„Miss Jane! Miss Jane!“ hörte man Misses Harolds von weitem rufen. Jane blicke über den Rand ihres Buches und sah Misses Harolds nervös winkend auf sie zulaufen. Was wohl los war? Jane entschloss sich das Buch zu schliessen, stand auf und ging einige Schritte auf Misses Harolds zu. „Miss Jane, der Lord ist zurück.“ Bei diesen Worten musste Jane unweigerlich lächeln. „Er möchte Sie sogleich sehen Miss!“ redete die ausser Atem gekommene Miss Harolds. Erst jetzt wurde ihr der panische Unterton in Misses Harolds Stimme bewusst. „Was ist passiert?“ – „Oh Miss, der Lord…“ sie suchte nach Worten. „Der Lord ist wohl nicht bester Laune. Also kommen Sie schnell, bitte!“ flehte die alte Haushälterin.
Jane wusste dass Tristan nicht gerade der geselligste war, doch wusste sie auch, dass Misses Harolds den jungen Lord gewissermassen aufgezogen hatte. Daher wunderte sie sich, warum diese denn so aufgeregt war.
Tristan war vor drei Tagen nach Innishannon gereist um sich mit Janes Vettern Sean und Henry zu treffen. Angeblich wollten die drei das weitere Vorgehen bezüglich Janes Flucht besprechen.
„Ich bin dann in der Küche.“ Sagte Misses Harolds und lächelte Jane besorgt an. Dann war sie weg und Jane stand alleine vor der grossen, mit Schnitzereien verzierten, Holztür, die in Tristans Arbeitszimmer führte.
Es klopfe dreimal. „Herein.“ Rief Tristan und sogleich öffnete sich die Tür und Jane trat zögerlich herein. Sie blickte zu Tristans Schreibtisch, erwartete ihn da wo er immer sass. Als sie ihn da nicht antraf, drehte sie sich suchend um und fand ihn in einem Sessel neben dem Kamin sitzend. Seine schulterlangen roten Haare hatte er hinten im Nacken zu einem Zopf gebunden, nur einzelne orange Strähnen hingen ihm lose ums Gesicht. Seine goldbraunen Augen trafen die ihren. Dieser unergründliche Blick und die Narbe über seinem linken Auge, welche nun im Schein des Kaminfeuers noch offensichtlicher schien, liessen ihn leicht bedrohlich wirken.
Jane atmete tief durch. „Sir.“ Sagte sie leiser als gewollt und verbeugte sich leicht. Tristan starrte sie weiterhin an. Jane wartete auf eine Begrüssung seinerseits, doch Tristan hob nur seine Hand, in welcher er ein Glas hielt, an seinen Mund und nahm einen Schluck, ohne dabei seinen Blick von ihr abzuwenden. Erst da bemerkte Jane das Glas. Von Misses Harolds wusste sie, dass Tristan nie trank. Misses Harolds hatte ihr erzählt, dass er die Narbe am Auge von einem Glas hatte, mit welchem sein Grossvater wütend und im Rausch nach ihm geworfen hatte. Er sei dabei erst neun Jahre alt gewesen. Jane wurde bewusst, dass sie Tristan noch nie Alkohol trinken gesehen hatte. Was auch immer in diesem Glas war, es machte ihr ein mulmiges Gefühl, denn es musste ja einen Grund geben warum er dieses Zeug nun plötzlich trank.
Währen Jane noch immer das Glas betrachtete, erhob sich Tristan aus dem Sessel. „Miss Jane.“ sagte er kühl und verbeugte sich ebenfalls. Dann nahm er noch einen Schluck. „Seit wann seid Ihr zurück, Sir?“ versuchte Jane die Situation zu entspannen. Ein verächtliches Schnauben war zu hören. „Seit einigen Stunden.“ Jane war unwohl zu Mute, sie schaute ins Kaminfeuer, rieb sich dabei nervös ihren Arm. „Wie… Wie geht es Henry und Sean?“ fragte sie unsicher und blickte zurück zu ihm. Tristans Augen verengten sich. Er leerte den Rest seines Glases in einem Schluck.
„Jane, habe ich Euch je einen Grund gegeben mir nicht zu vertrauen?“ fragte Tristan heiser. Jane, verwundert über diese Frage, entgegnete: „Nein Sir, niemals. Ihr habt mich hier aufgenommen und ich fühle mich sicher bei Euch.“ antwortete sie ehrlich. Tristan ging einige Schritte auf sie zu. „Denkt Ihr wir können dann offen und ehrlich zueinander sein?“ Jane nickte.
Tristan runzelte die Stirn, sah in sein leeres Glas, schaute dann wieder hoch zu Jane. „Wisst Ihr noch damals, als wir zum ersten Mal zusammen ausgeritten waren? Als Euer Korsett Euch verletzt hatte?“ fragte er während er ihr den Rücken zudrehte um sein Glas nachzufüllen. Bei der Erinnerung an damals, lief es Jane kalt den Nacken herunter.
DU LIEST GERADE
All Our Scars
RomanceAuf der Flucht vor ihrem gewaltätigen Onkel findet Jane Zuflucht auf Lord Tristans Herrenhaus. Der gutaussehende aber distanzierte Tristan zeigt sich mit der Zeit als wahrer Gentleman. Seine sanfte und vertrauenswürgide Seite lässt Jane's Gefühle fü...