8 - Wendung

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Kapitel 8: Wendung

Liyu sah sie an und holte einmal tief Luft. »Daphne.«

»Daphne?« »Sie war meine...Mutter« »Sie war?« Kurai senkte ihren Kopf. »Sie ist nicht mehr unter uns, oder?« Liyu schwieg. »Sie war sicherlich eine schöne Frau. Ihre Schönheit ist also verblüht wie die einer Blume. Ich verstehe.« Liyu sah sie an. »Kurai?« »Ja?« »Was ist eigentlich mit deiner Mutter? Wo ist sie denn?« »Ich weiß es nicht. Früher hatte ich strahlend blaue Augen. Ich habe jeden Tag im Garten gespielt, wie jedes normale Kind. Eines Tages jedoch, meinte der Arzt ich wäre krank. Würde irgendwann meine Sicht verlieren. Bald wurde von Tag zu Tag meine Welt grauer. Meine Mutter verlor den Gefallen an mir und meinte, wir machen einen Ausflug auf einen Berg, den ich als Kind geliebt hatte. Auf dem Berg wuchs eine wunderschöne Blume. Sie sah aus wie eine Rose, nur in blau und ihre Blütenränder waren lila. Ich setzte mich zu ihr und meine Mutter flechtete einen Blumenkranz für mich. Alles war so wundervoll. Hätte ich gewusst was sie vor hat, wäre ich nie mit ihr mitgegangen. Sie sagte sie würde gleich wieder kommen, weil sie etwas holen müsste. Also verblieb ich dort, wo ich saß. Irgendwann schlief ich ein, bis mich die klirrende Kälte weckte. Während ich schlief hatte es begonnen zu schneien. Doch ich hatte meine Orientierung verloren. Bis mich Miss Nemoto auf dem Berg fand.« Liyu nickte. Nun verstand sie. Auch sie hatte jegliche Liebe verloren, die sie je bekommen hatte.

»Aber du hast ein neues Zuhause Kurai. Nun lebst du hier und kannst dein Leben selbst bestimmen. Du kannst du selbst sein, Mut haben und deiner Person freien Lauf lassen.« Kurai schwieg. Im Raum herrschte toten Stille. Schweigend saßen beide auf dem Bett, nebeneinander, wie eine Familie. Mit der Zeit sahen sie, wie das Licht durchs Fenster fiel. Zumindest sah Liyu es. »Ich werde wohl mal gehen. Ich will nicht, dass jemand weiß, dass die kleine Kurai auch ohne Hilfe durchs Haus kommt«, sagte Kurai während sie Liyu anlächelte. Ja, ja sie lächelte wirklich. Kurai trat durch die schwere Tür, während Liyu sich ihren Weg in das Bad bahnte. Sie bürstete sich durch ihre langen, braunen Haare und richtete sie zu einem geflochteten Zopf. »Du bist wirklich ein hübsches Mädchen«, sagte eine weibliche Stimme leise. »Natürlich ist sie eine wunderschöne Dame. Was haben sie sich erhofft? Ein hässliches Entlein? Nicht doch, nicht doch. Unsere Miss Liyu ist wie ein perfekt geschliffener Diamant!« Im Türrahmen standen Dai und eine Frau, etwas älter als Liyu selbst. Ihre Haare waren nur etwa kinnlang und so dunkel, dass sie schon fast schwarz aussahen. Ihre Augen waren wie der unbendige Ozean, so tief und so blau. »Komm, lass mich dich zu einem Tee einladen, junge Dame. Wir haben uns sicherlich viel zu sagen.«

Der heiße Tee dampfte auf dem kleinen Tisch zwischen ihnen vor sich hin. »Du bist also die Neue, über die sich alle so die Mäuler zerreißen? So spektakulär siehst du gar nicht mal aus, Mädchen. Doch mit Sicherheit hast du auch irgendwas... besonderes.« Die junge Frau rümpfte widerspenstig die Nase und sah Liyu genervt an. Doch schien sie dies nur zu spielen, denn man sah ihr genau an, wie gestellt es doch war. »Was verschafft uns denn eigentlich die Ehre? Miss Liyu, wie sie Dai nennt. Das sind sie ja doch?« Auf dem Gang ertönte ein lautes Knallen. »Natürlich bin ich das«, sagte sie während sie sich murmelnd zur Tür drehte. »Nanananana.... schön mit den Gedanken hier bleiben Fräulein. Es wird nicht abgewandert.« Liyu nickte, konnte jedoch ihre Neugier nicht ersticken. Immer wieder wanderte ihr Blick zur Tür. »Ich sehe, es wird nichts nützen. Nun geh schon!« Liyu rannte regelrecht zur Tür. Sie riss sie auf und rannte hinaus. Der ganze Gang war still, bis auf ein leises Tropfen. Liyu richtete ihre Augen darauf und schreckte zurück. Das was sie sah, war Blut. Noch frisch, als wäre es grade erst aufgetaucht. Die klare, rote Flüssigkeit lief in einem kleinen Rinsal an dem dunklen Holz herunter. Die Stille auf dem Gang war ihr ein Graus. Es war noch nie so lautlos, doch plötzlich erklang ein lauter Schrei. Er schallte über den ganzen Gang. Dieser Schrei lies sie nicht minder an ihre Vergangenheit denken. Zunehmend, an all die schrecklichen Tode die sie damals sah.

