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Murthag

Das erste, was ich spührte, war der warme Dampf auf meiner geschunden Haut. Dann machten sich meine schmerzenden Knochen, Sehnen und Gelenke lautstark bemerkbar. Ein gequältes Stöhnen drang aus meiner Kehle zwischen meinen Lippen hervor und erfüllte den Raum.  Konnte man das überhaupt einen Raum nennen? Ich lag auf einem Haufen glänzeder Tierfelle mit dem Rücken nach oben. Mit dem Finger strich ich über die seidigen Haare meiner Unterlage und stellte überrascht fest, das sie kein bisschen von dem unangenehmen, moschusartigen Geruch von totem Tier an sich hatte, wie es sonst immer der Fall war. Sie rochen herrlich erfrischend und zart nach einer mir nicht bekannten Pflanze. Dann durchfurh mich wie ein Blitz die Erkenntnis. Es war absolut still in meinem Kopf - still und gähnend leer. Ich tastete wie wildgeworden in meinem Geist herum, blind und auf allen Vieren, wie ein Neugeborenes Tier fühlte ich mich. Verlassen und schutzlos. Mein Puls raste und die Angst war so schnell wieder da, wie sie in der Dunkelheit verschwunden war. Die Dunkelheit. Wann mag sie begonnen haben und wie lang mag sie angehalten haben? Das war jetzt nebensächlich. Was mir mehr Sorgen bereitete, war die Tatsache das mein Kopf leer war - ich leer war. Da waren keine Gedanken und Gefühle, keine Erinnerungen und Sorgen, keine Ängste und Hoffnungen. Ich wollte schreien, mich aufrichten und davonlaufen und auf die Suche gehen, aber ich lag stumm wie ein Fisch und regungslos wie ein Stein auf den seidigen Fellen und konnte rasend vor Furcht keinen klaren Gedanken mehr fassen. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis ich mich wieder so weit beruhigt hatte, dass ich mich ein wenig herum drehen konnte und nun auf der Seite lag. Es war tatsächlich kein Raum. Es sah mehr wie ein Zelt aus und die Luft war leicht vernebelt. Obwohl es angenehm warm war, frohr ich als wäre ich von einem Geletscher umgeben. Der Schweiß rann mir in Bahnen die Stirn hinuntern, tropfte mir in die Augen und brannte darin unangenehm. Ich schloss die Lider wieder, atmete mehrmals durch den Mund und blickte mich dann erneut um. Die Wände des Zeltes bestanden aus hellem, robustem Leder, der Boden war mir flauschigem, schneeweißem Schaffell ausgelegt und in der Luft hing dieser herrliche, frische Duft. Er erinnerte mich stark an die silberenen Wellen, die mich überwältigt hatten. Ein kleiner, kupferfarbener Kessel stand über einer weniger kleinen Feuerstelle und tiefgrüner Dampf kräuselte sich darüber. Außeredem befand sich ein schwerer Eichentisch mit allerlei Kräutern, Schalen, Stößeln, Fläschchen, Büchern und mir unbekannten Werkzeugen darauf im Raum und eine eisenbeschlagene Holztruhe im Zelt. Mehr kontne ich von dieser Position aus nicht erkennen. Dann vernahmen meine Ohren eine Stimme. Sie war nicht  mehr als ein leises Summen, einer mir unbekannten Melodie folgend, hoch und singend wie eine Bergwasserquelle. Jemand befand sich außer mir im Zelt, aber ich konnte nicht erkennen, wer oder was es war. Ich wollt etwas sagen, aber es ich brachte nicht mehr als ein krächzendes Röcheln hervor, was mich unheimlich wurmte. Dann trat Jemand in mein Sichtfeld. Ich konnte zwar das Gesicht nicht erkenne, weil sie mit dem Rücken zu mir stand, aber ich konnte recht deutlich erkennen, dass es ein Weibliches Wesen - eine sie - war. Sie trug ihr elfenbeinfarbenes Haar zu einem kunstvollen Knoten hochgestegt und eine paar blassgrüne Stoffhosen, dazu ein schlichtes Leinenhemd und keine Schuhe. Trotz des lockeren Sitzes ihrer Kleider konnte man darunter ihre zierliche, schon fast magere Statur erahnen. Ihre Haut war unheimlich hell, fast durchscheinend, wie ich es bis jetzt nur bei den Elfen gesehen hatte. Das hohe Summen ging eindeutig von ihr aus und sie schien etwas zu umgeben, dass nur so von Kraft und Stärke triefte. Ihre Hände arbeiteten schnell und geschickt mit den Gegenständen auf dem Tisch und das Zerreisen von Blättern mischte sich mit ihrer Stimme und dem Knistern des lodernden Flammen in dern Feuerstelle. Wieder wollte ich etwas sagen und dieses Mal gelang es mir: "Wo ist Dorn?" Ich sprach zwar leise, aber deutlich. Sie drehte sich gemächlich zu mir herum, eine Schale in ihren Händen und sah mich kein bisschen überrascht sondern eher erbost an. "Dort, wo er keinen Schaden mehr anrichten kann." gab sie zurück. Dann kam sie auf mich zu, rollte mich auf den Rücken und begann mich mit einer Salbe aus der Schale einzureiben. Ihre Hände waren weich und so schnell, dass sie mich kaum zu berühren schien. Trotzdem, bei jedem Streifen ihrer Haut auf der Meinen jagte ein Energiestrom durch meine Körper und die Haare auf meinem ganzen Körper sträubten sich. Ich konnte nicht anders, als sie anzustarren. Ich hatte schon viele schöne Wesen auf dieser Welt gesehen, angefangen bei Drachen und aufgehört bei Elfen, aber noch nie war mir etwas so perfektes wie dieses Exemplar untergekommen. Sie hatte den Körperbau eines Menschen, die Eleganz einer Elfe und die langen, kräftigen Muskeln eines Urugals. Ihre Gesichtszüge waren nicht die einer Elfe oder eines Menschen oder eines Urugals, sondern erinnerten mich mehr an die Menschengestalt der Werkatzen. Die Lippen dagegen waren voll und von einem zarten Rosa, die Nase schmal und gerade, die Brauen dicht und dunkler als ihr helles Haar. Aber das faszinierenste an ihr waren ohne Frage ihre Augen. Groß, ein wenig schräg stehend und die mit einer hypnotischen Iris. Sie schien jede und doch keine Farbe zu haben. Darin war ein wenig grau, braun, blau und grün, aber auch unnatürliche Schattierungen wie gold, bronzen, rötlich, fliederfarben und tausende andere enthalten. Ich musste mehrmals blinzeln, um ihre ganze Schönheit und Vielfalt zu erfassen und zu realisieren, das sie tatsächlich ein lebendes Wesen aus Fleisch und Blut war und keine Fatamoragana, einem meiner Fieberträume entsprungen. Man könnte denken, ein so makelloses Gesicht, proportional und gerade, könnte fad und glanzlos sein, aber das war es ganz und gar nicht. Ich hättes sie stundenlang anstarren können und hätte sie doch nicht in ihrer ganzen Vielfalt erfassen können, von einer passenden Beschreibung Mal ganz zu schweigen. Als sie den Kopf etwas zur Seite neigte, versuchte ich einen Blick auf ihre Ohren zu erhaschen und herauszufinden, welcher Art sie angehörte. Aber sie waren weder rund noch spitz, sondern endeten in einem zierlichen Schwung. Das verwirrte mein Gehirn noch mehr, weil ich sie nicht einordnen, keiner Spezies zuordnen und in keine Schublade stecken konnte. "Ich will meinen Drachen sehen - sofort!" sagte ich nach einigen Momenten des Schweigens, bei dennen es sich auch um Jahre hätte handeln können. Ja, ich hatte jedes Zeitgefühl verloren, als ob es sich im Nichts aufgelöst hätte. Mir machte die Leere in meinem Kopf langsam aber sicher wirklich Angst. Wo könnte Dorn bloß abgeblieben sein? Ich öffnete meinen Geist und schrie mehrmals seinen Namen in alle Richtungen hinaus, woraufhin die Tiere in Scharen flohen und die Pflanzen ihre Häupter vor den klagenden Klängen neigten. Die Fremde unterbrach ihre Salbung, warf mir einen strafenden Blick zu und entgegnete: "Hör auf zu schreien. Er wird dich nicht hören. Aber wenn es dich beruhigt, er wird weder Schmerz noch Furcht fühlen - genauer gesagt wird er nichts mehr fühlen." Damit begann sie wieder, meine glatte, muskulöse Brust einzucremen. Nein, es beruhigt mich kein bisschen! Ganz im Gegenteil. "Was hast du ihm angetan?" stieß ich zwischen vor Schmerz und Wut zusammengebissenen Zähnen hervor. Sie verdrehte die Augen, drückte mit der Hand gegen mein Brustbein und micht damit wieder zurück in die liegende, hilflose Ursprungs - Position. "Tu mir einen Gefallen, und raub mir nicht auch noch den letzten Nerv. Ich hatte schon genug damit zu tun, hinter euch aufzuräumen." Jetzt war es entgültig um meine Beherrschung geschehen. Wütend schlug ich mit neuer Kraft und geballten Fäusten auf die Felle ein, richtete mich erneut auf und schrie sie an: "Ich bin ein Drachenreiter und befehle dir: Gib meinen Drachen frei!" Sie schien aber kein bisschen eingeschüchtert sondern nur genervt - entnervt, dann stellte sie die Steinschale weg und wischte ihre Hände an einem Tuch sauber. Als sie damit fertig war wendete sie sich wieder mir zu. "Und ich bin eine Ismara und befehle dir: Halt endlich den Mund!" Ich dachte gar nicht daran. Schwungvoll stand ich vom Bett auf und bereuhte es sofort. Die Welt drehte sich um mich und mein Sichtfeld war von kleinen schwarzen Punkten übersäht, aber das legte sich schnell wieder. Diese Ismara (was immer das auch sein mag) hob die Hand, als wollte sie etwas unsichtbares aus der Luft plücken. Währenddessen fischte ich mir vom Tisch ein Messer und richtete es auf sie. Sie sah mich mit einem beeindruckenden Desintresse an, drehte das Handgelenk kaum merklich und von einer unsichtbaren Macht wurde mir die Klinge aus der Hand gerissen, flog stattdessen in das schwere Eichenholz und blieb mit einem tiefen, wummernden Vibrieriend stecken. Magie, sie wendet Magie an, schoss es mir durch den Kopf. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich nichts am Leibe trug, bis auf einem schmalen Stoffstreifen im Lendenbereich. Etwas peinlich berührt trat ich einen Schritt zurück, von meiner eignene Schwäche überwältigt und hielt mich an der Holztruhe fest, um nicht nach hinten wegzukippen. "Jetzt bin ich mit dem Fragen an der Reihe: Woher hast du diese scheußliche Narbe am Rücken?" fragte sie und kam mit diesen Worten auf mich zu. Ich verengte die Augen zu schmalen Schlitzen und starrte sie einfach nur an. "Ich wüsste nicht, was dich das angeht." entgegnte ich schließlich und setzte mich kurzerhand auf die Truhe. Dort stütze ich meine Kopf in die Hände, rang nach Atem und versuchte, das Zittern zu unterdrücken. Sie legte ihren Kopf etwas schief und betrachtete mich, dieses Mal hochinterressiert, wie ein Wesen aus einem fremden Universum. Die Angst um Dorn erschwerte mir das Denken, aber dann wurde mir etwas siedend heiß bewusst. "Ist er tot?" fragte ich atemlos. Sie schüttelte den Kopf: "Nein, aber er ist auch nicht lebendig. Ich habe ihn eine Form verwandelt, in der er sicher  ist. Sicher, vor sich selbst und vor anderen" - "Du hast ihn umgebracht?" Sie stöhnt theatralisch auf: "Nein, bei allen Göttern, das habe ich dir doch gerade gesagt. Bist du etwa so schwer von Begriff? Und jetzt legt dich wieder hin, sonst reißen deine Wunden wieder auf." Ohne dass ich es wollte, stand ich auf, wandelte wie eine Marrionette von fremden händen geleitet durch das Zelt auf mein Felllager zu. Dort lege ich mich gegen meinen Willen auf den Rücken und verschränkte die Hände über dem Bauch. Die Fremde zückt einen ellenlangen, blitzenden Dolch unter ihrem Hemd hervor, tritt an mein Lager heran und betrachtet mich einen Moment lang. Sie erhob die Waffe aber nicht, wie man es tun müsste, um mich anzugreifen, sondern legte ihn in meine Hände und hielt ihn wie eine Opfergabe mit ausgestreckten Armen etwa drei Zoll über meinen sich schnell hebend und senkenden Brustkorb. Mein Körper wurde von einem Zitternanfall erschüttert. Dann konnte ich mich wieder rühren und setze mich erneut auf, dieses Mal in gemäßigter, angepasster Geschwindigkeit. Mit einer Hand betaste ich meinen schmerzenden Rücken und spürte... nichts. Die Haut war glatt und weich, wie die eines Neugeborenes. Die Narbe, die mir mein Vater vor langer Zeit zugefügt hatte, die mich für immer mit ihm verbunden hatte, die mich zeichnete und schändete, aller Welt verkündete, wessen Sohn sie vor sich hatten, genau diese Narbe prangte einst auf meinem Rücken. Von der Hüfte bis zum Schulterblatt, wulstige, knorpellige Haut, verursacht von einem geworfenem Messer. Besagte Narbe war einfach verschwunden.

Die Macht der Ismara (Eragon FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt