Schockzustand

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Jakob saß auf einem der harten Plastikstühle auf der Polizeiwache und starte teilnahmslos auf den Boden. Als zwei Füße in sein Sichtfeld traten, sah er auf. Er begann leicht zu lächeln, als Felix sich auf dem Stuhl neben ihn setzte.
Im ersten Moment schwiegen sie, sie wussten auch ohne Worte, das sie froh waren einander zu sehen.

,,Sie reden über dich Felix.", meinte Jako und deutete auf zwei Polizisten, die sich leise unterhielten und dabei versucht unauffällig zu Jako hinüber sahen, ,,Warum reden sie über dich?"

Jako sah Felix verwirrt und sehr verunsichert an.
Felix schien einen Moment zu überlegen, als wüsste er nicht, ob er die nächsten Worte wirklich aussprechen sollte.

,,Weil ich tot bin, Jakob."

Er wartete auf einen Ausbruch seitens Jako, aber dieser runzelte nur die Stirn.
,,Tot?"
,,Tot.", bestätigte Felix.
,,Aber wie kannst du dann hier sein?"

Felix atmete aus : ,,Naja, ich bin nicht wirklich hier. Du stehst unter Schock und dein Gehirn bildet sich das alles nur ein, um das Ganze zu verarbeiten."

Der Jüngere nickte. Er verstand, das klang alles logisch.
,,Und ich stehe unter Schock, weil du gestorben bist, richtig?"

Diesmal war es an Felix zu nicken.

,,Aber wie bist du gestorben? Ich kann mich nicht daran erinnern."

,,Ich wurde angefahren....oder eher umgefahren", antwortete der Bärtige schlicht.

,,Aber warum?"

,,Keine Ahnung. Wahrscheinlich war der Kerl betrunken; jedenfalls hat er Fahrerflucht begannen, die Polizei fahndet nach ihm."

Jako musterte Felix. Er sah genauso aus wie immer, nicht so als wäre ein Auto über ihn drüber gerollt.

,,Felix?", begann er und sein bester Freund sah ihn aufmerksam an, ,,Was soll ich denn jetzt machen?"

Einen Moment lang sah Felix ihn verdutzt an, antwortete aber nichtsdestotrotz : ,,Wenn du deine Aussage gemacht hast, würde ich vorschlagen, dass du nachhause fährst und dich erstmal schlafen legst."

,,Das meine ich nicht. Was soll ich ohne dich machen?"

,,Ich weiß nicht, das Selbe, was du vorher auch gemachst hast. Leben. Für mich weiter leben, weil ich's nicht mehr kann."

Wieder nickte der Langhaarige, akzeptierte das er das tun musste. Weiter leben. Weiter leben, ohne Felix, ohne seine Unterstützung und Liebe. Ohne seinen Seelenverwandten, ohne das Few, ohne Fewjar.

Plötzlich merkte er, dass er das nicht wollte. Ohne Felix weiter leben, so als sei nichts gewesen. Das konnte er nicht, das wollte er nicht.

,,Denk' nicht mal dran, Jakob!", knurrte Felix, als hätte er seine Gedanken gelesen.
'Natürlich kann er deine Gedanken lesen, er ist doch nur eine Einbildung deines Gehirns', flüsterte eine kleine, fiese Stimme in seinem Inneren.

,,Tut mir leid.", entschuldigte er sich, ,,Aber werden wir uns wiedersehen?"

,,Irgendwann ja. Hoffentlich nicht allzu bald.", er lächelte Jako sanft an und seine braunen Augen leuchteten.

Jako's Augen füllten sich mit Tränen : ,,Du musst jetzt gehen, oder?"

Felix erhob sich, beugte sich zu ihm runter und küsste ihn sanft auf die Stirn.
,,Mach's gut, Jakob."

Jako brachte kein Wort heraus, spürte nur wie die Tränen seine Wange herunterliefen, kurz an seinem Kinn verweilten und dann auf sein T-shirt tropften.
Felix drehte sich um, nicht ohne noch einmal über die langen, braunen Haare zu streichen, und ging aus der Tür des Polizeipräsidiums.

Einer der Polizisten kam auf ihn zu : ,,Herr Joiko, Sie können jetzt ihre Aussage machen."

Jakob stand auf und ging mit ihm mit.

Er musste weiter leben.

Drabbles Berliner Cluster  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt