Engel sind menschlich

41 4 3
                                    



„Wusstest du, dass der Himmel blau ist, weil das Licht ganz besonders durch die Atmosphäre fällt? Da wird es aufgespalten in ganz viele Farben, und blau ist die kleinste Farbe, deswegen sehen wir sie am besten." Das wusste ich nicht. Ich wusste auch nicht, was eine Atmosphäre war, oder wie man Licht aufspalten können sollte. Ich wusste noch nicht einmal, was genau aufspalten war. Aber ich mochte es, wenn sie etwas erzählte, was sie gelernt hatte. Es war der einzige Moment, wo ich auch ihre Augen lächeln sah. Mit dem Mund lächeln tat sie oft, viel öfter als ich, aber ihre Augen lachten selten. Mit der Sonne hinter sich leuchtete sie wie ein Engel. Sie zog mich unter dem Segeltuch hervor, das einen Teil des Sandkastens vor der Sonne schützte, und zeigte auf eine große Lokomotive, die weiter hinten in der Sonne auf der großen Wiese stand. Ich mochte sie, aber da waren so viele andere Kinder, dass ich mich nicht hin traute. „Frau Hasse hat eine Wasserrutsche aufgebaut, komm! Mir ist so warm." Jetzt lächelte ihr Mund wieder. Ich rannte hinter ihr her. Sie war so schnell.

„Ich bin jetzt schon in der Vorschule. Deswegen kann ich nicht mehr so viel spielen, weil wir jetzt schon groß sind und schon Aufgaben machen dürfen. Wie in der Schule! Gestern haben wir unsere eigene Geschichte geschrieben, das war toll! Davor sollten wir Bilder in die richtige Reihenfolge sortieren, das war einfach, aber fast alle anderen haben Bild 1 und 4 vertauscht." Sie kam bald in die Schule. Wenn sie davon erzählte, lachten ihre Augen. Manchmal, wenn ihre Augen lachten, bewegte sich mein Mund auch nach oben. Nur ein bisschen. Aber die Erzieherinnen sahen uns dann immer glücklich an. Eigentlich sahen sie nur sie an. Offenbar war sie wirklich ein Engel. Ich gähnte müde. „Wusstest du, dass man eigentlich gar nicht gähnen muss, wenn man müde ist, sondern wenn man zu wenig Luft bekommt?" Ich bekam doch aber Luft. Und ich war müde. Mama hatte schon wieder so lange geschrien. „Komm mit!" Sie rannte nach draußen, und wieder folgte ich ihrem Leuchten. An der Sonne musste ich niesen. „Wusstest du, dass beim Niesen der Schmutz aus deiner Nase mit einer Geschwindigkeit von 180 Kilometer pro Stunde geschleudert wird? Das ist super schnell, fast so schnell wie ein Rennauto." Sie wusste tolle Dinge. Eine Weile herrschte Schweigen. „Erzähl mir noch mehr." Sagte ich ihr, als wir gemeinsam unter dem Segeltuch einen großen Hügel aus Sand bauten. Aber sie sah mich begeistert an. „Ich wusste doch, du kannst reden! Meine Mama hat gesagt, dass du vielleicht gar nicht sprechen kannst, aber du kannst doch reden. Ich mag deine Stimme." Ich mochte es, wenn sie solche Dinge sagte. Sie verpetzte mich nicht, dass ich gesprochen hatte. Irgendwann kamen andere Kinder angerannt. „Wer ist das? Bist du neu?" fragte ein Mädchen mit ganz langen schwarzen Haaren. „Ja, das ist Jaron,er ist seit Montag da." „Hey, dein Name fängt auch mit J an, genau wie meiner! Ich bin Jo." Ich nickte. „Er redet nicht viel, er hört lieber zu. Wollt ihr mitspielen? Wir bauen gerade einen Tunnel." Ein Junge kam hinter dem Rücken von Jo hervor. „Das ist Janis." Jo setzte sich zu uns. Janis setzte sich auch. Janis und Jo redeten ganz viel mit dem Engel-Mädchen. „Sag doch auch mal was!" sagte Jo. „Du darfst andere nicht zwingen zu sprechen, dann ist es doch nichts Besonderes mehr, Jo!"." Sie wandte ihr Gesicht zu mir. Sie lächelte nicht, auch ihre Augen nicht, und doch leuchtete sie super hell. „Du musst nicht reden, wenn du nicht magst, okay?" Ich nickte. Der Tunnel war fertig.

Es gab Mittagessen. Nudeln mit Fischsoße. Ich mochte keinen Fisch. Die anderen auch nicht. Die anderen hatten eigenes Essen mit, aber wir mussten trotzdem probieren. Wenn sie untereinander redeten waren sie immer laut, aber bei der Köchin wurden sie immer ganz leise. Deswegen hatten wir jetzt alle Fischsoße auf unseren Nudeln. Jo holte sich gerade mit den anderen zusammen ihr fünftes Glas Wasser. „Alle Namen deiner Freunde fangen mit J an." Sagte ich zu Theresa. „Ja, deiner ja auch, stimmt ja. Irgendwie cool." Jedes Glas reichte für drei Gabeln Nudeln. Mir brachte das Engel-Mädchen auch immer ein Glas mit. „Theresa, glaubst du, wir können fragen, ob wir aufstehen dürfen?" „Weiß nicht." „Geh fragen." „Geht ihr doch." „Aber dich mögen sie mehr." „Ihr könnt auch fragen." Sagte Theresa. Heute leuchtete sie gar nicht. Ich schob meinen halb leer gegessenen Teller beiseite und stand auf. „Hey, junger Mann, du hast noch nicht aufgegessen!" Eine Erzieherin packte mich am Arm und zog mich zum Tisch zurück. Es tat weh. „Du musst doch aufessen, damit du groß und stark wirst." „Wir mögen alle keinen Fisch. Wir haben ganz viel getrunken und ganz viel probiert, aber es schmeckt nicht!" „Mensch, Jo, als du in den Kindergarten kamst, da mochtest du noch Fisch. Nur weil Theresa keinen Fisch mag, esst ihr auf einmal auch alle keinen mehr." „Gar nicht wahr! Es schmeckt nicht!" „Ihr esst das jetzt auf, vorher dürft ihr nicht aufstehen!" Der Speisesaal leerte sich. Jo und Janis aßen alles auf, aber Theresa aß nur ganz wenig. Ich war auch fertig, aber ich durfte nie aufstehen, bevor Mama nicht auch fertig war. Das machte man nicht. Also blieb ich auch sitzen. Draußen war es schön. „Jetzt komm, Theresa, iss schon auf. Jaron, du kannst doch schon gehen, du bist doch schon fertig." Theresa blieb sitzen und aß nur ab und an etwas. Ihre Augen waren ganz blass. „Wie kannst du sowas nur essen...in den Meeren gibt es viel zu wenige Fische, wusstest du das? Und die Meere sind sehr wichtig für die Menschen, weil die viele Dinge speichern können, die nicht in die Luft gehen sollen, und weil sie unser Wetter machen." Die Meere machten unser Wetter? Ich wollte unbedingt einmal ans Meer. „Und wenn es zu wenige Fische gibt, dann werden die Meere krank. Wieso essen die Leute so viel Fisch? Das schmeckt doch nicht einmal." Ich fühlte mich schlecht, weil ich die Meere krank gemacht hatte. „Du kannst doch nichts dafür." Sagte das Mädchen und lächelte mich an. „Tere, iss doch einfach schnell auf. Mir war danach auch nur ganz kurz schlecht. Warum machst du so viel mit ihm? Er ist komisch. Komm spielen." Sagte Jo. Theresa sah sich kurz um. Als die Erzieherin in die Küche ging, stellte sie ihr Glas und den Teller mit Hilfe von Jo auf den Speisewagen und rannte schnell hinaus. Wir rannten kichernd hinterher. Es machte Spaß.

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 04, 2017 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

Little storiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt