für niemanden ein lebendiges Ende gegeben." - "Was ist mit dem Fahrer des anderen Wagens", fragte Harry, aber der Arzt schüttelte nur den Kopf und meinte, dass es für ihn schon am Unfallort keine Rettung mehr gab. Er wendete sich ab und ließ Harry und mich alleine. "Wieso ignorierst du mich und warum glauben alle, ich sei halb tot", fragte ich ihn etwas genervt, aber er ließ sich nur auf einen Stuhl fallen und versteckte sein Gesicht in seinen Händen. Sollte das alles hier ein schlechter Scherz sein? Und warum hatte ich keine Erinnerung an den Zeitraum zwischen dem Unfall und dem Krankenhaus? Ich wollte Harry über den Rücken streicheln, um ihn etwas zu beruhigen, aber im selben Moment stand er auf und ging auf die Tür zu, an der ganz groß in rot "INTENSIVSTATION" stand. Ich lief ihm hinterher. Was genau wollte er jetzt hier, wenn es Sofia doch gut ging? Eine Schwester brachte ihn vor eine Zimmertür und gab ihm Schutzkleidung. Warum musste er welche tragen und ich nicht? Langsam wurde die ganze Sache echt ziemlich seltsam. Er öffnete die Tür und wie traten ein, aber was ich dort sah raubte mir fast den Atem: Ich lag dort in dem Bett, umgeben von piependen Geräten, Schläuchen und Kabeln. Meine Augen waren geschlossen und an den Teilen meines Körper, die nicht zugedeckt waren, waren mehr Wunden als Haut. In meinen (eigentlich blonden) Haaren sah man Blut und Dreck kleben und auf dem Nachttisch neben dem Bett lag mein Handy, dessen Display komplett zerstört war. Daneben war mein Portemonnaie. Es war halb geöffnet und auf dem Boden lag das Bild von Harry, Sofia und mir, welches wir letzten Sommer in Oslo gemacht hatten, als Sofia und ich in die norwegische Hauptstadt geflogen waren, um Harry zu überraschen, der zu diesem Zeitpunkt dort auf Tour war. Ich hatte es immer bei mir und jetzt lag es auf dem Boden eines Krankenhauses. Harry hob es auf und betrachtete es, lächelte kurz und brach dann aber wieder in Tränen aus. In diesem Moment klopfte es an der Tür und kurz darauf standen zwei Polizisten im Zimmer. "Wir hätten da ein paar Fragen bezüglich Ihrer Frau an Sie", begannen Sie das Gespräch. Harry nickte nur, stecke das Foto in seine Hosentasche und wischte sich die Tränen aus den Augen. "Name, Geburtsdatum, familiärer Zustand." - "Ist das Ihr Ernst", fragte Harry und drehte sich weg. "Googleln Sie doch einfach, dann bekommen Sie noch viel mehr Antworten. Ich hab jetzt gerade echt andere Sorgen." - "Es tut mir leid, aber wir müssen das fragen." - "Sarah Emilia Styles, 14. Mai 1994, zweites von vier Kindern, Halbwaise, verheiratet mit mir, Mutter einer Tochter. Kann ich jetzt bitte wieder meine Ruhe haben? Außerdem, was machen Sie überhaupt hier drinnen? Hier dürfen nur Angehörige rein, zu denen Sie ja offensichtlich nicht gehören."

Nach einer etwas längeren Diskussion und dem Beantworten weiterer Fragen wurde Harry dann auch endlich in Ruhe gelassen und nachdem es bis auf das Piepen der Geräte endlich still im Zimmer war, hatte ich zeit zu verarbeiten, was ich gerade erschreckend festgestellt hatte: Mein eigentlicher Körper lag gerade leblos in einem Bett und wurde von Geräten und Schläuchen am Leben gehalten, während ich gerade in diesem Moment nichts anderes war, als ein Geist, vielleicht eine Halluzination von Harry, aber da er nicht mit mir redete, schloss ich letzteres aus.

