"Hoi, ich hab dich vermisst!"

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=Alle realen Personen gehören sich selbst und alles was sie sagen habe ich frei erfunden!=


„Auri, ich bin wieder zuhause!", höre ich meine Mutter von unten rufen.

„Schön Mama!", murmel ich mir in meinen nicht vorhandenen Bart und setze mich auf die breite Fensterbank. Ich ziehe die Knie an und schaue durch das Fenster auf die Straße. Die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Autos werfen ein wenig Licht in mein sonst so dunkles Zimmer.

Wie gerne würde ich selbst Auto fahren können, einfach nur, um hier wegzukommen... Ich würde ja nicht weit fahren, eigentlich nur zu Papa. Es würde so viel besser sein als hier in diesem Drecksloch von Stadt. Ich hasse es hier, ich habe hier keine Freunde, keine Verwandte, nichts habe ich!

Ich will doch einfach nur wieder zu Papa. Ich möchte wieder Musik mit ihm machen. Er hat mich früher manchmal zu seinen Bandproben mitgenommen und ich durfte auf Osmos Keybord oder Rikus Gitarre spielen und mit Samu singen. Wir haben dann zusammen ein paar Lieder gespielt, sie haben mir einiges beigebracht. Oft sind wir danach noch zu Samu gefahren und ich konnte mit Jaro, Samus Sohn, spielen. Er war wie ein Bruder für mich, nur von einem anderen Vater. Ich vermisse diese Zeit, aber seit Papa mich einmal aus dem Haus geworfen hatte, weil er seine Ruhe haben wollte, nachdem er wohl ein bisschen zu tief ins Glas geschaut hatte, lässt Mama mich nicht mehr zu ihm. Und ich hasse sie dafür!

Darf ich nicht selbst entscheiden, wo ich sein möchte?

Das Licht in meinem Zimmer geht an und wirft mich aus meinen Gedanken.

„Auri, sitzt doch nicht immer hier im Dunklen. Und Hausaufgaben hast du auch noch nicht gemacht! Das kann doch jetzt nicht sein, du solltest auch noch dein Zimmer aufräumen!...", sie redet weiter, aber ich höre schon gar nicht mehr hin. Es ist jeden Tag das Selbe; räum dein Zimmer auf, mach Hausaufgaben, hol die Wäsche aus dem Keller, mach das Essen, deck den Tisch, bring den Müll raus, mach dies, mach das, Auri. Ich bin doch nicht ihre Haushälterin, ich bin ihre verdammte Tochter! Sie soll endlich kapieren, dass ich mich von ihr nicht länger so behandeln lasse.

Sie verstummt. Als hätte sie meinen letzten Satz hören können..., sie hat meinen letzten Satz gehört... Ich schlucke. Aber ich werde nicht wieder nachgeben, es muss endlich aufhören.

„Auri!", sagt sie mit bebender Stimme, „Was soll das?"

„Entschuldige, das hätte ich nicht sagen sollen...", gebe ich nur unberührt von mir.

„Schön, dass du es einsiehst. Trotzdem gibst du jetzt dein Handy ab!", kommt sie mit offener Hand auf mich zu. Als ich anfange trotzig den Kopf zu schütteln, schaut sie mich mit einem eindringlichen Blick an.

„Auri!", zischt sie. Widerwillig halte ich ihr nun doch mein Handy hin, ich meine, ich habe immerhin noch meinen Laptop von Papa, den sie nie gefunden hat. Sie schnappt sich mein Handy und verlässt mein Zimmer, aber natürlich nicht ohne sich nocheinmal umzudrehen: „Und jetzt räum dein Zimmer auf und mach Hausaufgaben!" Dann schließt sie endlich die Tür.

„Und jetzt räum dein Zimmer auf und mach Hausaufgaben, blablabla!", äffe ich sie nach, während ich von der Fensterbank springe. Ich laufe rüber zu meinem Kleiderschrank und hole meinen Laptop hinter meinen Hosen hervor. Ich bin Papa echt dankbar dafür, so kann ich wenigstens ein bisschen Kontakt mit ihm halten.

Während der Laptop auf meinem Bett hochfährt, räume ich dann doch die herumliegenden Hosen und T-Shirts in den Wäschekorb, um wenigstens damit nicht noch mehr Theater anzuzetteln. Ich möchte heute Nacht noch schlafen können und mir nicht die ganze Zeit ihr Gemecker anhören. Als ich den vetrauten Startton höre, setze ich mich auf mein Bett. Ich ziehe den Laptop auf meinen Schoß und gebe mein Passwort ein. Sofort erscheint auf dem Bildschirm eine Benachrichtigung, dass eine neue Mail von meinem Vater eingetroffen ist. Schnell öffne ich sie und freue mich schon, als ich den Betreff lese:

Ferien bei Papa?

Doch als ich weiterlese, trifft es mich wie ein Stich ins Herz:

Hallo kulta!

Du weißt, wie sehr ich dich vermisse und ich weiß auch, wie sehr Du mich vermisst und ja, ich habe Dir versprochen, dass Du diesen Winter bei mir in Helsinki verbringst, aber das Jugendamt hat es mir schon wieder verboten. Deine Mutter hat sich wohl weiterhin beschwert und gesagt, ich hätte dich tausendmal angerufen und belästigt, obwohl Du es nicht wolltest. Aber bitte lass jetzt nicht deine ganze Wut an deiner Mutter aus, dadurch wird es nicht besser.

Ich wollte Dir eigentlich bessere Nachrichten schicken, aber selbst die anderen Jungs aus der Band können nur sagen, dass sie ihren kleinen Teufel vermissen. Ich soll dir von allen, aber besonders von Jaro schöne Grüße bestellen!

Ich hoffe, deine Mutter überlegt es sich nochmal. Wahrscheinlich werde ich sie morgen auch noch anrufen und zur Rede stellen.

Ich hab dich lieb, pass auf dich auf!

Hyvää yötä, Papa!

PS: Du bist nicht allein und das wirst du auch nie werden!

„Ich wusste es!", wutentbrannt klappe ich den Laptop zu. Ich stelle ihn auf den Nachttisch neben meinem Bett und schmeiße mich in die Kissen. Langsam kullert eine Träne meine Wange hinab. In den folgenden fünf Minuten liege ich einfach nur auf meinem Bett und weine. Ich weine, weil ich nicht zu meinem Vater darf. Ich weine, weil ich meine Freunde nicht wiedersehe. Ich weine, weil ich das Gefühl habe die ganze Welt hasst mich. Aber vorallem weine ich, weil ich enttäuscht bin, enttäuscht von meiner Mutter.

Doch dann fasse ich einen Entschluss; Ich werde zu Papa fahren, ob Mama mich lässt oder nicht. Ich muss einfach wieder nach Helsinki, wieder zu Jaro, wieder zu den Jungs, wieder zur Musik!

Erneut klappe ich den Laptop auf und suche die schnellste Verbindung nach Helsinki heraus. Nach einiger Zeit finde ich sogar ein ganz annehmbares Angebot. Gott sei dank habe ich ein eigenes Konto, sodass ich einfach meine Daten eingeben kann und meine Mutter wirklich nichts mitbekommt. Nur noch den Button zum Bestätigen klicken, dann habe ich es geschafft. Dann werde ich meinen Vater und meine Freunde in einer Woche in Helsinki wieder in die Arme schließen können. BESTÄTIGT.

Ich lächle und küsse den Bildschirm. Jetzt muss ich nur noch diese eine Woche aushalten mich nicht zu versprechen und dann bin ich der glücklichste Mensch auf Erden. Zufrieden fahre ich den Laptop wieder herunter und verstecke ihn im Schrank. Gerade rechtzeitig, denn als ich mich an die Hausaufgaben setzen will, öffnet sich meine Zimmertür.

„Was willst du?", frage ich ohne mich umzudrehen.

„Hoi, ich habe dich vermisst!", höre ich eine Stimme hinter mir, die mir ein angenehmes Gefühl verpasst.

Helsinki FirstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt