Acht

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Immer stand ich da und schwieg. Ertrug jede einzelne Beleidigung und kämpfte gegen die Tränen, die sich bald gar nicht mehr ihren Weg nach oben bahnten.

»Du hässliche Hexe!«, sagten sie. »Du siehst aus wie so 'ne Fehlgeburt!«

Ich senkte meinen Blick auf den Boden und hoffte, sie würden mir ins Gesicht sehen, nichts mehr an mir finden, das sie abscheulich fanden.

Natürlich änderte das nichts.

»Du bist genauso asozial wie deine Mutter!«, riefen sie. »Könnt ihr euch keine vernünftigen Kleider leisten?«

Ich legte mir jeden Abend meine schönsten Anziehsachen raus und hoffte, ihnen würde entgehen, dass sie nicht so recht zusammenpassten. Dass sie manchmal Flecken hatten, weil Mama nicht zum Waschen kam.

Es entging ihnen nicht.

»Verpiss' dich von hier!«, brüllten sie und ich begann zu schweigen, mich gar nicht mehr zu regen als könne ich so unsichtbar werden.

Doch nichts änderte sich.

Bis zu einem Frühlingsmorgen in der vierten Klasse. Auch wenn vereinzelt noch Schnee lag, schien die Sonne vom Himmel. Die Mädchen aus meiner Klasse standen bei der Turnhalle und steckten lachend ihre Köpfe zusammen. Ich kam ihnen nur langsam näher und kämpfte mit aller Kraft der Versuchung an, einfach wieder umzudrehen. Dabei hatte ich mir das solange vorgenommen.

Morgens, wenn ich aus meiner Müslischale aß und in einem meiner Bücher herumblätterte, meine Gedanken aber zu meinen Klassenkameraden abdrifteten. Oder abends im Bett, wenn ich meine Kuscheltiere ansah und mir nichts sehnlichster als richtige Freunde wünschte.

»Hallo«, murmelte ich und wiederholte das Wort lauter, als ich merkte, dass ich viel zu leise gesprochen hatte.

Sie taten so, als hätten sie mich nicht gesehen, verengten aber ihren Kreis, damit ich keinen Platz darin hatte. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und versuchte zu erkennen, was sie da machten. Es war eine Bravo, die Freja auf der Sexseite aufgeschlagen hatte.

»Was macht ihr da?«, startete ich einen neuen Versuch.

»Ih, geh weg! Du stinkst!«, kreischte Karina, die mir am nächsten stand. Sie wedelte mit der Hand vor der Nase herum, als müsste sie einen ekelhaften Gestank vertreiben.

»Ich glaube, das liegt daran, dass sie Scheiße gefressen hat«, meinte Freja mit einem gemeinen Grinsen. Ehe ich überhaupt realisierte, was sie vorhatte, hatte sie mir schon ihr Nutella-Brot ins Gesicht gedrückt. Die Schokocreme blieb an meinen Wimpern kleben und verschleierte meine Sicht.

»Sarah frisst Scheiße!«, johlten die anderen im Chor. Zwei Jungs, die zu der Gruppe dazustießen, schlossen sich an.

Dieses Mal musste ich nicht gegen meine Tränen ankämpfen.

»Sarah frisst Scheiße!«

Heute war es nur die Wut, die in meinem Bauch aufwallte.

Ich hatte nichts falsch gemacht, das wusste ich. Ich hatte mich sogar noch darum bemüht, mich mit den anderen anzufreunden. War immer nett zu ihnen, ganz gleich, wie oft sie mich beleidigt hatten.

»Das ist so ungerecht! Was hab ich euch denn getan?«, hörte ich mich plötzlich sagen. Meine Stimme zitterte, doch mit einem Mal hatte ich keine Angst mehr vor ihnen. Sie waren diejenigen, die etwas falsch machten. Nicht ich.

»Ich weiß ganz genau, was du uns getan hast.« Luisas Stimme klang so gehässig wie noch nie, als sie sich vor mir aufbaute. Bisher hatte sie sich im Vergleich zu den anderen zurückgehalten »Du bist hässlich. Du stinkst. Du bist richtig widerlich. Du läufst rum wie eine Müllhalde.« Jeden einzelnen Punkt zählte sie an ihren Fingern auf. »Hab ich etwas vergessen?«

ViktorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt