Gregory Norman kannte den Anblick des alten, geschlossenen Hallenbades seit Jahren. Es war ihm so vertraut wie das Gesicht eines Verwandten. Aber nun, da er die Stufen bis zum Eingang emporstieg, änderte sich die Perspektive, und es schien, als erwache er aus einem Traum. Er war als Käufer hier. Noch letzte Woche hatte er nie daran gedacht, ein Hallenbad zu kaufen, aber durch Zufall hatte er von dieser Angelegenheit und vom Spottpreis, der verlangt wurde, erfahren. Natürlich ging es ihm nicht um das Hallenbad - das war baufällig und seit Jahrzehnten nicht mehr rentabel -, sondern um das Grundstück. In ihm schlummerte eine Goldgrube, das war Gregory sicher.
"Hören Sie", sagte er und wandte sich dem Mann zu, der ihn begleitete. "Es ist wirklich nicht nötig, dass wir es uns ansehen. Ich kauf's ja nur, um es abzureißen."
John MacDonald, der jetzige Eigentümer, zauberte ein Lächeln hervor, das einer Bitte gleichkam. Lass es uns anschauen, sagte er. "Es dauert nur wenige Minuten. Das Gebäude ist nicht absonderlich groß."
Absonderlich, dachte Gregory mit gerunzelter Stirn. Mehr und mehr gelangte er zu der Ansicht, dass MacDonald ein Spinner war, der dem Lauf der Welt nicht zu folgen wusste. Irgend ein Fetischist, dachte er, der ausgestopfte Tiere oder Bilder von Unfallopfern sammelte. Der Gedanke, mit diesem Mann in ein einsames Gebäude einzudringen, gefiel ihm nicht.
"Wie sind Sie eigentlich an dieses Grundstück gekommen?" fragte er plötzlich. "Gehörte es nicht früher einmal der Stadt?"
MacDonald nickte. Er schloss die breite Eingangstür auf und ließ Gregory den Vortritt. "Das ist richtig. Ich habe es ihr vor zehn Jahren abgekauft, als die Kassen leer waren und die Stadt Geld für Projekte benötigte, die lohnender waren." Seine Stimme hallte von den nackten Wänden wider. "Leider brauche nun ich Geld und muss mich hiervon trennen." Er breitete die Arme aus und schaute Gregory auffordernd an, als handelte es sich um mehr als ein verfallenes Gebäude.
Sie standen in einem leergefegten Foyer, in dem früher Sitzgruppen für Gemütlichkeit gesorgt hatten; jenseits der beiden Drehkreuze, durch die man früher nach Bezahlung gehen konnte, führten Gänge zum Becken und zu den Umkleideräumen. Gregory fühlte, wie sich seine Lunge mit muffiger Luft füllte, die, wie er glaubte, vor Schimmel troff. Es roch brackig, und er verzog das angewidert das Gesicht. Herrgott, er wollte nicht hier sein.
"Man gewöhnt sich dran", sagte MacDonald, der das Mienenspiel beobachtet hatte. "Es ist nicht angenehm, aber man gewöhnt sich dran."
"Man gewöhnt sich an alles, nicht wahr?"
MacDonald schien den zynischen Unterton nicht zu bemerken. "So ist es", sagte er feierlich und schritt durch eines der Drehkreuze. Gregory glaubte, ein Lächeln in seinem Gesicht gesehen zu haben.
Als sie in ein kleines Labyrinth aus schmalen Gängen eintauchten, von denen rechts und links einige Dutzend Türen zu den Umkleidekabinen abzweigten, spürte Gregory, wie warm es hier war, fast schwül. Er begann unter seiner Kleidung zu schwitzen. Die Wände und der Boden waren gekachelt, aber viele der einst hellblau und türkis schimmernden und nun staubiggrauen Fliesen waren fort, als hätte jemand in regelmäßigen Abständen mit einem Hammer zugeschlagen, aus purer Freude an Zerstörung. Zurückgeblieben war schwarzer Mörtel.
Die bislang vorherrschende Düsternis wurde schwächer, weil aus der Richtung, in der sie gingen, ein Schwall Tageslicht zu ihnen drang. Bald darauf endete der Gang, und sie gelangten zum Schwimmbecken, an dessen gegenüberliegendem Rand die Startblöcke und zwei gewaltige Springtürme aufragten. Schichten aus Schimmel - fast wie ein Webteppich, dachte Gregory - überwucherten das riesige Dachfenster. Ein schaler, bitterer Geschmack machte sich in seinem Mund breit.
"Da is' ja Wasser drin", sagte er überrascht. Es war kein klares Wasser, das er im bis zum Rand gefüllten riesigen Becken erblickte, kein verlockendes Schwimmbadwasser. Dieses Wasser hier war dunkelgrün und tot und - wie mit einer erstarrten Haut überzogen - völlig still. Am Beckenrand trieben aufgeweichte, unkenntliche Müllbrocken und einige tote Tiere, teilweise von der Verwesung ausgetilgt. Er sah das schwarze Fell einer Katze, die sicherlich noch nicht lange dort treiben konnte. Ihre todesstarre Schwanzspitze durchstach von unten die Wasseroberfläche. Ein leises Grausen überkam ihn, als er sich vorstellte, dort hineinzufallen.
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Gruselgeschichten HS GG
TerrorEin paar Gruselgeschichten Start des Buches: 31.10.2016