Vor einer guten Stunde hatte sich Carolina entschlossen rauszugehen.
Eine Stunde zuvor hätte sie sich nicht träumen lassen, dass sie jetzt neben einem grünhaarigen Jungen ihr unbekannte Strassen entlang lief. Wäre es nach ihrem Plan gegangen, so wäre sie wohl in die Innenstadt gefahren. Durch Flyer wusste sie, dass dort zu Silvester viele Feierlichkeiten für Menschen in ihrem Alter stattfanden. So etwas war doch mehr nach ihrem Geschmack, als jetzt neben Bastion durch dunkle Gassen zu streifen.
Nach einer Weile hielten die beiden vor einer blaugestrichenen Tür. Die Farbe war bereits abgeblättert. Aus dem Block, der die Tür besass, war laute Musik zuhören. Der Bass dröhnte bis nach unten. Alles schien darunter zu vibrieren.
Breitgrinsend stiess Bastion die Tür des Wohnblocks auf. Carolina folgte ihm etwas missmutig. Ihr Herz pochte lautstark. Wohin brachte er sie jetzt?
Die schlimmsten Szenarien malte sie sich vor ihrem inneren Auge aus, als sie ihm die Treppen hinauf in den dritten Stock folgte. Von der dortigen Tür war die Musik nochmals einen Zacken lauter zuhören, als unten. Nun war die Vibration des Basses eins mit dem Herzschlag von Carolina.
„Ich hoffe einfach, dass meine Freunde Dir keine Angst einjagen!“, rief Bastion ihr ins Ohr, ehe er die Tür zur Wohnung aufstiess. Drinnen sah alles ganz normal aus. Bis auf die vielen jungen Leute in Lederjacken und den exotischsten Haarfarben und –frisuren.
Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, schienen sich alle in der Wohnung nach Bastion und Carolina umzudrehen.
Ein weiterer junge, mit einer ähnlich ausgefallenen Haarfarbe, kam auf die beiden zugestürmt. „Bass!“, rief er freudig und umarmte den Jungen mit den grünen Haaren. „Wen hast Du uns den da schönes mitgebracht?“
„Schiggy, darf ich vorstellen: Das ist Carolina.“
Ehe Carolina es sich versah, umarmte dieser Schiggy sie kräftig. So, als gehörte sie schon immer zur Clique dazu. Fasziniert hörte Carolina dem Gespräch der beiden Jungs mit der auffälligen Farbe auf dem Kopf zu. Doch für ihr Sprachniveau sprachen sie ihr zum Teil noch zu schnell. Sie verstand nicht alles, aber dennoch konnte sie der Unterhaltung gut folgen.
„Ich dachte Du kommst nicht mehr!“ Bastion lachte auf den Kommentar seines Kumpels herzhaft. „Glaubst Du Bass lässt sich eine Party seines Kumpels Schiggy entgehen?“
Die beiden Jungs bewegten sich mehr in Richtung Buffet zu. Carolina wusste nicht so recht, was sie jetzt am besten tun sollte. Jedoch entschied sie sich dafür, den beiden unauffällig zufolgen.
Doch Carolina fiel neben den ganzen bunten Haaren und den aufgefallenen Kleidern mehr auf, als das sie wollte. Wo normalerweise jemand wie Bastion auffiel, war hier die komplette Masse im Einklang. Sie war der Paradiesvogel. Ein ungewohntes Bild für Carolina.
Aber dennoch fühlte sie sich nicht unwohl. Die Musik war ganz passabel und irgendwie hatte sie auch gewissen Gefallen daran gefunden. Es war um einiges angenehmer so etwas zuhören, als in einer überfüllten Disco zu eintönigem umz-umz die Hüften kreisen zulassen. Zwar sah das hierzu bestimmt falsch aus, wenn man wie in der Disco lostanzte. Aber die Stimmung! Diese war bei Bastions Freunden um einiges herzlicher als in jeder Disco. Auch wenn Carolina hier der Paradiesvogel war – keiner machte sie dumm an. Nicht mal dumm angebaggert von der Seite wurde sie. Irgendwie war das auch mal schön.
Bastion und sein Kumpel waren an der spärlich aufgebauten Bar angekommen. Ohne Carolina nach ihren Wünschen zu fragen, drückte Bastion ihr ein Bier in die Hand. „Auf die noch junge Nacht!“
„Auf die noch junge Nacht“, wiederholte Carolina leicht nervös. Sie stiess mit Bastion an, ehe sie einen Schluck aus der Flasche nahm.
Bastion blieb in ein und derselben Position neben ihr stehen, bis Schiggy von einem Mädchen weggezogen wurde. „Ich hab einen Plan“, flüsterte der Junge mit den grünen Haaren Carolina ins Ohr. „Die da wäre?“, fragte sie gebannt zurück. Ein breites Grinsen fand seinen Platz in Bastions Gesicht.
„Lenk Du irgendwie die Leute um mich herum ab. Ich klau uns bisschen Alkohol zusammen. Sobald ich lauf sage, rennst Du nach draussen.“
„Was?“, fragte Carolina geschockt. „Tu’s einfach“, wiederholte Bastion. Er gab ihr einen kleinen Schubs. Doch sie blieb stur stehen. „Wieso beklaust Du deine Freunde?“
„Ich beklaue sie nicht. Ich borge mir nur.“
„Das kannst Du nicht machen, Bastion. Das sind deine Freunde… dachte ich zumindest.“
Bastion schmunzelte. „Süss, wie Du dich um mich sorgst. Aber tu’s einfach Carolina. Ich will den Einklang ins neue Jahr nicht mit Dir hier verbringen. Ich will Dir einen viel besseren Platz zeigen.“
„Und das kannst Du nicht ohne Alkohol?“
Ein seufzen ging von Bastion aus. „Ich wollte mit Dir anstossen. Deshalb wollte ich was mitgehen lassen.“
Nun war Carolines, die schmunzelte. Sie wusste nicht, was gerade geschah. Jedoch knuffte Carolina den Jungen vor ihr kräftig. „Dann nimm zwei Flaschen Bier mit. Das fällt nicht so stark auf.“
Lachend schüttelte Bastion den Kopf. „Du bist langsam doch kein braves Mädchen mehr.“
Carolina verdrehte die Augen, tat jedoch das, was Bastion ihr gesagt hatte. Sie lenkte die anderen zwar nicht ab, passte aber auf, dass keiner bemerkte, was sie hier gerade taten.
Bastion steckte neben den paar Flaschen Bier auch noch eine Flasche härteres ein, ehe er Carolina ein Zeichen gab, dass er fertig war. Carolina war erstaunt, dass keiner was mitbekommen hatte, dass der auffällige Kerl hinter ihr, gerade mehrere Flaschen Alkohol eingesteckt hatte. Andererseits war Carolina auch fasziniert, wie blitzschnell Bastion die Sachen zusammengeklaut hatte.
Brav verabschiedeten sich die beiden von den Leuten in der Wohnung.
Unbemerkt kamen sie mit dem Alkohol aus dem Haus heraus. Sie liefen stumm nebeneinander die Gassen entlang, ehe Bastion irgendwann anfing zu lachen. „Ich hätte nie gedacht, dass Du meine Verbündete wirst, Carolina.“
„Was wollte ich sonst?“, kreischte diese beinahe hysterisch los. „Ich hätte Dich ja auch verpetzen können.“
Doch der Junge mit der auffälligen Haarfarbe schüttelte nur den Kopf. Er legte ihr einen Arm um die Schulter, zog sie so neben sich her. „So wie ich dich einschätze, hättest Du das nicht gekonnt.“
Wie recht Bastion doch da hatte.
Carolina war ein Schisser, wenn es zu so etwas kam. Ein kleiner Seufzer liess sich nicht verkneifen, worauf Bastion lachen musste. „Bereit in den nächsten Bus zusteigen?“, fragte er.
Verwirrt blieb Carolina stehen. „Und was willst Du da?“
„Zum See fahren“, lachte Bastion. Ohne Carolina nach Erlaubnis zu fragen, griff er nach ihrer Hand. Mit verschränkten Fingern liefen die beiden zur Bushaltestelle zurück.
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too good to be bad
Short StoryBastion Zorak. Der Junge mit den grünen Haaren. Der grossen Klappe. Den die ganze Stadt für seine Dummheiten kennt. Carolina Murphy. Das Au-Pair Mädchen, welches an Silvester auf den jungen Punk trifft und von all seinen Taten nichts weiss. Doch w...