Liyu rannte los. Ihre Angst wollte sie zurückhalten, doch ihre Besorgnis trieb sie weiter voran. Sie hörte immer lautere metallische Geräusche. Ein Lachen fuhr durch ihre Knochen und lies sie erzittern. Zu ihrer Linken riss in nicht mal einer Sekunde eine Tür auf und zog sie hinein. Das Zimmer roch modrig. Kälte lies ihre Zähne schlottern. Ihre Augen erkannten nur ein wenig grauen Stahl. »Shhh«, zischte eine wohlbekannte Stimme. »Nein..Nein. Neeeeeeeeeeeeein. Bleib fern von mir.«, hörte man eine junge Stimme auf dem Gang immer wieder kreischen, dazwischen immer verzweifelte Hilferufe. »Bleib fern von mir! Ich will ni....« Ein letztes Kreischen, gerzerrt von Schmerzen. Dann lag der Gang erneut still. Liyu zitterte vor Angst und ihr Gesicht wurde zunehmend bleicher. »Kurai«, sagte Liyu, deren Stimme ebenso zitterte wie ihr Körper. »Wir sollten gehen, sonst findet uns noch jemand. In meinem Zimmer können wir uns verstecken. Wir können es abschließen.« »Kurai wer war das? Wer hat so geschrien?« Liyus Augen füllten sich mit Tränen. Sie konnte das nicht glauben. Alles war wie ein Albtraum. Kurai zog die schwere Tür auf und Licht fiel in das kleine, mit vergammelten und frischen Fleisch gefüllte Zimmer. Liyu trat langsam aus dem Gang hinaus. Auf dem Boden waren Blutpfützen verteilt und nicht weit weg sah sie einen Körper auf dem Boden liegen. Mit aller Überwindung riss sie den Körper herum, als sie sich neben ihm platziert hatte. Doch als sie sah wer, wollte sie ihren Augen nicht trauen. Nein, sie traute ihnen nicht. Sie ergriff den kalten, toten Leib und drücke ihn an sich. Bitterlich schluchzte sie, als sie ihre Freundin zu einer letzten Umarmung in ihre Arme schloss. Kurai legte ihre Hand auf Liyus Schulter, als diese sich an ihre tote Freundin drückte. Es war ein Albtraum, aus dem sie erwachen wollte, schreien wollte. »Wir müssen. Ich höre Schritte.« Liyu sah Kurai mit Tränen gefüllten Augen an. Sie wollte ihre Freundin nicht zurücklassen. Der Tod hatte sie getrennt, doch nie wieder sollten sie von einander getrennt sein, dachte sie. »Du kannst sie nicht mitnehmen«, sagte Kurai. »Sie denkt sicher auch an dich dort, wo sie grade ist.« Liyu sah sie ein letztes Mal an. Die Lebensfreude in ihren Augen stach noch immer hervor, gemischt mit Angst vor dem Tod. »Du warst eine tolle Freundin«, flüsterte sie und legte sie sanft auf den Boden zurück. Sie ergriff Kurai und beide rannten über die Gänge, in Kurais Zimmer.

Gerade als beide die Tür verschlossen hatten, hörten sie Stimmen. »So'n Mist. Hab die Kleine nicht gefunden. Nur eine von den drei Mistgören und grad auch noch die, die uns gar nicht bringt.« »Such weiter. Sie können nicht weit weg sein!«, erwiderte eine andere Stimme genervt. »Kurai?« »Mhhh?«, erwiderte diese nur. »Wir müssen hier weg! Sie wollten uns, nicht Misaki. Lass uns gehen.« Liyu riss die Tür auf und rannte hinaus. »Mädchen!« Beide zuckten zusammen, erblickten jedoch das Gesicht von Miss Nemoto. »Ihr wollt doch nicht nach draußen? Ella meinte, da draußen befindet sich ein Wolf und er hat bereits kleine Kinder gerissen. Ich könnte es nicht übers Herz bringen, dass er euch auch bekommt.« Kurai senkte den Kopf. »Nicht doch«, sagte Liyu. »Wir erklären es später Miss Nemoto.« Zusammen mit Kurai rannte sie weiter und ließen Misss Nemoto hinter sich. Bald schon fühlten sich Liyu sicher, doch Kurai war beunruhigt. »Ich denke nicht wir sollten stehen bleiben, Liyu. Ich habe ein schlechtes Gefühl bei der Sache.« »Ich denke dieses Gefühl ist berechtigt. Ich hab euch endlich gefunden. Kein Ausweg. Kein Weglaufen. Wobei ich doch zugeben muss, dass ich nie einen Gedanken gehegt habe, meine eigene Schwester zu töten. Dabei habe ich den Tee mit dir so genossen Liyu, auch wenn ich mich verstellen musste.« Die junge Frau hob ein Schwert an. »Doch nun ist das ganze Spiel vorbei!« Die schwere metallische Klinge sauste nach unten. Doch fiel neben sie. Die junge Frau gab nur ein leisen Laut von sich und fiel zu Boden. Die beiden Mädchen begegneten erneut eine befreundeten Gestalt: Valerie. »Zum Glück habe ich habe es reichtzeitig geschafft mich zu verarzten und hier zu sein. Die Wunden sind nicht sehr schlimm, ich werd also wieder. Nun aber zum wesentlichen. Lauft. Bitte Lauft. Hier läuft immer noch jemand herum, der euch beide umbringen will. Ich werde Zeit für euch schinden, doch kann ich euch nichts versprechen. Und Liyu, ich werde Misaki einen schönen Ruheplatz geben. Versprochen. Nun geht. Jetzt rennt schon endlich!« Beide nickten und rannten. Doch Kurai rannte einen anderen Weg als Liyu. Sie rannte auf den Hof, zum Wolf. Sie schlug die Türen auf und lief langsam auf das wilde Tier zu. 

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