6 - Hinter Gitter

47 10 18
                                    

Nye

Gegen den einen Schmerz kämpfte er noch an, da wurde ihm der nächste schon gegen die Ohren gehämmert und riss ihn aus seinem Schlaf heraus. Er fuhr hoch und zuckte dann direkt wieder zusammen. Noch so ein Schmerz, dem er nicht aus dem Weg gehen konnte. Langsam setzte er sich auf, atmete dabei einmal tief in dem Schmerz hinein, der seinen Bauch noch immer durchzuckte als würde er ausbrechen wollen, und versuchte die Ursache dieses abscheulichen Gongs zu finden. Aber eigentlich hätte er sich das auch denken können.

"Jetzt steht schon gefälligst auf, Ihr Nichtsnutze! Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit!", schrie die Stimme des Meisters ihn an, während er weiter mit seiner Eisenkelle an ein paar Gitterstäbe weiter vorne in ihrer kleinen... Unterkunft schlug.

"Na los! Ich will eure kleinen, dreckigen Gesichter sehen!"

Er stank nach Alkohol, das konnte Nye sogar bis hier hin riechen, so stark schlug ihm der Geruch ins Gesicht. Wahrscheinlich hatte er einen Kater und er schien wütend. Wie immer, wenn er gut gelaunt war. Müde zwang er sich von seiner Pritsche runter. Sie bestand aus nicht mehr, als einem Holzbrett, aber das war besser als mit den Ratten auf dem Boden schlafen zu müssen.

Ebensowenig aufmerksam, wie ausgeschlafen stellte er sich am Gitter auf, die Hände respektlos in den Taschen versteckt. Wie immer würde wahrscheinlich eh nur eine lange Rede folgen, von wegen wie klein sie doch alle waren, wie wichtig Siege waren und wie viele Frauen man sich doch von dem ganzen Preisgeld kaufen konnte. ...Aber die Rede folgte nicht. Stattdessen kam der Bär hinter den Meister geschlurft, irgendetwas schweres in den Armen. Er schleuderte es in den Gang, ganz nah an Nye's Zelle, wo es beinahe gegen die Gitterstäbe schlug und ihn vor Schreck zusammen zucken ließ. Mit den Ohren zuckend starrte er auf das Etwas hinunter, auf einmal hell wach und zum zerreißen gespannt aufmerksam. Das Etwas schien... zu winseln und als er es genauer ansah erkannte er auch warum. Vollkommen verdreckt, das Kleid zerrissen, blutbesudelt, die Haare bis zur Unkenntlichkeit verdreckt.

Ein gehässiges Lachen hallte gegen die Wände. "Ich sollte euren guten Nasen wohl danken, ohne sie hätten wir heute keinen Neuzugang zu begrüßen."

Das Etwas... Das Mädchen? ...Zog sich kraftlos vom Boden hoch, nur um in ihrem eigenen Dreck wieder auszurutschen und zurück zum Boden zu plumpsen. Irgendwie schaffte sie es schließlich, sich aufzurichten und stand dann mit zitternden Beinen da...
Der Meister rümpfte die Nase.
"Wie heißt du noch gleich, Mädchen?"

"T-", verängstigt huschte ihr Blick zwischen den Zellen herum, "..Ta-"
"Ach vergiss es. Ab heute bekommst du sowieso einen neuen Namen, Sklave!"

Bei den Worten zuckte sie zusammen, als wäre gerade ein Blitz über ihr eingeschlagen, was zwar unlogisch war, so klein wie sie war, aber... Da erkannte Nye sie erst. Die hellen, braunen Augen, der aufmüpfige Blick... Sie roch nach Mist und Abfällen, aber sie war es dennoch. Unzufrieden rümpfte der Meister seine Nase und fuhr mit strenger Miene mit seinen morgendlichen Anordnungen fort. Sie sollten sich waschen, anziehen und aufhören ihn mit ihren 'grässlichen Fratzen' zu nerven. Anscheinend würden sie heute wohl noch nach irgendwohin aufbrechen, aber das bekam Nye nicht so ganz mit, denn seine Aufmerksamkeit galt noch immer dem Beast am Boden.

Als einer der Letzten ging er sich schließlich waschen, vorbei an Gharik, dessen pure Anwesenheit ihn wie immer davon abhielt seinen Rechtmäßigen Vortritt dabei einzufordern. Nicht, dass er etwas dagegen hatte die beiden verängstigten Felynen, die sein erbärmliches Schicksal teilten, vorzulassen, aber wenn er von diesem widerlichen Meister-Schleimer dazu gezwungen werden musste ging ihm das gehörig auf die Nerven. Er schluckte seinen Zorn hinunter und hielt den Kopf desinteressiert gesenkt, als er unter seinen prüfenden Augen in das Waschzimmer, das aus nicht mehr als aus einem Großen Eimer, gefüllt mit mittlerweile brauner Brühe, und ein paar Tüchern bestand, schlurfte. Die Wände waren im Gegenzug zum Rest des Kerkers nicht nur bröcklig und alt, sondern auch noch liebevoll mit Schimmel in allen erdenklichen Farbenvarianten verziert. Wie zuvorkommend...

Grummelnd ließ es Nye lieber sein, seine nur halbwegs verheilten Wunden dem ihm verhängnisvoll zuwinkenden Wasser auszusetzen und beließ es lieber dabei nur die Haare auszuwaschen und das letzte Blut aus den bereits geflickten Klamotten zu schrubben. Um sie vollständig zu trocknen blieb danach nicht mehr genug Zeit, aber den Rest würde sowieso die Sonne übernehmen und vielleicht würde er dann wenigstens nicht wieder sofort unter der sengenden Wüstensonne dehydrieren.

Als er mit verstrubbelten Haaren (er strubbelte sie mit Absicht und bekam es dennoch nicht hin alle nassen Strähnen aus seinem Gesicht fernzuhalten) aus der Tür trat, war der Keller bereits leer. Naja, zumindest fast. Ein kleines Bündel, das anscheinend wieder in sich zusammen gefallen, war kauerte noch am Boden. Nye drehte ihr den Rücken zu, den Blick starr gen Boden gerichtet. Er hatte gelernt, dass es besser war sich rauszuhalten, erst recht wenn der Meister sich einen Narren an einem Mädchen gefressen hatte. Es war einfacher, es war ungefährlicher und es tat ihm auf jedem Fall besser.

Fluchend drehte er sich wieder um. Diese mistige, kleine, verdammte... "Hey.", hallte seine Stimme leise gegen ihre zitternden Knochen. Als sie nicht reagierte, packte er sie am Arm und zog sie grob zurück auf die Beine. Panisch schluchzende Augen und ein rasendes kleines Herz schlugen ihm entgegen, als sie ihm nun mit weit aufgerissenen Augen entgegen blickte. Nye starrte nur kalt zurück. Er hatte keine Zeit für solche Spielereien. Sein Bauch schmerzte, die Kleine nervte ihn jetzt schon und er hatte schon die Stimme des verdammten Bären im Kopf, wenn er sich wiedermal verspäten würde. Das Einzige worauf er sich freuen konnte war die Tatsache, dass sie dieses grässliche Nest anscheinend schon bald wieder hinter sich gelassen haben würden. Er schob sie zum Waschraum und ließ sie dann wieder los.

"Geh dich waschen, die anderen werden nicht lange warten."

Am liebsten wäre er sofort weiter gegangen, aber sie starrte immer noch stumpf gegen die Tür. Warum blieben die Schwachen nur immer an ihm hängen...?

Er deutete auf den Waschraum und versuchte dabei wenigstens etwas freundlicher zu klingen. "Da drinnen müssten noch ein paar geflickte Sachen liegen, die kannst du gegen das Kleid austauschen. "

Immer noch keine Reaktion. Lediglich ihre Hände verkrampften sich tiefer in den zerschlissenen Kleid. Langsam ging Nye die Geduld aus. Knurrend wurde er lauter. "Jetzt mach!" Und nachdem sie zusammengezuckt war und unter Tränen wieder ihn anstatt die Tür angestarrt hatte, nickte sie.
"Gut...", sagte er wieder leise und verließ murrend den Kerker durch die Falltreppe nach oben, wo ihn bereits das leere Grinsen Gharik's erwartete. Er drehte sich nicht mehr um.

Sie hatte sich fangen lassen.
Durch solche Tage mussten sie alle irgendwann einmal hindurch finden. Alleine.

You've reached the end of published parts.

⏰ Last updated: Apr 19, 2017 ⏰

Add this story to your Library to get notified about new parts!

BEAST Where stories live. Discover now