Kapitel 3

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Zu Beginn wollte ich mich entschuldigen, dass so lange nichts mehr kam. Ich habe mir Zeit für andere Dinge gekommen, möchte allerdings unbedingt wieder meinen Hobbys und Interessen nachgehen, die ich zu lange vernachlässigt habe.

Mein Blick war an die Decke gerichtet. Vertieft in meinen Gedanken, blendete ich die Welt um mich herum aus. Besonders am heutigen Tag hatte ich zu knacken. Ich musste ihn Revue passieren lassen und jedes kleinste Detail noch einmal durchgehen. Eines meiner Macken.
Glaubt mir, ich wollte nicht die Art von Mensch sein, die es nicht schafft, aus sich heraus zu kommen. Meine extreme Schüchternheit ist, wie ein Gefängnis aus dem man nicht ausbrechen kann. Für Menschen, die solche Erfahrungen nicht gemacht haben, ist das schwer nachzuvollziehen.
Was ich allerdings faszinierend finde und worüber ich sehr oft nachdenke ist, dass jeder Mensch ganz konkrete und tiefgründige Erklärungen für sein Handeln, Denken und Aussehen hat. Um auf meine zu sprechen zu kommen, muss ich tief in meiner Vergangenheit graben. Eine Zeit, an die ich nicht gerne zurück dachte und darüber sprechen war ein absolutes No-Go für mich.
Ich muss in einer Zeit anfangen, in der mein Leben perfekt schien. Ich hatte alles. Meine Familie war eine, wie man sie sich immer in den klassischen Filmen vorstellte: fröhlich, klein und harmonisch. Bestehend aus mir, meiner Mutter und meinem Vater. Eine perfekte kleine Familie eben. Ich erinnere mich genau daran, wie sehr Dad sich immer freute, wenn ich auf ihn zu rannte, als er von der Arbeit kam. Noch immer habe ich sein breites Grinsen vor Augen.
Aber es kam, wie es kommen musste. Ein schwerer Schicksalsschlag traf meine perfekte, kleine Familie und zerstörte sie. Dad war auf dem Heimweg von der Arbeit. Er hatte Pech. Ein Betrunkener Geisterfahrer erwischte ihn auf der Autobahn. Beide waren sofort tot. Als meine Mutter und mich die Meldung erreichte, brach sie zusammen. Sie schien an ihren Tränen förmlich zu ersticken und ich, gerade mal zehn Jahre alt, stand daneben, streichelte meiner Mutter über die Schulter und starrte in die Leere. Ich konnte meinen Verlust nicht begreifen.
Jeder geht anders mit Trauer und dem Tod einer geliebten Person um. Die einen reden, die anderen schweigen und machen den Schmerz mit sich selbst aus. Ich bevorzuge letzteres.
Meine Mutter fiel dem Alkohol zum Opfer und sah in ihm jemanden, der ihr, wenn auch nur für einen kurzen Moment, die Trauer nahm und sie ablenkte. Ich erinnere mich an eine Zeit, in der sie bereits morgens, wenn sie mich für die Schule weckte, nach Alkohol stank.
Ich übernahm damals ihre Rolle als Mutter und fühlte mich verantwortlich für sie. Mama hatte die Liebe ihres Lebens verloren. Wir beide waren übrig geblieben, kaputt und gebrochen. In ihrem Rausch sagte sie oft zu mir:„Wir beide, gegen den Rest der Welt". Ja Mama, wir beide. Mein Hauptaugenmerk lag auf dem Wohlergehen meiner Mutter. Ich wollte in ihren Augen perfekt sein, ihr alles recht machen, für sie da sein. Doch niemand kann die Lücke, die ein geliebter Mensch mit seinem Tod hinterlassen hat, füllen. Nicht einmal das eigene Kind.
Irgendwann konnte ich Mama endlich dazu überreden, sich professionelle Hilfe zu holen. Ich konnte meiner Rolle als Möchtegern Psychologin nicht mehr gerecht werden, denn mein Schmerz begann mich von innen aufzufressen. Lange hatte ich meine Gefühle und Bedürfnisse hinten angestellt und an jeden gedacht, nur nicht an mich selbst. Aber zulassen konnte ich sie nicht, denn ich musste stark für Mama sein. Ihr zeigen, dass das Leben noch einen Sinn hatte, wobei ich selbst keinen mehr darin sah.
Sie konnte sich irgendwann aufraffen unf kämpfte dagegen an, auch, wenn es ihr sehr schwer fiel. Dann kam sie in eine Klinik, wo ihr nebenbei mit ihrer Abhängigkeit zum Alkohol geholfen wurde. Zu dem Zeitpunkt war ich fünfzehn Jahre alt und versorgte mich mehrere Monate alleine.
Jemanden zum reden hatte ich nie.

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⏰ Last updated: Jan 20, 2018 ⏰

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