Zwei Stunden später saß ich einem anderen Krankenzimmer auf einem Stuhl, neben dem Bett, in dem Harry lag und auf Sofia schaute, die in einem Bett für Kleinkinder schlief. Harry hatte ein leerstehendes Bett und für ihn und unsere Tochter ein eigenes Krankenzimmer bekommen. Einer der Vorteile, wenn man berühmt war. Sofia schlief friedlich, nicht wissend, dass ihre Mutter gerade ein paar Stockwerke weiter unten um ihr Leben kämpfte. Harry hatte vorhin mit dem Management telefoniert, um die ganze Sache mit der Presse zu klären und sie hatten sich darauf geeinigt erstmal nichts zu sagen. Auch Liam, Louis und Niall wussten schon Bescheid und hatten vorgeschlagen direkt ins Krankenhaus zu kommen, aber Harry wollte im Moment lieber allein sein. Meine Mutter und meine große Schwester waren vorhin ebenfalls hier gewesen, der Rest war noch nicht über 18 und durfte also nicht zu mir. Amelie, die jüngste von uns Geschwistern, war die ganze Zeit bei Sofia gewesen und mein kleiner Bruder Ben feierte Silvester bei seinem besten Freund und wusste noch gar nichts von meinem Unfall. Mum wollte ihm die Feier nicht versauen, auf die sich schon seit einer halben Ewigkeit gefreut hatte.

Harry hatte den Fernseher eingeschaltet um sich etwas abzulenken. Überall fand man jetzt Countdowns, die die wenigen verbleibenden Minuten bis zum neuen Jahr zählten, auf das ich mich so gefreut hatte. Reisen, Zeit für die Familie und etwas weniger Rampenlicht, waren die Dinge, die Harry und ich uns für nächstes Jahr gewünscht hatten. Als es nur noch drei Minuten bis zum Jahr 2016 waren, machte Harry sein Handy an und suchte ein Foto von der Silvesterparty im letzten Jahr raus und postete es um Punkt Mitternacht auf Instagram. Er hatte extra darauf geachtet, dass niemand auf dem Bild zu sehen war, damit auch keiner bemerkte, dass es dieses Mal keine Bilder von Silvester-Partys geben würde. "Frohes neues Jahr von Sarah, Sofia und mir", schrieb er als Kommentar darunter, schloss die App und legte das Handy auf den Nachttisch. Dann nahm er das Oslo-Bild von vorhin aus der Hosentasche und betrachtete es. "Forever young, I want to be forever young", begann er leise zu singen und auf einmal steigen selbst mir die Tränen in die Augen. Dieses Lied wurde zehn Jahre vor meiner Geburt veröffentlicht und meine Mutter hatte erzählt, dass es im Radio lief, als ich das erste Mal aus dem Krankenhaus nach Hause kam und seit dem war es mein Lieblingslied. Als ich ein Baby war, mussten meine Eltern nur anfangen es zu singen und ich hörte sofort auf zu weinen. Das hielt sich auch die nächsten 16 Jahre und als Harry zu X-Factor ging, war es das erste Lied, dass One Direction als Band gemeinsam gesungen hatte. Es bedeutete uns also beiden viel und war auch das Lied, zu dem wir an unserer Hochzeit knapp einen Monat vor Sofias Geburt den Hochzeitstanz tanzten. Der 15. November 2014 war unser Hochzeitstag. Harry und ich waren beide erst 20 Jahre alt gewesen und die Presse hatte gelästert und keine besseren Titelstorys gefunden als den Fakt, dass wir in den USA nichtmal Alkohol trinken durften, aber schon heirateten und ein Kind erwarteten. Aber Harry und ich waren uns einig, denn wir kannten uns schließlich schon eine halbe Ewigkeit. Und offensichtlich liebte Harry mich immer noch und ich ihn auch.
Es brach mir das Herz, dass ich mir ansehen musste, wie Harry unter meinem Zustand litt. Er weinte so viel, wie ich ihn noch nie hatte weinen sehen. Mittlerweile hatte er versucht etwas zur Ruhe zu kommen und endlich zu schlafen, aber auch das wollte ihm einfach nicht gelingen. Ich legte mich neben Harry. Ich war ja eigentlich sowieso nicht da, also machte es ihm auch nichts aus. Er merkte nicht, dass das eine Ich gerade um mein Leben kämpfte und das andere Ich mit ihm in einem Bett lag und verzweifelt nach irgendeiner Lösung suchte, ihn zu trösten.

Mein Leben als Geist - Harry Styles FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt