Kapitel 2

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Ja, es war Freude. Es gab nämlich einen Menschen, der mich verteidigte. Jemanden, der mich verstand.
Nach der Schule packte ich meine Sachen zusammen. Ich bewegte mich in Richtung Tür, als Herrn Koro mich aufhielt:„Fabienne? Kann ich dich kurz sprechen?". Ich drehte mich zu ihm um:„Ja". „Ist die Klasse immer so zu dir?". Ich überlegte, was ich sagen sollte. Nein. Heute waren sie netter. Ich merkte, dass sich in mir das Gefühl von Nervosität ausbreitete. Ihr unterhielt mich nie mit jemandem, außer ab und zu mit meiner Mutter. Aber auch mit ihr sprach ich bloß sehr selten. Insgesamt sprach ich bloß selten. Meine Mutter muss viel arbeiten. Sie verlässt morgens das Haus, wenn ich noch schlafe und kommt spät Abends nach Hause, wenn ich schon wieder schlafe. Traurig, aber wahr. Wir leben in einem großen Haus. Mama und ich leben dort alleine. Sie muss die Miete alleine bewältigen. Nicht gerade wenig. Ich habe ihr schon oft gesagt, dass wir ausziehen sollen, aber sie kann sich einfach nicht von diesem Haus trennen. Sie will um jeden Preis dort wohnen bleiben. Wir verbinden viel mit dem Haus. Aber dadurch, dass wir uns nie sehen, haben wir uns auseinander gelebt. Ganz normal. Ich weiß nichts über sie und sie nichts über mich. Wenn ich Probleme habe, muss ich alleine damit klar kommen. Das macht einen zu einem Kopfmenschen. Das und...
„Fabienne?", riss er mich aus meinen Gedanken. „Ähh... Ja... Entschuldigen Sie". Mir war das so peinlich. Ich merkte, wie kein Kopf ganz heiß wurde. „Ist doch kein Problem. Bedrückt dich etwas? Hätte ich eben vor der Klasse anders reagieren sollen?". Er machte sich wirklich viele Gedanken. Mich bedrückt etwas, aber ich kann mich niemandem anvertrauen. „Nein... Alles gut", fing ich stotternd an:„Ehrlich gesagt danke ich Ihnen dafür". Er lächelte nun:„So? Wieso das denn?". Wieso? Weil noch nie jemand mich verteidigt hatte. Weil ich alles mit mir machen lies. Weil ich mich selbst nicht verteidigen kann. Doch das konnte ich ihm so nicht sagen.  „Naja, weil... Danke". Wow, krasse Antwort, Fabienne. Ganz toll gemacht. „Gibt es einen Grund dafür, das du so zurück gezogen bist?". Oh ja. Es gab viele Gründe dafür. Doch ich erzählte es niemandem. Ich habe ja auch niemanden. Niemanden, dem ich sowas erzählen könnte. Keine Freunde. Keine Familie, die Zeit für mich hat. Niemanden. Aber ich brauchte auch niemanden. Alleine ist alles unkomplizierter.
Aber ich kann meine Gedanken nicht in Worte fassen. „Ich bin alleine einfach besser dran". Er zog seine Augenbrauen hoch und setzte einen seiner besorgten Blicke auf:„Alleine geht man irgendwann kaputt. Jeder braucht jemanden zum reden". Ich bin kaputt. Beschämt schaute ich auf den Boden. „Ich nicht", murmelte ich. Dann ging ich. Ohne ein weiteres Wort. Mir schossen Tränen in die Augen. Meine Vergangenheit holte mich wieder ein. Ich wollte Herrn Koro meine schwache Seite nicht zeigen. Niemand sollte sie sehen. Er gab allerdings nicht so schnell auf und kam mir nach gelaufen. „Fabienne, warte doch", rief er mir nach. Schnell wischte ich mir die Tränen weg. Dann drehte ich mich zu ihm um. „Entschuldigen Sie mein respektloses Verhalten", ich traute mich nicht ihm in die Augen zu schauen. Er suchte meinen Blick:„Was ist los?". Was los war? Mein Leben war scheiße. Sorry, dass ich das so sage, aber es ist so. „Ich denke, dass ich die Nacht einfach zu wenig geschlafen habe und jetzt müde bin". Eine Lüge. Also, ich hatte wenig geschlafen, aber das war nicht der Grund für mein Verhalten. Seine Stimme war nun ernst:„Ich weiß, was dir fehlt, aber es ist kein Schlaf". Ich hatte das Gefühl, er schaute mir direkt in die Seele. Woher wusste er das? Irgendwie gruselig. Er kannte mich erst seit heute und er wusste mehr von mir, als jeder andere. Mehr, als meine eigene Mutter. Natürlich würde ich das niemals zugeben, aber ich brauchte jemanden zum reden. Jemanden, der mich verstand. „Ich muss nach Hause. Meine Mutter wartet sicherlich schon mit dem Essen". Wieder eine Lüge. Er nickte. Dann verlies ich das Schulgebäude und lies ihn im Flur stehen. Mein ganzer Körper war am zittern. Ich hatte zu lange nicht mehr mit jemandem gesprochen. Ich konnte das schon gar nicht mehr. Ja, sowas kann man verlernen. Nicht die Sprache  oder so, sondern die Art mit jemandem umzugehen. Man verlernt es, mit jemandem eine richtige Konversation zu führen.
Doch irgendwie spürte ich, dass er das ändern würde. Er würde meine harte Schale brechen.

Introvertiert Where stories live. Discover now