Prolog

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Murthag

Die Sonne stand in meinem Rücken, als ich das letzte Mal auf Alagaesia hinuntersah. Das Land zog sich nicht mehr unendlich weit hin, sondern der Elfenwald wurde im Norden von einer rießigen Wasserfläche eingegrenzt. Das musste der Ozean sein, von dem Eragon gesprochen hatte. Dorn stieß einen langen, tötlichen Strahl seines Feuersatems aus und bezeugte damit seine Freude darüber, dass alles hinter sich lassen zu können. Ich strich ihm sanft über die Halsschuppen, lehnte mich nach vorne und lehnte meinen Oberkörper gegen seine Halszacke. Immernoch waren in unseren Köpfen die letzten Reste von Galbatorix vergifteten Worten und ihre Wirkung zu spühren, aber ihre Kraft ließ nach. Es fühlte sich so befreiend an, nicht mehr an den König gebunden zu sein und es war noch befreiender zu wissen, das der Drachenschänder endlich tot war. Er sollte niemals mehr Angst und Schrecken verbreiten und seine Wut an den Völkern Alagaesia oder eines anderen Landes auslassen können. So gut sich das anhörte, für mich war es das ganz und gar nicht. Natürlich, nun war ich kein Sklave mehr und ich war nicht mehr an ihn gebunden, aber ich war auch allein. Allein mit dem Schmerz und den Wunden. Deshalb hatte ich beschlossen, zu gehen. Ich dachte früher immer, wenn ich wirklich einmal freikommen sollte, würde ich das Leben in vollen Zügen genießen können mit Festen und Frauen und Wein und guten Speißen, aber das war nicht der Fall. Ich hatte mich dazu entschlossen, fortzugehen und alles was ich liebe und hasse zurückzulassen, damit ich mit Dorn und mir selbst ins Reihne kommen konnte. Es würde bestimmt angenehm sein, einige Jahre im Norden zu leben, mit Unbekanntem und Bekanntem, mich mit meinen besten Freund, meinem Herzensbruder, durchschlagen zu müssen und mit ihm ein neues Leben anfangen zu können, bis sich in Alagaesia alles beruhigt hatte und ich helfen würde, die neuen Drachenreiter auszubilden. Mit meinem Blutsbruder Eragon. Dorn schnaubte entrüstet, als ihn meine Gedanken durch unser Band erreichten, und ich musste ein wenig über seine Reaktion lächeln. Also nur noch wir Zwei, mein Freund, sagte ich in Gedanken zu ihm und strich erneut über seine harten, blutroten Schuppen. Im Licht der untergehenden Sonne wirkten sich noch röter als sonst und in den Wolken um uns herum fielen überall kleine Lichtsprenkel auf, die von seinem Panzer reflektiert und auf sie projeziert wurden. Das wolltest du doch immer, oder?, entgegnete Dorn und ich spührte, wie er meinen Geist zu erkunden und mich zu verstehen versuchte. Ja, das wollte ich., sagte ich zurück und fügte dann hinzu: Aber ich hätte nicht gedacht, dass es mir so schwer fallen würde. Auch wenn ich ... ihn... hasse, es tut weh, meine Heimat zu verlassen. Denkst du, wir werden Nasuada wiedersehen? Dorn verstand, warum ich genau nach ihr fragte. Nicht, weil ich sie mehr als meinen Blutsbruder liebte, sondern weil sie ein einfacher Mensch war. Sie wird nicht die Lebensspanne von einem Drachenreiter haben und sie wird auch nicht die Stärke eines Drachenreiters haben, egal wie viele Magier sie um sich scharren wird. Es tat weh, zu wissen, wie leicht ein Attentäter ihre zarte, liebenswerte Lebensflamme auslöschen könnte. Mal ganz davon abgesehen, das ich Elva kein bisschen traue, sie kann meine Nasuada auch nicht vor allem schützen. Ich schloss die Augen, sog die frische Luft ein und genoss es, nicht ständig auf der Hut vor Galbatorix Geist sein zu müssen. Auch, wenn ich diese Angewohnheit nicht so schnell werde ablegen können, allein in den letzen Stunden habe ich nicht mehr alle zehn Herzschläge nach jemanden Ausschau gehalten, der in meine Gedanken eindrigen wollte. Es tat gut, nicht ständig unter Strom stehen zu müssen und auf einen erneuten Angriff warten zu müssen. Denn jetzt war ich eines der mächtigsten Wesen in Alagaesia und Umgebung und hatte von niemanden mehr etwas zu befürchten. In mir herrschte eine mir bis jetzt unbekannte, ungewohnte Ruhe, bei der ich noch nicht genau wusste, ob ich sie fürchten oder genießen sollte. Während Dorn sich auf dem warmen Luftstrom aus der Hadarac Wüste Richtung Norden dahintreiben ließ, gab ich mich meiner Müdigkeit und ihrer drückenden Schwere hin.

Ein wütendes, angstvolles Brüllen riss mich aus meinen finsteren Träumen. Ich schreckte hoch, verlor das Gleichgewicht und wurde nur noch von den Sattelriemen um meine Beine gehalten. Die Welt drehte sich wie wild um mich herum, der Boden wurde zum Himmel und die Wolken unter mir entfernten sich immer weiter. Ich konnte mich nur mit größer Mühe meine Bauchmuskeln so weit anzuspannen, dass ich wieder richtig im Sattel sitzen konnte. Erneut schrie Dorn auf, dieses Mal verzweifelt. Dann traf sie mich, mit einer tosenden Wucht und einer Stärke wie ich sie bis jetzt nur von einer Naturgewalt kannte. Sie hätte mich fast von Dorns Rücken gerissen, was meinen Tod bedeutet hätte, aber mein Freund nahm die meiste Kraft in sich auf und schützte mich so vor dem sicheren Verderben. Auch wenn ich dadurch kaum etwas von der Kraft abbekam, war ich geschockt von der explosionsartigen Macht, die mich mitten ins Herz traf. Ich musste nach Luft schnappen, um die schwarzen Punkte vor meinen Auge zu verbannen und damit sich mein Puls wieder etwas beruhigte, nur um erneut von einer Welle der Magie getroffen zu werden. Aber es war keine gewöhnliche, greifbare Magie. Sie schien von allem und von nichts auszugehen, folgte scheinbar keinen Regeln und Mustern und war dabei so zielstrebig wie ein abgeschossener Armbrustbolzen. Selbst für einen Drachenreiter, wie ich einer war, hätte diese Attacke tödlich ausgehen können - vorrausgesetzt es war überhaupt ein Angriff. Dorn drehte sich immernoch unkontrolliert um die eigene Achse, immer schneller dem Erdboden entgegen. Langsam bekam ich es wirklich mit der Angst zu tun, obwohl ich die Flugkünste des roten Riesens nur allzugut kannte. Erneut wurde ich von der Macht getroffen und dieses Mal zerriss etwas in mir. Etwas in meinem Brustkorb, ganz tief in mir, das lebenswichtig war, denn es löste eine solche Höllenqual in mir aus, dass ich vergaß zu Atmen und zu schlucken, zu hören und zu denken. Ich konnte nur noch schreien, bis erneut eine Welle überkam und mein Sichtfeld an den Rändern schwarz wurde. Ich griff mir keuchend an die Brust und hörte endlich auch Dorn vor Schmerz aufbrüllen. Immernoch hatte er seinen Fall nicht unter Kontrolle und ich ergriff die Initiative und übernahm die Steuerung über seinen Geist. Das funktionierte ganz gut, meine Arme wurde zu seinen Flügeln, ich steurte mit seinem Schwanz und blickte mich mit seinen tiefroten Augen um. Ich sah alles tausendmal intensiver und mit einem sanften Rotstich und so lebendig wie lange nicht mehr. Wir waren von einem Moment auf den Anderen ein einziges, mächtiges Wesen, es gab keinen Murthag und keinen Dorn mehr, auch keinen Drachen und keinen Reiter, es gab kein uns mehr. Es war keine Differenz und kein Stauraum mehr zwischen unseren Geistern, es war, als hätte es nie zwei Lebende Organismen gegeben, sondern immer nur ein einziges Ich. Als ich den nächsten Magiestrom auf mich zurasen sah, verschloss ich meine Geist vor ihr. Die Wellen wurden immer stärker. Sie sahen tatsächlich aus wie Wellen am Meer, silbrig und durchscheinend, mit winzigen Schaumkronen und von einem zaghaften Wind umwirbelt. Die Wellen selbst bestanden aus einer nicht fassbaren Substanz, weder gasförmig noch flüßig und bei genauerem Betrachen (oder durch die Augen eines Drachen) konnte man erkennen, dass sie nicht eine große Fläche waren, sondern aus unzähligen, wild umeinander wabbernden Fäden bestand. Sie wirkten fast wie Sprösslinge einer unbekannten Art, die in einer Horde herumspielten und tollten und sich gegenseitig fiengen. Aber sie berührten sich an keiner einzigen Stelle. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie etwas derart Schönes gesehen. Die Welle wirkte rein, freundlich und einladend, fast wie ein weiches Daunenbett auf eine unerklärliche, mir bis dahin unbekannte Art und Weise. Aber das war sie nicht, trotz ihrer unendlich reinen, silbrigen Farbe. Allein über ihren Farbton hätte ich stundenlang berichten können und hätte sie doch nicht in all ihrer Schönheit beschreiben können. Sie zog mich voll und ganz in ihren Bann, nahm mich ein und ich hatte aufeinmal den Drang, das sie mich bis in jede Faser meines Körpers ausfüllen sollte. Ich wollte sie spühren, berühren, an mich schmiegen und in mich aufsaugen. Wenigstens für einen Moment. Also streckte ich die beflügelten Arme nach ihr aus, hatte nur noch ein einziges Ziel: Sie. Für weniger als einen Herzschlag berührten wir uns. Sie war sofort in mir, nahm von mir Besitz - ich war sie. In meinem Kopf erschien ein Bild, fast wie eine Einbildung, ein Gesicht. Schmal geschnitten und fein und silbrig glänzend, umrahmt von wild durcheinander schwebenden Fäden. Auch das Gesicht bestand aus diesen Fäden, man konnte die einzelnen Abschnitte wie Nase und Augen nur durch die Schatten und helleren und Dunkleren Lichter der strahlenden Fäden ausmachen. Es war kaum ein Augenblick, nicht groß erwähnenstwert eigentlich, aber es war doch so prägend wie selten etwas in meinem Leben. Dann war alles vorrüber und Dunkelheit umfing mich, gefolgt von einer langen, trostlosen Leere. Kurz darauf kamen all die gefürchteten Emotioen wieder, die ich so lange verbannt hatte und die mich zerstören könnten, wie sie es mit meinem Vater und mit dem Drachenschänder getan hatten: Schmerz, Angst und Hass.

Die Macht der Ismara (Eragon FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt