Kapitel 1 ~ Die Reise

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Viele Städte erstrecken sich im Süden, denn der Süden ist warm und hoffnungsvoll. Riesige Felder, wo man auch hinsieht ist die Farbe grün im Mittelpunkt. Unter einer stetig, rasch aufgehenden Sonne, ist die Nacht von kurzer Dauer. In den Wäldern leben Tiere, die fast schon langweilig im Gegensatz zu allem anderen sind. Menschen besiedelten das Land vor vielen Jahren. Auf viele Verteidiger mussten sie nicht bangen. Bis auf einige Ghulnester, die sie ausgebrannt hatten und einigen wilden Wölfen mussten die Menschen nichts weiter beseitigen. Seit einigen Jahrzenten hatten sie keine wirkliche Bedrohung zu befürchten. Sie bauten sich erst Dörfer und später dann größere Städte, mit einem herrschenden König im Süden. Alle Städte und Dörfer stehen unter dem Eid des Königs; eine geordnete, zivilisierte Rangordnung. Jedenfalls zivilisierter als andere Rassen und Gruppierungen.

Der Süden steht unter der Herrschaft der Menschen. Doch was ist mit dem Norden, Osten und Westen?

Es sind die Waldelfen, die wohl unverändert im Einklang mit der Natur geblieben sind. Unter der Führung von Gabriel Vanyar, waren die Elfen schon viele Jahre in den westlichen Wäldern sicher. Er sei ein mächtiger und zugleich weiser Führer unter den Blättern, sagt man. Seine Blutlinie reicht bis zu den ersten Lebewesen auf Aktros, deswegen wird er auch von seinem Volk hoch angesehen und geschätzt. Seine Bürger tun ihre Pflicht mit höchster Motivation, seine Soldaten folgen ihm bis in den Tot. Die loyalste Elfin ist mit Sicherheit Aria. Sie verkörpert für Gabriel die perfekte Soldatin und Heerführerin. Treue, Ergebenheit, Mut, Führungsqualitäten und ein gewisser Charme machen sie zum Liebling von ihm.

Als sie eines Morgens von einer Lufferjagd zurückkehrte, konnte sie sich kaum noch auf den Beinen halten. Vier volle Säcke, alle verknotet. Man konnte sehen, wie das Fleisch darin noch frisch war, denn es tröpfelte noch Blut aus den Säcken. Vor ihr, die riesigen hölzernen Tore, die noch verschlossen waren. Sie war erleichtert und glücklich, solch ein altes Bild endlich wieder vor sich zu sehen. Die Elfin taumelte noch zwei Schritte, bis sie das letzte Fünkchen Kraft für ein Wort nutzte: "Aaaufmachen!" Dann fiel sie um und alles um sie wurde plötzlich dunkel...

Am nächsten Morgen öffnete sie langsam ihre Augen. Sie lag auf einem riesigen Blatt, was für Elfen als Bett dient. Es war ihr Zelt, in dem sie die Nacht verbrachte. Sie sah einmal nach links, drehte dann den Kopf um und sah ihren Bogen und leeren Köcher. Keine Minute verging, ehe sie aufstand, um mit Gabriel zu sprechen.

Als sie dann durch die Irrgarten ähnlichen Wege ging, kam sie schließlich an der weißen Halle an. Sie war so hell, auch Nachts konnte man alle Verzierungen an den Decken deutlich erkennen. Es waren Schriften, der ersten Elfen. Die riesigen Säulen reihten sich hintereinander, bis zum Ende des Raumes. Von weiten sah sie schon Gabriel, sitzend und gelassen auf seinem Thron. Neben ihn standen zwei Wächter, die riesige Speere an der einen und ein längliches Schild an der anderen Hand hielten. Auf den Schildern war jeweils ein Hirsch abgebildet, dass als Banner diente. Sein Thron war aus Ederholz und über der Rückenlehne sah man ein gewaltiges Hirschgeweih. Aria eilte die kleinen Stufen hoch bis sie vor ihm stand und sagte: "Mein Herr, ich versprach euch drei prächtige Luffer zu bringen, für das Festmahl, die vor einer Woche stattfand", sie blickte nach unten und führte beschämt fort: "Wir haben vier erlegt, jedoch Valar verloren. Alles lief nach Plan, bis uns ein Hypernus in die Quere kam." Aria trug ein zerfetztes, braunes Gewand, dass an den meisten Stellen Risse und Blutflecken hatte. Sie sah schrecklich aus! An ihrer Wange konnte man einen weiteren Kratzer noch sehen. Doch obwohl sie an fast jedem ihrer Körperteile eine Verletzung mit sich trug, verlor sie nichts an ihrer Schönheit. Die Haare, wie die eines Einhorns, strahlend weiß, ihre vollen Lippen, mit einer natürlichen Rötung, ihre makellose Nase und die leuchtenden, weißen Augen, die wie zwei Diamanten herausstachen. Ihr Körper war nicht abgemagert, vielmehr athletisch und sportlich. Als sie da stand, wusste sie nichts weiter hinzuzufügen, denn es kam nicht oft vor, dass Aria so zugerichtet zu ihrem Herren sprach.

Gabriel zuckte einmal mit der linken Augenbraue hoch und wieder runter: "Habt ihr den Hypernus erlegt mein Kind?"
Mit einer schluchzenden Stimme quetschte Aria noch ein paar Worte aus sich raus und stotterte: "Nein mein Herr, er zerfleischte Valar und siebzehn meiner Krieger, mit einer Leichtigkeit, die ich noch nie zuvor im Kampf sah."

Gabriel verzog die Miene und stand ruckartig auf. Sein weißschimmerndes Gewand stach Aria sofort in die Augen. Er trug eine Krone aus Zweigen. Sein markantes Gesicht war bleich und eben. An der rechten Hand, am Zeigefinger, trug Gabriel einen Saphirring, der seine himmelblauen Augen betonte.
"Dann geht sofort auf die Jagd und rächt euch an dem Biest!", sagte er und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: "Bringt mir den Kopf der Bestie und ich verspreche euch die Position als Hauptkommandantin."

Aria konnte es nicht fassen. Auf diese Position strebte sie ihr Leben lang schon. Nun endlich sah sie die Chance, die sich ihr bot. "Wie viele Männer kriege ich für diese Jagd mein Herr?", fragte sie hastig.

"Keinen einzigen Mann. Ihr müsst mir dieses Biest selbst bringen und mich von eurer Stärke überzeugen. Wenn euch das gelingt, dann seid ihr meine Hauptkommandantin und beratet mich bei der Führung unserer Streitkräfte. Ich bin ein großzügiger Herrscher, doch ich muss wissen wer meine Männer führen kann. Meine Seele gehört dem Wald und mein Herz meinem Volk; beides möchte ich ungern verlieren", erklärte er der jungen Elfin.

Hysterisch antwortete Aria: "Wie soll ich gegen ein Biest, das achtzehn unserer Männer abschlachtete bestehen?"
"Wenn du schon an dir selbst zweifelst, brauchst du auch gar nicht aufbrechen Aria", sagte er in einer enttäuschten Stimme.
Ohne eine Antwort zu geben, drehte sie sich um und bereitete am selben Tag alles für ihre Reise vor.

Als sie dann gegen Sonnenuntergang ihr Pferd gesattelt hatte, besuchte sie noch ein letztes Mal Hegon. Er war ihr kleiner Bruder. Der kleine Elf trieb sich die meiste Zeit in den Kämmern auf und las alte Geschichten über die ersten Elfen. Dort wo ihn keiner störte, fühlte er sich wohl. Aria wusste schon immer, dass er kein Schwertmeister oder Bogenschütze werden würde. Auch wenn er gerade erst sechzehn Jahre alt war. Doch sie schämte sich niemals für ihren kleinen Bruder. Im Gegenteil. Sie war äußerst Stolz auf ihn, denn sie wusste, dass er irgendwann ein weiser Elf wird. Sie setzte sich neben ihren Bruder, sah zu ihm und sagte erstmal nichts.

"Du bist doch erst angekommen Schwesterherz", sagte Hegon wissend. Aria hatte kurz Gänsehaut bekommen. Überrascht sagte sie: "Du wirst dich wohl nie ändern, mit deiner direkten Art Hegi."
"Ich bleibe so, wie ich bin", sagte Hegon zu seiner Schwester und fing an zu grinsen.
Sie sah ihn weiter an und fügte hinzu: "Ich werde, so schnell ich kann zurückkehren, versprochen!"

Er erwiderte dann schließlich den Blick von Aria und sagte: "Ich weiß."
Ohne zu lange zu zögern klammerte er sich an seine Schwester und drückte sie, bis sie die Umarmung liebevoll erwiderte. Was Hegon nicht sah, waren Arias Tränen, die aus ihren diamantweißen Augen, bis zu ihren Wangenknochen kullerten. Sie wischte sich mit ihrem Handrücken die Tränen unauffällig weg und drehte sich nach der Umarmung sofort um. "Leb wohl, kleiner Bruder, ich liebe dich", sagte sie noch, als sie schon mit dem Rücken zu Hegon verschwand.

Tack, tack, tack, tack... Arias gesatteltes Pferd kam ihr entgegen, als sie hinter den Toren ankam. Sie sprang mit einem Schwung auf das Pferd, so federleicht, wie Elfen sind und schrie: "Heeeah!" Sie begann ihre Reise zuversichtlich und mit Aussicht auf eine ruhmreiche Zukunft in den Dunkelwäldern, falls sie jemals wieder heimkehren würde. Nur wusste sie nicht, wen sie außer dem Biest noch treffen würde.

Drog ~ Das Abenteuer von einem GhulWo Geschichten leben. Entdecke jetzt