Etwas Verbotenes tun

98 10 2
                                    

Ich vermisse Peeta. Ich weiß, er ist gerade mal zwei Tage weg, aber es fühlt sich wie zwei Wochen an. Ziellos laufe ich durch die Gassen. Als ich an der Bäckerei von Peeta's Eltern vorbeikomme, hebe ich den Kopf. Ich muss wieder daran denken, wie ich Peeta das erste Mal begegnet bin. Ich sehe Peeta's Vater im Laden. Er sieht mich durch das Schaufenster starren und winkt mir zu. Kurz überlege ich, ob ich hinein gehen soll, doch ich entscheide mich dagegen. Stattdessen winke ich kurz zurück und laufe dann weiter. Ohne es zu wissen, tragen mich meine Füße zum Saum. Ich bemerke dies allerdings erst, als ich vor dem Hob, dem Schwarzmarkt stehe. Es herrscht hier sehr viel Betrieb. Hier bekommt man fast alles. Ich betrete den Schwarzmarkt eigentlich nie, meine Eltern wollen das nicht. Entgegen den Wunsch meiner Eltern stöbere ich durch die Waren des Hob. "Und? Etwas interessantes dabei?", höre ich hinter mir jemanden sagen. Ich drehe mich um und sehe den Jungen, den ich nach der Ernte getroffen hatte. "Oh, hallo. Gale, richtig?", sage ich und er nickt. "Und dein Name war Jazmin, nicht?" Jetzt nicke ich. "Was machst du hier?" Ich schaue nervös zu Boden. "Weiß nicht. Ich bin ziellos umhergelaufen und kam hier an.", gestehe ich. Gale lacht leise. "Die magische Anziehungskraft des Hob." Ich lächle krampfhaft. "Vermutlich.", sage ich und sehe mich verstohlen um. "Wieso bist du so nervös?", fragt mich Gale. Ich sehe ihn an. "Bin ich überhaupt nicht.", lüge ich schnell. Gale sieht mich skeptisch an.
"Ach? Wirklich? Und wieso schaust du dich die ganze Zeit um?", fragt er. "Du kannst mir nichts vormachen." Ich seufze schwer. "Meine Eltern wissen nicht , dass ich hier bin. Sie wollen nicht, dass ich den Hob betrete.", sage ich schließlich. Gale sieht mich mit hochgezogener Augenbraue an. "Wieso?", fragt er mich. Ich seufze erneut. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihm den Grund nennen soll. "Nun ja, sagen wir, sie halten nicht viel von den Leuten hier.", nuschle ich. Mir ist das alles ziemlich unangenehm. Scheu sehe ich nach oben und sehe, das Gale grinst. "Ah ja, das übliche.", murmelt Gale. "Es tut mir leid. Ich ..."  Gale legt mir eine Hand auf die              Schulter. "Ist schon okay, ehrlich.", versichert er mir. "Ich habe nur eine Frage ..." Ich sehe ihn fragend an. "Ja?"
Er zögernd kurz, doch dann sieht er mich an und fragt: "Hast du eigentlich schon mal etwas Verbotenes getan? Etwas, womit deine Eltern nicht einverstanden waren?" Verblüfft sehe ich ihn an. "Nun, wenn du so fragst. Nein, eigentlich nicht. Wieso fragst du?", gebe ich zurück. Gale schüttelt nur mit dem Kopf. "Folge mir." Ich verstehe nicht recht, doch es bleibt mir keine Zeit zu fragen, denn Gale geht, ohne noch einmal zu mir zu blicken, voran. Geschockt bleibe ich noch ein paar Sekunden stehen, doch als Gale beinahe aus meinem Blickfeld verschwindet, renne ich ihm nach. "Warte!" Ich folge Gale durch den ganzen Saum und frage mich, wo er mich hinbringen will. Vor dem elektronischen Zaun, der unseren Distrikt umgibt, bleibt er stehen. Er dreht sich um und sieht mich herausfordernd an. Verwirrt erwidere ich seinen Blick. "Du wolltest mir den Zaun zeigen? Es tut mir ja leid dich enttäuschen zu müssen, aber den kenne ich schon.", sage ich und lächle leicht. Er lächelt zurück und schüttelt den Kopf. "Das ist mir bewusst.", sagt er. "Aber wusstest du, dass er häufig nicht unter Strom steht?" Ich sehe kurz zum Zaun, dann wieder zu Gale. "Nein, aber ich gehe ja auch nicht jeden Tag hier hin und begutachte die Funktionstüchtigkeit des Zauns.", gebe ich zurück. Jetzt lacht Gale. "Du weißt aber schon warum er gebaut wurde, oder?", fragt er nun. Ich verdrehe die Augen. "Natürlich, so blöd bin ich nun auch wieder nicht. Er wurde ursprünglich dazu gebaut, um uns vor Raubtieren zu schützen.", erwidere ich. Gale nicht zufrieden und sieht mich dann ernst an. "Ich habe nie behauptet, dass du blöd bist. Ich habe dich nur als oberflächlich gehalten." Ich sehe ihn verwundert an. "Und jetzt? Hälst du mich jetzt nicht mehr für oberflächlich?" Gale grinst. "Nicht mehr so sehr wie vorher." Ich lächle zurück. "Warum sind wir hier? Willst du Lehrer spielen und mir die Ecken von Distrikt 12 zeigen, die ich nicht kenne, weil ich oberflächlich bin?" Gale sieht mich an. "Der Zaun hat Schwachstellen, wusstest du das?", fragt er weiter und ignoriert meine Frage völlig. Ich sehe ihn verwirrt an. "Ähm, nein.", sage ich. "Gale, was wird das hier?" Er grinst nur. "Du sagtest vorhin, dass du noch nie etwas Verbotenes getan hast. Diesen Umstand ändern wir jetzt.", sagt er und grinst noch breiter. Da ich nicht weiß, wovon er da spricht, sehe ich ihn mit gerunzelter Stirn an. "Wie meinst du das?", frage ich ihn vorsichtig. Als Antwort zeigt er auf ein Loch am Boden des Zauns und kriecht hindurch. "Gale! Was zur Hölle tust du da? Komm sofort zurück!", zische ich und sehe mich panisch um. "Bleib locker. Nun, worauf wartest du?", sagt er und steht auf. Ich sehe ihn mit gehobener Augenbraue an. "Wie bitte?"
"Ja, komm schon. Das ist einfach.", gibt er zurück. "Moment, ich soll ...? Auf gar keinen Fall! Wenn die Friedenswächter uns erwischen, bringen sie uns um!", sage ich und fange an, an Gale's Verstand zu zweifeln. "Feigling.", entgegnet er frech. "Ich weiß ja nicht, ob du dich nach den Tod sehnst, ich auf jeden nicht. Deshalb werde ich bestimmt nicht unter diesem Zaum durchklettern.", zische ich aufgebrachr. "Jetzt hab dich nicht so. Brech doch einmal die Regeln. Das ist nicht so schlimm. Zeig mir, dass mehr in die steckt, als das oberflächliche Mädchen, wofür ich dich gehalten habe und irgendwie immer noch tue.", fordert Gale mich heraus und ich muss zugeben, dass mich diese Worte tief treffen. Ich beiße mir auf die Lippe und überlege, ob ich das wirklich tun soll. Am Ende siegt mein Stolz und ich krabble unter dem Zaun hindurch. "Na also, geht doch. Beeil' dich bloß, bevor er wieder Saft bekommt.", sagt Gale. Ich seufze genervt und krieche schneller. "So, ich habe es getan. Können wir jetzt wieder zurück gehen?", frage ich nervös. Gale sieht mich an und schüttelt den Kopf. "Nein, das war erst der erste Teil deiner ... sagen wir mal ... Prüfung.", gibt er lässig zurück. "Prüfung? Was für eine Prüfung?", will ich wissen. "Ob du das Zeug hast, dem Kapitol die Stirn zu bieten." Ich sehe ihn an. Warum sollte man dem Kapitol die Stirn bieten? "Wozu?", frage ich langsam. Gale schüttelt mit dem Kopf. "Nicht hier. Komm." Ich folge ihm in den anliegenden Wald. Vor einem Stamm bleibt er stehen und holt einen Bogen, samt Köcher hervor. "Hier, nimm." Vorsichtig nehme ich die Sachen entgegen laufe ihm weiter hinterher. Mitten im Wald bleibt er stehen und dreht sich zu mir um. "Du musst ihn anlegen. Ich liege wohl richtig damit, wenn ich behaupte, dass du noch nie einen Bogen in der Hand hattest, was?", sagt er. "Nein, hatte ich nicht. Wozu auch?", gebe ich murmeln zurück. Gale hilft mir, den Köcher überzuwerfen, dann sieht er mich ernst an. "Hör zu. Ich möchte, dass du von jetzt an immer dicht bei mir bleibst, okay? Hier gibt es Giftschlangen und andere, gefährliche Dinge." Ich nicke ängstlich. "Gut. Ich werde dir mal beibringen, wie man damit umgeht.", sagt Gale und deutet auf den Bogen in meiner Hand. Er geht zu einem entfernten Baum und holt ein Messer aus seiner Tasche. Dann ritzt er damit eine Art Zielscheibe und den Baumstamm. "Du wirst jetzt versuchen dieses Ziel zu treffen, okay?", sagt er. Ich nicke langsam. "Ich werde es versuchen." Gale kommt zu mir und zeigt mir, wie ich mit dem Bogen Ziele und wie ich die Pfeile in die Sehne zu legen habe. Als ich alles verstanden habe, versuche ich mich an meinem ersten Schuss. Der Pfeil verfehlt das Ziel um knapp einen halben Meter. "Das war zu hoch. Das positive ist, dass du immerhin den Baum getroffen hast.", sagt Gale. Ich versuche es immer und immer wieder und ich verbessere mich sogar jedes mal ein wenig. Beim elften Versuch treffe ich endlich das Ziel. Zwar nicht genau in der Mitte, aber immerhin. "Das war gut!", lobt mich Gale und ich strahle ihn glücklich an. "Deine Frage vorhin, wozu man dem Kapitol die Stirn bieten sollte ... Du befürwortest das Kapitol und seine Machenschaften doch nicht etwa?", fragt mich Gale, als er den Pfeil aus dem Baum zieht. Ich sehe ihn an. "Was glaubst du?", entgegne ich, als er mir den Pfeil reicht. Er zuckt nur mit den Schultern. "Ich hasse das Kapitol und seine dämlichen Hungerspiele! Ohne das Kapitol, wäre mein bester Freund jetzt nicht dort und würde sich für die Arena bereit machen!", zische ich wutentbrannt und lasse den Pfeil sausen. Er trifft das Ziel genau in der Mitte, doch ich bin zu aufgebracht um mich darüber zu freuen. "Hey, Jazmin. Ist ja gut. Du musst nicht weinen.", sagt Gale behutsam und nimmt mich in den Arm. Ich hebe eine Hand und lege sie kurz auf meine Wange. Sie ist nass. Ich weine tatsächlich. Das habe ich gar nicht bemerkt. "Ich habe nur Angst, dass ich ihn nie Wiedersehen werde.", schluchze ich und lasse den Tränen nun freien Lauf. "Ich weiß, wie du dich fühlst.", brummt Gale. Stimmt, seine beste Freundin Katniss hat es auch erwischt. Heute fängt das Training der Tribute an. In den nächsten drei Tagen werden sie für die Arena trainiert. Darunter auch Katniss und Peeta. Als ich mich beruhigt habe, beschließt Gale, dass ich genug geübt hatte und schlägt vor, dass ich mich nun ans Jagen versuchen kann. Wir Jagen zwei Stunden und haben eine relativ gute Ausbeute erzielt. Drei Eichhörnchen und zwei Hasen. "Wir sollten zurück gehen.", sagt Gale und ich nicke. "Was wirst du deinen Eltern erzählen, wo du die ganze Zeit warst?" Ich seufze. "Weiß noch nicht. Spazieren und über Peeta nachgedacht vielleicht.", erwidere ich. Gale lacht. "Das ist ja auch nicht ganz gelogen." Jetzt muss auch ich lachen. Wir kriechen unter dem Zaun zurück in unser Distrikt und gehen dann wieder unsere eigenen Wege.

Das Leben in Distrikt 12Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt