Frieden

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Ich berührte mein Oma. Ihre Haut war kalt und fühlt sich irgendwie härter an. Sie war blass, leichenblass. Was eine Ironie. Mein Opa weinte fürchterlich. An diesem Tag sah ich ihn zum ersten Mal aus Trauer weinen. Er streichelte ihre Hände und ihr Gesicht, küsste sie und murmelte: "So kalt, sie ist so kalt." Oma war kalt. Oma war tot. Meine Mutter und mein Opa weinten, ich umarmte meinen Vater. Er musste nicht so sehr weinen, deshalb fühlte ich mich bei ihm wohler. Da waren wir zwei, die nicht richtig weinen konnte. Und zwei die kaum aufhören konnten. Ein paar Minuten später haben wir langsam angefangen, ihre Sachen aus den Schränken in einen Koffer und einen Karton zu räumen. Eine der Pflegerinnen kam ins Zimmer, sprach uns ihr Beileid aus und zündete ein Teelicht im Glas an, das neben einem Foto von mir auf dem Krankenhaustisch neben ihrem Bett stand. Ein paar Sekunden war es immer ruhig, doch dann fing mein Opa wieder an, zu schluchzen. Ich legte noch einmal meine Hände auf die von meiner Oma, nun waren sie fast menschlich warm, weil mein Opa sie die ganze Zeit gewärmt hatte. Die Pfarrer in meiner Gemeinde sagen immer zum Ende eines Gottesdienstes: "Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig. Der Herr erhebe sein Angesicht und schenke dir Frieden. Amen." Ich sagte es zu ihr, schnell und mit zitternder Stimme, aber ich wollte in diesem Moment daran glauben, dass sie jetzt an einem besseren Ort ist, dass sie jetzt ihren persönlichen Frieden findet, uns vielleicht beobachtet, stolz auf mich sein kann, wie sie gewesen wäre, würde sie noch weiter leben. Wir haben weiter eingepackt, ich habe mich von ihr verabschiedet und ihr gesagt, dass ich sie für immer lieb haben werde. Opa sagte: "Wir lassen sie allein." Ich wollte ihm unbedingt widersprechen, wollte ihm unbedingt diese Schuld nehmen. "Nein", sagte ich also zu ihm und umarmte sein Schultern von hinten, er saß auf einem Stuhl an Omas Bett. "Wir lassen sie nicht allein. Denn Oma kommt mit uns, wohin wir auch gehen." Ich hätte gerne noch hinzugefügt, dass sie jetzt frei sei. Aber dann fiel mir auf, dass man ihr Leben vor allen Dingen nicht vor meinem Opa als Gefängnis bezeichnen sollte. Auch wenn es ihr Körper in den letzten Monaten ihres Leben wirklich war. Ein Gefängnis. Aus dem ihre liebevolle gütige Seele nicht entkommen konnte.

Sie ist tot. Und ich? Fühle nichts.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt