one

13 1 4
                                    

Ich bin neu. Mal wieder. Neue Stadt, neue Schule, neue Leute, neue Wohnung, neuer Coup.
Mein Dad ist, sagen wir's mal so, professioneller Juwelendieb. Das bedeutet, wir kommen ziemlich viel rum und haben eine Menge Geld, allerdings nicht verfügbar.
Es ist auf jede Menge Konten auf der ganzen Welt verteilt, nicht zurück zu verfolgen, und nur begrenzt verfügbar.
Ich ziehe im Jahr circa dreizehn Mal um, und diesmal sind wir wieder in Deutschland. Meine Heimat. Hier hat mein Dad mit einer Ärztin geschlafen, die ihn nach einer Schussverletzung behandelt hatte.
Neun Monate nach der Verletzung kam ich zur Welt, meine Ma starb bei meiner Geburt und ich wurde zur Adoption freigegeben. Der leichteste Coup meines Vaters war es, mich aus dem Waisenhaus zu "stehlen".
Er war jetzt fünfundvierzig Jahre alt und dieser Coup in Deutschland würde die Hauptprobe für seinen letzten, phänomenalen Coup in Paris werden.
Obwohl ich so oft die Schule wechsle werde ich nächstes Jahr mein Abitur wahrscheinlich ohne größere Probleme schaffen.
Eins muss man meinem kriminell-genialen Vater oder meiner medizinisch-intelligenten Mutter lassen, sie haben ein kluges Kind bekommen.
Früher hatte mein Vater einen Komplizen, der sich mit Computern auskannte, doch dieser hatte einen schwerwiegenden "Unfall", und ich habe seinen Platz eingenommen.

Heute bin ich eine der Besten auf meinem Gebiet, und gerade einmal siebzehn Jahre alt.
Aber Fakt ist ich bin in Deutschland, und wohne für ungefähr zwei wenn nicht sogar zweieinhalb Monate in einer klitzekleinen Wohnung in einem schäbigen Hochhaus.
Aber es ist immer noch Deutschland woraus folgt, dass ich Deutsch reden kann, endlich einmal wieder.

Ich trage meine Taschen und meinen Koffer aus dem Flur in mein graues, kleines Zimmer. Die Tapete ist, beziehungsweise war, einmal gelb und blättert von der Wand ab. Dahinter kommt graue Mauer zum Vorschein. Auf dem klapprigen Schreibtisch baue ich meine Schätze auf. Teure Computer, Laptops und andere technische Geräte, die ich für meine "Arbeit" benötige. Ich räume die leeren Taschen und meinen Koffer in den Schrank und ziehe mir ein graues Sweatkleid an.
Dann gehe ich zu meinem Vater in die Küche und mache uns Spiegeleier. Nach dem Essen dusche ich und betrachte mich in dem Ganzkörperspiegel.
Meine hellbraunen Haare sind vom Wasser tief dunkelbraun und meine oliven Augen betrachten meine dünne, sportliche Figur. Ich sehe ziemlich gut aus, aber normalerweise interessiert mich das nicht. Von Jungs habe ich keine Ahnung und erst Recht habe ich keine Zeit für sie. Auch wenn ich weis, dass viele der Jungs, die ich einmal gekannt habe, diese Tatsache sehr bedauernswert fanden.

Mein Wecker klingelt unerlässlich, seit mindestens fünf Minuten. Ich wälze mich in seine Richtung und kann endlich sein nervtötendes Klingeln ausschalten. Ich verlasse widerspenstig und müde mein Bett, um mich auf den Weg zur Küche zu machen, um zu frühstücken.
Es ist viel zu früh. Ich konnte nur vier Stunden schlafen und habe einen totalen Jetlag.
Ich gehe um die Inseltheke herum, zum Kühlschrank, und reiße die Tür auf. Nicht anders als erwartet, gibt es nur Fertigkost, die wir noch von unserer Reise übrig haben. Ich nehme mir eine Dose mit eingelegtem Paprika.
'Ein tolles Frühstück', denke ich sarkastisch. Ich streiche mir ein paar verirrte Haarsträhnen aus dem Gesicht und setze mich auf die Inseltheke. Ich ziehe die Beine an, platziere sie im Schneidersitz und öffne die Dose, um zu essen. Es wundert mich nicht, dass der Kühlschrank und wahrscheinlich auch alle anderen Haushaltsgeräte schon angeschlossen sind, obwohl die Wohnung lange leer stand und wir erst vor, vielleicht, fünf bis sechs Stunden angekommen sind.
Mein Dad sorgt immer dafür, dass alles funktionstüchtig ist, wenn er irgendwo neu ist, sobald es ihm möglich ist.

͵͵Bekomme ich auch was?", fragt er lachend, als er die Küche betritt.
͵Du musst dir schon selbst was holen", meine ich mit vollem Mund.
Er klopft mir lachend auf die Schulter und geht dann zum Kühlschrank.
͵͵Ich treffe heute Abend einen alten Freund", sagt er während er unsere Essensvorräte mustert. Ein alter Freund, das bedeutet einen Informanten, mit Wissen über irgendetwas, das wichtig für den Coup ist. Ich werde den Abend also allein in unserem neuen Heim verbringen. Wahrscheinlich bekomme ich irgendwelche Aufgaben, die ebenfalls wichtig sein werden. Zum Beispiel, Infos der Sicherheit, des Gebäudes, in dem unser Objekt der Begierde sich befindet, zu beschaffen oder so etwas in der Art.
͵͵Und heute Mittag einkaufen", fügt er noch hinzu.
"Gute Idee", sage ich und tauche meine Finger wieder in die Dose, um einen Paprika herauszufischen. ͵͵Besteck brauchen wir auch noch", murmle ich.
͵͵Jaja", antwortet er und nimmt sich eine der Dosen mit Fisch.
͵͵Ich habe vorerst keine Aufgaben für dich. Du kannst heute Abend machen, was normale Teenager in deinem Alter auch machen", sagt er überraschend. Das kommt vielleicht einmal im Jahr vor. Ich habe einen freien Tag. Das Problem ist, ich habe keine Ahnung was "normale" Teenager meines Alters tun, deshalb frage ich Dad.
͵͵Keine Ahnung... feiern oder so", antwortet er grummelnd.
͵͵ Feiern. So so... wie geht das?", ich schaue ihn fragend an.
͵͵Oh Gott, mein Mädchen", er lacht,͵͵geh in einen Club, lass dich volllaufen und der Rest kommt dann von allein."
͵͵Dad!", lache ich. In solchen Momenten könnte man uns für eine normale Familie halten. Aber natürlich sind wir das nicht.
͵͵Jaja, ich weis nicht, dir wird schon was einfallen. Und jetzt mach schnell, dein Bus wartet nicht", befiehlt er. Gehorsam esse ich meine Dose aus, werfe sie in den Müll und richte mich für die Schule.
Einfache, blaue Jeans, Turnschuhe und ein graues Top. Ich lasse meine Haare frei über meine Schultern fallen, verabschiede mich und gehe zur Bushaltestelle.

Mein neues Gymnasium ist auch keine Abwechslung in meiner Sammlung. Ein großer, hässlicher, grauer Betonklotz. Sehr schön.
Ich suche das Sekretariat auf und während ich auf die Sekretärin warte, beobachte ich zwei Mädchen, die hinter vorgehaltener Hand, aufgeregt tuscheln. Bevor ich den Grund herausfinden oder identifizieren kann, kommt die Sekretärin herein und entschuldigt sich für ihre Verspätung.
͵͵Frau Mayer", stellt sie sich vor,͵͵und sie sind...ah ja, da steht es ja. Frau Watts, richtig?" Fragend schaut sie mich an, ich nicke bestätigend.
͵͵Gut, sie haben ihre erste Stunde in Zimmer 325. Ich denke sie finden hin?", sie lässt den Satz in einer Frage ausklingen.
͵͵Ja, ich denke auch", antworte ich. ͵͵Herr Jansen ist über dich informiert", meint sie noch, bevor sie sich wieder ihren Papieren zuwendet.
'Okey', denke ich, mache auf dem Absatz kehrt und gehe zum dritten Stock.
Bis ich den Raum 325 wirklich gefunden habe, hat es schon geklingelt. Ich klopfe zaghaft an die Tür.
͵͵Herein!", ruft eine Männerstimme, wahrscheinlich die von Herrn Jansen. Ich trete ein. Ungefähr fünfundzwanzig Gesichter, plus das des Lehrers, sind auf mich gerichtet. Also circa einundsechzig Augenpaare, die mich von oben bis unten aufmerksam mustern.
͵͵Ah, die Neue, stellen sie sich doch bitte einmal kurz vor", sagt der Lehrer und winkt mich vor, zu seinem Pult.
͵͵Äh, also ich bin Heather Watts und siebzehn Jahre alt. Mein Vater und ich sind hergezogen, weil er ein neues Stellenangebot bekommen hat", erkläre ich und spüre die neugierigen Blicke auf mir, ich versuche sie zu ignorieren. Das Vorstellen ist immer am schlimmsten. Danach kann ich mich abschotten und den anderen meine kalte Schulter zeigen.
͵͵Okey, gut. Ich bin übrigens Herr Jansen. Dann setzt du dich jetzt also am besten da hinten neben Noah", sagt Herr Jansen und deutet auf den Platz neben einem blonden Jungen, der sich nicht sehr für den Unterricht zu interessieren scheint, denn er hat den Kopf auf die Arme gelegt, diese wiederum auf den Tisch und döst gelangweilt vor sich hin. Herr Jansen wirft ein zerknülltes Blatt Papier an Nohas Kopf und ruft:͵͵Guten Morgen, aufgewacht, Noah! Die Neue wird neben dir sitzen also mach mal Platz!" Die Klasse kann sich das Lachen nicht verkneifen und Noah grinst breit übers ganze Gesicht, als ich mich neben ihn auf den Stuhl fallen lassen. ͵͵Hi", sagt er, immer noch grinsend. ͵͵Leider habe ich deinen Namen verpennt", sagt er entschuldigend. Ich schüttle missbilligend den Kopf. ͵͵Heather", sage ich.
͵͵Gut, Heather. Noah", er streckt mir die Hand hin. Ich muss lächeln.
͵͵Ich weis, schön sie kennenzulernen." Er lächelt auch.
͵͵Die Freude ist ganz meinerseits", antwortet er.
͵͵Hey, Noah! Pass auf!", ruft Herr Jansen von vorne. ͵͵Passen sie auf!", ruft er und wirft das zerknüllte Papier in hohem Bogen nach vorne zu Herrn Jansens Pult. Direkt in dessen Kaffeetasse.
͵͵Guter Wurf, Junge!", lobt Herr Jansen bewundernd und fischt den Papierklumpen aus seinem Kaffee. ͵͵Hätten wir Sport würde ich ihnen eine glatte Eins geben. Das war eine glanz Leistung. Hervorragend, aber da wir nicht im Sportunterricht sondern im Biologieunterricht sind, bitte ich sie mir einen neuen Kaffee von Frau Mayer machen zu lassen. Sie wird sich freuen sie mal wieder zu sehen", sagt Herr Jansen lächelnd. Noah steht auf, geht zum Lehrerpult, nimmt die Tasse von Herrn Jansen und verlässt die Klasse. Herr Jansen wirft den durchweichten Klumpen Papier in den Mülleimer und fährt mit dem Unterricht, von vor meinem Erscheinen, fort.

So beginnt mein erster Schultag an zigtausendsten, neuen Gymnasium in meinem Leben...






Heather&JoshWo Geschichten leben. Entdecke jetzt