- Kapitel 9 -

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Das erste was ich sah, als ich wieder zu mir kam, war ein brauner Krug mit einem blauen Blumenmuster drauf. Der Krug stand unter mir auf dem Boden, der Krugfuß war nicht mehr zu sehen. Das Gefäß war schön anzusehen, unten dick und oben etwas dünner, die Blütenblätter endeten kurz vor dem Rand der Öffnung. Hübsch... Ich schloss wieder die Augen. Was für grässliche Kopfschmerzen. Ich spürte eine platte, harte Oberfläche, auf die sich mein Körper drückte. Wo war ich hier? Ich schlug die Augen wieder auf und sah auf die Plattform. Helles Holz, vermutlich Birke. Viele kleine Kerben darin. Die eine Seite der Plattform endete kurz vor meinem Kopf, ich spürte, wie meine Füße auf der anderen Seite herunterbaumelten. Ich lag auf einem Holzbrett. Stück für Stück bildeten sich in meinem Kopf wieder die Erinnerungen. 

Der See. Der Mann mit seiner Truppe. Die Faust, mit der er in mein Gesicht geschlagen hat. Brutal. Schmerzvoll. Ahhh! Just in diesem Moment spürte ich den pochenden Schmerz in meiner Stirn. Auch meine Nase fühlte sich irgendwie komisch an. Angetrieben von den Schmerzen und dem Verlangen, endlich zu wissen, wo ich hier war, bewegte ich meine Arme, stützte mich auf und sah mich um. Ich befand mich in einem kleinen quadratischen Zimmer. Links von mir hingen 2 weitere Holzbretter an der Wand. Sie wurden von dicken Ketten an der Wand gehalten. 

Der Raum endete mit einer cremefarbenen Wand mitsamt einem kleinen Fenster. Licht schien hinein und bildete eine helle, rechteckige Fläche auf dem rissigen Steinboden. Ein kleiner Eimer stand in der Ecke unter dem Fenster. Ich konnte den Gestank der Fäkalien, die aus dem Ding schwebten, zum Glück nicht riechen. Als ich meinen Kopf nach rechts drehte, erblickte ich eine Eisentür, die in einen steinernen Türrahmen eingelassen war. Links und rechts von dem Türrahmen waren faustdicke Gitterstäbe in Boden und Decke gebaut. Dahinter sah ich eine weiße Wand mitsamt weißem Marmorboden. Ein Flur. Den ich nicht erreichen konnte. Getrennt durch Gitterstäbe und einer Eisentür. Verschlossen.

Der Krug mit der blauen Blume enthielt zum Glück sauberes Wasser, welches ich mit einem Schluck hinunterspülte. Ich war verdammt durstig. Seit meines Erwachens waren nun schon zwanzig Minuten vergangen. Ich hatte schon dreimal "Ist da jemand?!" in den Flur gerufen, ohne Antwort. Während dieser Zeit hatte ich mein tolles Gefängnis genauer inspizieren dürfen. Die Gitterstäbe waren aus rabenschwarzen Eisen geschmiedet und jeder einzelne fest in Boden und der tiefen Decke eingelassen. Der Türrahmen wies keine Risse auf, die Eisentür war ungefähr 10 Zentimeter dick. Ich versuchte in paar mal mithilfe gezielter, schmerzloser Schläge einen Schwachpunkt an der Tür zu finden. Doch sie schien überall gleich zu sein. Perfekt geschmiedet.

Das Fenster im hinteren Teil der Kammer war durch zwei gekreuzte Eisenstäbe gesichert. Hinter dem Fenster konnte ich nur eine graue Wand entdecken, das war's. Keinerlei Anzeichen wo ich war. Der waagrechte Eisenstab am Fenster war allerdings an einem Ende etwas locker. Ich kam auf das Fenster zu, spannte die Muskeln an und rüttelte so stark an dem Stab, dass die kleinen Risse doppelt so groß wurden, doch dann verlangte meine Hand eine Pause. Der Eimer war eigentlich keiner Erwähnung wert; er stank abartig, aber bei weitem nicht so intensiv, wie ich befürchtet hatte. Na, immerhin.

Mit keuchenden Atem und verschwitztem Gesicht horchte ich nun nach Geräuschen, die mir vielleicht etwas über meinen Aufenthaltsort verraten würden. Von draußen kam Sonne herein, und trotzdem hörte ich nur zweimal leises Vogelzwitschern in der Ferne. Ich setzte mich auf den Boden, im Schneidersitz und schloss die Augen. Ich lauschte weiter, doch gleichzeitig versuchte ich meine Gedanken zu sortieren. 

Ich war nun ein Gefangener, vermutlich sah man mich als ein Mitglied des Amhios-Clans an. Vielleicht war ich ein Gefangener der Wasserwächter, vielleicht wurde ich auch in das Gefängnis Shilmon's gebracht. Das einzige, worauf ich warten konnte, war, dass mich jemand bemerkte. Ich fühlte mich in dieser Kammer komplett isoliert. Moment mal!

Plötzlich überkam mich ein schauerlicher Gedanke. War das ein normales Strafverfahren in Puroschkko? Einen Gefangenen, der anscheinend einer gefährlichen Gruppierung angehört, einfach in einer schmutzigen Kammer verrotten lassen? Ohne Verhör, ohne Prozess, ohne eine Chance der Verteidigung? 

Der Attentäter von gestern kam mir wieder in den Sinn. Jemand, der es auf mich abgesehen hat. Ist es nun passiert? War ich etwa in den Fängen einer Person, die alles über meine Mission weiß?

Ich wusste nicht, wie lange ich im Schneidersitz auf dem Boden meines Gefängnisses saß. Als ich die Augen wieder aufschlug, war das Licht schon dunkler geworden, als hätte man über die Sonne ein dünnes, schwarzes Tuch gelegt. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als ich ein Klimpern von irgendwoher hörte. Ich drehte meinen Kopf herum, als der Ton schlecht geölter Türschaniere in meinem Kopf stach. Schritte. Mein Herz begann schneller zu klopfen. Ich sprang auf und sah durch die Gitterstäbe den Gang runter. Ich konnte sehr gut hören: die schweren Schritte kamen von rechts und waren noch etwa zwanzig Meter entfernt.

Die uniformierte Frau, die mich durch die eisernen Stäbe musterte, erinnerte mich irgendwie an eine Maschine. Ihre Bewegungen, als sie zur Eisentür trat, wie sie innerhalb weniger Sekunden einen bronzefarbenen Schlüssel in das Schloss steckte, mehrmals umdrehte und mich daraufhin mit einen schroffen: "Komm mit!", fest am Arm packte, wirkten so zackig und unförmig, dass mich der Gedanke überkam, diese Person bestünde aus Eisen, Kupfer und Zahnrädern. Auf meine Frage, wer sie sei, reagierte sie nicht. Die Frau war relativ jung, hatte blonde Haare, ein rundes, verkniffenes Gesicht, war aber auch stämmig gebaut. Ich schätzte sie auf etwa fünfundzwanzig. Als sie mich aus der Kammer herauszerrte, hörte ich ein Klirren unter mir und mein Fuß fühlte kurz Wiederstand. Ich drehte mich um und das letzte was ich von der kleinen Kammer sah, bevor ich aus den Gang herausgezogen wurde, war ein zerbrochener brauner Krug mit einer blauen Blume darauf.

Was für eine Situation. Eben gerade noch saß ich mehrere Stunden in einer kleinen, verschlossenen Kammer, vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten, ohne Essen und Latrine. Und von einem Moment auf den anderen führte mich eine seltsame Frau mit azurblauen Mantel und blauer Uniform durch ein Labyrinth aus Gängen mit Fackeln, Treppen, Sackgassen und Eisentüren. Begleitet wurden wir von einen Wächter, der hinter uns herlief. Ebenfalls mit Mantel und einem Eisenschwert, dass lahm auf meinen Rücken gerichtet war. 

Die seltsame Frau schliff mich mehr, als sie mich führte, mehrmals versagten mir meine betäubten Beine den Dienst und ich wurde wie ein Sack Mehl über den Boden gezogen. Kein einziges Mal verlangsamte die Frau ihr Tempo, und auf meine ganzen Fragen antwortete auch niemand. Ich konnte mich nicht aus dem Griff der Frau lösen. Und hätte ich meine freie Hand dazu benutzt, hätte der Mann hinter mir, mir vermutlich den Rücken aufgeschlitzt. Nach zehn Minuten durchgehendem Laufen, was für mich zehn Minuten hinterherziehen lassen bedeutete, bog die die Maschinen-Frau nach rechts ab und wir standen am Anfang eines langen Gangs. 

Der Gang war etwa vier Meter breit, bogenförmig gebaut, besaß links und rechts blaue Mauern und am anderen Ende des Ganges stand eine Tür sperrangelweit offen. Sonnenlicht flutete die Hälfte des Gangs, bis es sich auf dem Weg zu uns in der Dunkelheit verlor. Ich musste fest die Augen zusammenkneifen. Hinter mir atmete der Mann erleichtert aus. Offenbar mochte er das lange Laufen in den dunklen Gängen nicht. Wenigstens ist dein rechtes Handgelenk nicht zerquetscht, Weichei!, dachte ich mir. Die Frau legte wieder ein scharfes Tempo ein, diesmal konnte ich mithalten. Jeder Schritt näher an den lichtdurchfluteten Eingang ließ meine müden Muskeln wacher werden. 

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⏰ Last updated: Nov 06, 2016 ⏰

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SandgeiselWhere stories live. Discover now