Ein gut gekleideter Herr mittleren Alters mit Anzug und Schlips und grau- melierten Haaren stellte sich an die Theke und bestellte mit belegter Stimme, in altbekannter Manier, einen Bourbon on Ice, sein persönliches Betthupferl. Seine müden Augen folgten meinen routinierten Bewegungsabläufen. Ein Stammgast, der alle paar Wochen für ein bis zwei Nächte im Hotel eincheckte. Ich wusste nicht viel über ihn nur, dass er Geschäftsmann war. Er wirkte immer etwas wortkarg, war freundlich distanziert aber gab gutes Trinkgeld. Diese Kunden mochte ich am Liebsten. Ich selber war auch nicht der redselige Typ, was mir dieser Gast nicht Übel nahm. Ich hatte sogar das Gefühl, er schätzte das erwiderte Schweigen. Gesagt wurde nur das Nötigste, trotzdem herrschte eine gewisse Vertrautheit zwischen uns. Seine Augen sahen immer etwas melancholisch aus, tiefe Falten rahmten seine undurchdringlichen grauen Augen ein. Er zog seine Mundwinkel leicht nach oben und nickte mir zu, als ich ihm eine gute Nacht wünschte, das Whiskeyglas vor ihm auf die schwere Holztheke abstellte und ihm ein ehrliches Lächeln schenkte. Nicht eines dieser aufgesetzten, auf einen großzügigen Tip ausgerichteten Lächeln einer überengagierten Kellnerin, die es, unter uns gesagt, in diesem Hotel zuhauf gab.
Ich ließ mich meist für die Spätschicht an der Hotelbar einteilen. Die meiste Zeit verbrachte ich alleine und ab etwa 22.00 Uhr kamen nur noch vereinzelt Gäste an die Bar, sodass ich immer genug Zeit hatte, die Theke für den nächsten Tag vorzubereiten, Gläser zu polieren und Bestelllisten anzufertigen.
Nachdem sich der Geschäftsmann auf sein Zimmer zurückgezogen hatte und ich die Arbeitsflächen mit Glasreiniger gründlich abwischte, löste ich den eigentlich viel zu engen Knoten meiner schwarzen Schürze und atmete auf. Mit dem Handrücken wusch ich mir den Schweiß von der Stirn und klemmte mir mit den Fingern, die von Wasser und Putzmittel ziemlich aufgeweicht waren, eine lange blonde Haarsträhne hinter das Ohr. In der Spiegelwand, an der mehrere Glasregale befestigt waren, die allesamt mit Flaschen diverser Alkoholiker, aufgefüllt waren, betrachtete ich mein Gesicht. Auch wenn mein Spiegelbild völlig übernächtigt zurückblickte und dunkle Schatten meine grünen Augen umspielten, Falten hatte ich kaum, trotzdem sah man, dass ich keine 28 Jahre mehr alt war. Die Jugend kroch allmählich aus meinem sonst so anmutigen Gesicht, was wohl der vielen durchzechten Nächte geschuldet war. Tatsächlich war ich schon 34, obwohl es mir vorkam als hätte ich gerade erst mein Abitur bestanden. Ich schaute an meinen Körper hinunter, die Bluse saß so eng, dass der Knopf an meiner üppigen Brust nur noch von einem ausgeleierten, dünnen Faden gehalten wurden. Die Schürze kaschierte zumindest meinen Bauch.
„Kann ich noch was trinken oder machst du schon zu?" riss mich eine Stimme aus meinen Gedanken. Erschrocken drehte ich mich um.
„Klar!"erwiderte ich, band mir die Schürze erneut um, und zog den Knoten aus Gewohnheit so fest um meine Taille, dass sie die Funktion einer Korsage erfüllte, wodurch ich mir erhoffte schlanker zu wirken.
Als ich mich umdrehte blickten mich zwei strahlend blaue Augen an. Dazu gehörte ein verdammt junger, schmächtig aussehender Typ mit blonden Haaren und der Andeutung eines verschmitzten Lächelns, das um seine wohlgeformten, prallen Lippen tanzte, die im Übrigen so glänzten, als drohten sie jeden Augenblick zu platzen.
„Dann hätte ich gern ein Becks." orderte er.
Er setzte sich auf einen der Barhocker, sein Körper wippte zum Takt der im Hintergrund laufenden Loungemusik und er trommelte leise mit flachen Händen auf die Theke, während seine Augen neugierig den Raum erkundeten. Sein zappeliges Gebaren machte mich nervös.
Zielsicher fischte ich nach einer der vertrauten grünen Flaschen im Kühlschrank und löste blind mit einer gekonnten Bewegung den Deckel vom Ende des Flaschenhalses, ohne den Mann aus den Augen zu lassen. Mit einer halben Wurfbewegung legte ich einen Bierdeckel vor ihn und stellte die Flasche darauf ab, was seine Aufmerksamkeit auf mich richtete.
„Danke!"
„Gerne."
Er setzte die Flasche an, legte den Kopf in den Nacken und nahm einen hörbar großen Schluck mit geschlossenen Augen. Als er wieder absetzte leckte er mit der Zunge über seine Lippen. Ich beobachtete dies interessiert, was ihm nicht entging, während ich lässig an der Arbeitsplatte auf der gegenüberliegenden Seite der Theke lehnte. Er grinste frech und entblößte eine ungerade angeordnete Reihe weißer Zähne.
„Ich heiße Thomas." sagte er. Ich nickte bloß, konnte mir aber ein Schmunzeln nicht verkneifen.
„Und du?"
Ich stemmte mich von der Arbeitsplatte ab, bewegte mich ein paar Schritte auf ihn zu, sodass ich nah genug in seinem Sichtfeld stand , damit er die dicken schwarzen Druckbuchstaben, die mein Namensschild zierten, ablesen konnte.
Er reckte seinen Hals nach vorne und kniff die Augen wie zwei Schlitze zusammen.
„Kann ich nicht aussprechen." sagte er schließlich.
„Jolanta"
„Aha, darf ich dich Jo nennen?"
Ich verdrehte die Augen. „Nein!"
Plötzlich stürmten einige andere Männer lärmend auf ihn zu, stellten sich neben ihn und plapperten drauf los. Einer klopfte ihm auf die Schulter und stellte einen Gitarrenkoffer mit einem mit Gaffa geklebten X darauf, vor die Füße.
„Komm Cluesn, wir wollen hoch. War ne lange Fahrt."
Thomas nahm einen letzten Schluck aus seiner Falsche, stellte sie nur halb geleert wieder auf den Bierdeckel und richtete sich auf.
Er bückte sich, nahm den Gitarrenkoffer in die Hand und wendete sich mir ein letztes Mal zu bevor er sich zum Gehen aufmachte.
„Also Jo, gute Nacht."
„Moment." rief ich ihm hinterher, als er sich bereits zu der Männertraube gesellt hatte, welche sich ein paar Meter von der Bar entfernt hatten.
Er drehte sich um und sah mich erwartungsvoll an.
„Wie möchten Sie zahlen?" fragte ich nun höflich.
„Schreib's auf die Rechnung."
„Ihre Zimmernummer bitte?"
„Sehr cleverer Move."erwiderte er und zwinkerte mir unverschämt zu, worauf albernes Gelächter der Gruppe folgte.
„Du Cluesn, der würd ich die Nummer aber nicht geben, wenn dann der schlanken Brünetten von der Rezeption." warf einer der Männer ein, worauf einige noch lauter lachten.
Ich spürte wie die Röte in meine Wangen stieg und diese zu brennen anfingen. ‚So ein blöder Typ.', dachte ich als ich meine Hände zu Fäusten ballte und mich innerlich ermahnte, mich am Riemen zu reißen. Beschämt und gleichzeitig etwas flehend sah ich zu Thomas herüber, dessen Gesicht sich augenblicklich verklärte. Seine Augen wurden plötzlich ganz sanft, als er meine Unsicherheit wahrnahm. Er stellte den Koffer ab, deutete seinen Freunden eine Geste mit dem Kopf an, die sofort verstummten und Richtung Fahrstuhl aufbrachen. Er kam auf den Tresen zu, lehnte sich zu mir hinüber, während ich nach einem Zettel und einen Kugelschreiber griff.
„452."
Mit noch immer glühenden Wangen und zitternder Hand schrieb ich die Zahlenfolge auf. Unerwartet legte er seine Hand auf meine.
„Das war doch nur Spaß. Lass sie reden! Wir reisen morgen eh wieder ab."
„Schon okay." sagte ich, fast flüsternd und zog meine Hand langsam unter seiner hinweg, ohne ihn dabei anzusehen.
Einen Moment lang ruhte sein Blick noch auf mir. Ich spürte wie er in meiner Miene nach einem Funken Aufrichtigkeit suchte, der ihm die Gewissheit geben würde, dass ich die Wahrheit gesagt hatte. Er fand sie nicht und ging trotzdem.
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Wenn du liebst
Fiksi PenggemarJolanta arbeitet als Kellnerin in einer Hotelbar. Obwohl ihr alle Türen offen standen, hat sie nichts aus ihrem Leben gemacht, zumindest nicht nach der Ansicht ihrer Familie und ihres Freundes. Unzufrieden mit sich selbst, weil sie sich unattraktiv...