One

3.7K 46 14
                                    

Seit einer Woche war ich nun hier und ich hatte noch immer keinen blassen Schimmer, welchen Weg ich nehmen musste, um zu meiner Highschool zu kommen.

Genau deswegen war ich auch heute zu spät. Wie gestern. Den Tag davor. Eigentlich jeden Tag. Ich kleines Opfer.

Ich rannte durch die Flure. Meine blonden, langen Haare wehten mir quasi hinterher.
Es war jetzt schon ultra warm. Und das lag nicht nur daran, dass Hochsommer war. Einen kleinen Teil trug auch meine Unsportlichkeit dazu bei. Okay, okay. Mehr als ein kleiner Teil. So 70% ... Vielleicht auch 99,9%.
Mein Körper war ja schon völlig überanstrengt, wenn ich morgens mein Bett verließ.

Ohne zu klopfen riss ich die Türe zu meiner Klasse auf. Ich hasste es, Aufmerksamkeit zu erregen.
Alle Köpfe schnellten in meine Richtung.
"Ms. Lasarew, schön, dass Sie sich zu uns gesellen. Setzen. Das nächste Mal gibt es Nachsitzen."
Ich achtete nur auf den Boden und nickte schnell.
Hastig huschte ich durch die Reihen und spürte dabei die Blicke der anderen Mitschüler.

Ich ließ mich auf den Platz am Fenster in der letzten Reihe fallen. Erst jetzt schaute ich wieder hoch und bemerkte, dass mich ein Mädchen mit hellrosanen Haaren und einem Nasenpiercing angrinste. Bevor sie sich wieder umdrehte, zwinkerte sie mir zu, was mich verwirrt die Stirn runzeln ließ.
Ich kannte sie nicht einmal.
Vielleicht hatte sie Staub ins Auge bekommen?

Aber um es mal klar zu stellen: ich kannte hier niemanden, weil ich im Hintergrund blieb. Bis auf das Zuspätkommen fiel ich nicht auf, worauf ich wirklich stolz war, weil es wirklich Tage gab, wo ich so tollpatschig war, dass sogar ein Elefant im Porzellanladen unauffälliger wäre.

Der Unterricht zog sich. Ich gab meine schriftlichen Aufgaben ab, weil die Lehrerin dies angeboten hatte. Vielleicht steigerte es ja meine Note.
Mit den anderen verließ ich den Klassenraum. In der Pausenhalle standen einzelne Gruppen. Dabei war auch wieder das Mädchen mit den pinken Haaren. Sie schaute mich wieder an.
Blitzschnell wandte ich meinen Blick ab und setzte mich auf eine abgelegene Bank auf dem Schulhof.

Ich aß mein Brot und währenddessen summte ich in meinem Kopf die Melodie von "Last Christmas". Ich war wahrscheinlich auch der einzige Mensch, der im Hochsommer einen beknackten Ohrwurm von Weihnachtsliedern hatte.

Der ganze Tag zog sich genauso wie die drei Schultage davor. So war das eben, wenn man alleine war. Aber wollte ich etwas daran ändern?
Keine Ahnung. Waren zwischenmenschliche Beziehungen überhaupt wichtig? Brauchte ich sie?

Nach der letzten Stunde ging ich zu meinem Auto. Ein kleiner Opel Corsa in einem unauffälligen grau. Es war nicht besonders teuer gewesen und super cool war es auch nicht, aber ich liebte mein Auto.
Ganz einfach.

Ich fuhr mit lauter Musik durch die Straßen. Vorbei am City Park. Gerade, als ich zuhause angekommen war, lief "Castle on the hill" von Ed Sheeran und ich blieb noch ein wenig sitzen, um mitzusingen.
Ich war so in das Lied vertieft, dass ich mich tierisch erschrak, als jemand an die Fensterscheibe klopfte.

"Mom!", beschwerte ich mich, schaltete das Auto ab und stieg aus.
Sie lachte, wobei ihre blonden Haare hin und her wackelten und sich diese kleinen Lachfältchen um ihre blauen Augen bildeten.
"Tut mir leid, Irina", sagte sie und wischte sich eine Lachträne weg.
Ich schnaubte empört und wir gingen in unser Haus.

Es war klein, aber gemütlich. Ganz in der Nähe war der City Park von New Orleans.
Das Haus hatte eine weiße Fassade aus Holzlatten. Innen war eher alles modern eingerichtet. Viele weiße Hochglanzmöbel und schwarze Akzente durch die Deko.
Ich folgte meiner Mom in die Küche.

"Und, hast du Freunde gefunden?", fragte sie und ich konnte einen hoffnungsvollen Ton in ihrer Stimme hören.
Ich wollte sie nicht enttäuschen, aber noch weniger wollte ich lügen, weswegen ich den Kopf schüttelte.
"Nicht schlimm. Das wird noch."
Ich wusste, dass sie eher sich selbst damit überzeugen wollte, nicht mich.
Ihr war es wichtig, dass ich unter Leute kam.

Seit wir aus Missouri hier nach Louisiana gezogen waren, hatte ich ausschließlich Kontakt mit meinen Eltern und einmal mit einem Postboten.
Überwiegend verbrachte ich meine Zeit trotzdem in meinem Zimmer.
"Ich muss jetzt gleich los", meinte ich und meine Mom nickte.

Ich verschwand nach oben in mein Zimmer. Ein gemütlicher, kleiner Raum mit viel Licht. Ich hatte einen großen Kleiderschrank, einen überfüllten Schreibtisch und ein tolles Bett, was mich in dem Moment zu sich rief, aber ich durfte nicht nachgeben!

Ich streifte meine Klamotten ab und schlüpfte in die Uniform, die ich von dem Restaurant bekommen hatte, wo ich ab heute arbeiten würde.
Sie bestand aus einem schwarzen Rock, einer weißen Bluse und schwarzen Ballerinas.
Ich schaute in den Spiegel.
Der Stoff schmiegte sich an meine Kurven. Meine langen, blonden Haare hatte ich zu einem einzelnen Zopf geflochten.
Rote Lippen und graue Augen, die von dem Eyeliner und der Wimperntusche noch betont wurden.

Ich schnappte mir mein Handy und meinen Autoschlüssel und sauste los.
Ein bisschen nervös war ich schon, weil es mein erster Arbeitstag war.
Und ja, alle die sich das fragen: als erstes habe ich mir nach dem Umzug tatsächlich einen Job gesucht.
Ich bin komisch. Ich weiß. Lasst mich.
Ich bin stolz darauf.

An dem Palace Café angekommen, staunte ich nicht schlecht. Es war noch immer so luxuriös, wie vor zwei Tagen.
Wow. Diese Feststellung. Intelligenz! .... nicht.
Ich ging hinten in den Angestelltenraum. Dort erwartete mich bereits ein junger Mann um die 20.
"Heillo", sagte der Typ und ich runzelte die Stirn.

Er war groß, hatte eine helle Haut und blaue Augen, die mich anstrahlten.
Ein leichter Dreitagebart zierte sein markantes Kinn und seine blonden Haare waren unordentlich nach oben gestylt.
Das weiße Hemd und die schwarze Hose ließen ihn echt noch heißer aussehen.

"Sorry, ich wollte erst Hey sagen, aber hab mich dann doch für Hallo entschieden und dann kam diese komische Mischung dabei raus, was wahrscheinlich denzent dumm rüberkam."
Der Typ machte eine kurze Pause und ich musste schmunzeln, als er sich nervös den Nacken rieb.
"Ich bin übrigens Henrick Shaw. Aber du kannst mich Henry nennen", stellte er sich vor und reichte mir die Hand.

Ich ergriff sie.
"Ich bin Irina Lasarew. Ich arbeite ab heute hier."
Er grinste und begann dann mir alles zu erklären.

Your Love Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt