Flora machte sich auf das Schlimmste gefasst, während Eirik sie hinter sich her zog.
Eirik war wütend. Das hatte sie schon bemerkt, als er in das Langhaus gekommen war. Einen Moment hatte er sie nur angestarrt, dann hatte sich sein Gesicht verdunkelt. Zu dem Zeitpunkt hatte sie noch nicht gewusst, was ihn so wütend machte und das wusste sie jetzt auch noch nicht. Doch als sie Egil als Vater bezeichnet hatte und Eirik ihre Hand schmerzhaft zusammengedrückt hatte, wusste sie, dass es in seinen Augen falsch gewesen war.
Faras Plan hatte nicht funktioniert.
Eirik war keineswegs beeindruckt davon, dass sie sich den Wikingern anpasste und sie auch keine Arbeit scheute. Es schien ihn viel mehr zu stören.
Nun zerrte er sie hinter sich her zur Hütte.
Kaum waren sie in ihr, knallte er die Tür zu und starrte sie beinahe hasserfüllt an.
„Was soll das?", fragte er leise. Es klang gefährlich.
Sie konnte die Wut heraus hören, dennoch zuckte sie nicht zusammen. Sie hob beide Hände, denn sie wollte es ihm erklären, dass er verstand, warum sie es getan hatte.
„Ich...ich wollte...wollte dir beweisen..." Sie schluckte hart, dann straffte sie die Schultern. „Deine Mutter meinte, es wäre gut, wenn du siehst, dass ich nicht verwöhnt bin!"
Er schlug seine Faust auf den Tisch. Die Waschschüssel, die immer noch da stand, machte einen kleinen Satz nach vorne. Wasser schwappte über und lief über den Tisch.
„Du umgarnst also auch meine Mutter? Bist du noch bei Sinnen?"
Nun konnte sie nicht anders. Sie wich ihm einen Schritt nach hinten aus. Ihr Körper zitterte, was sie zu unterdrücken versuchte.
„Ich habe sie nicht..."
Wieder schlug er auf den Tisch. Der knirschte etwas unter dem dumpfen Schlag.
„Nicht nur, dass du den Jarl Vater nennst, du vereinnahmst jetzt auch meine Mutter? Dir ist doch bewusst, dass du auf keinen Fall gewinnen kannst!"
Nun brüllte er.
Flora senkte den Kopf.
„Aber..."
Er schüttelte den Kopf.
„Kein Aber! Ich weiß nicht, was in dich gefahren ist. Du willst diese Ehe doch genauso wenig wie ich!"
Das stimmte nicht ganz, aber sie widersprach ihm nicht.
Sie fürchtete ihren Mann, aber sie wollte nicht wieder von hier weg. Es ging ihr hier gut. Die Frauen hatten sie in ihren Kreis aufgenommen und behandelten sie wie eine von ihnen.
Wenn sie wieder zurück geschickt würde, dann war sie wieder Sklavin und jeder konnte mit ihr machen, was er wollte.
Langsam schüttelte sie den Kopf.
„Bitte, Herr! Ich will doch nur hier bleiben!"
Er riss die Augen auf.
„Du willst hier bleiben? Hast du den Verstand verloren? Du gehörst nicht hier her. Du stammst von den Sachsen ab. Ich möchte eine starke Wikingerfrau und keine schwache Sächsin."
Sie schluckte.
„Bitte Herr! Schickt mich nicht fort!"
Er brüllte auf.
„Ich habe dieser Heirat zugestimmt, weil mein Vater mir erlaubt hat, mich wieder scheiden zu lassen. Ich arbeite darauf hin, dass du mich hasst. Ich bin direkt nach unserer Hochzeit zur Jagd aufgebrochen. Das hättest du doch schon als Beleidigung auffassen müssen. Aber du hast mir Kleidung und Waschwasser hingestellt, als ob es das Normalste auf der Welt wäre. Ich werde in ein paar Tagen wieder für Monate auf See stechen. Und das einzige, was du zu meinem Vater sagst, ist, dass ich es wohl kaum erwarten kann, wieder zu dir zurück zu kehren! Das Gegenteil ist der Fall! Ich will dich für die nächsten Monate weder sehen, noch an dich denken! Ich will nicht von dir versorgt werden. Das kannst du nämlich nicht! Nicht so ein schwaches Ding wie du!"
Sie zuckte wieder zusammen.
Dass er sie so schonungslos hasste, war ihr nicht in den Sinn gekommen. Sie hatte vermutet, dass er sie nicht mochte, weil er sie nicht kannte und er den Gedanken an eine erzwungene Hochzeit nicht ertragen konnte. Doch es war Hass, der aus seinen Augen sprach.
Hass auf sie!
Er schnaubte laut auf.
„Ich werde dich noch eine angemessene Zeit als meine Frau behalten, aber dann will ich, dass du die Scheidung von mir verlangst. Und dann kannst du wieder zurück zu deinem Vater! Denn dort kannst du wieder die verwöhnte Tochter spielen und auf einen Mann warten, der es zulässt!"
Sie zuckte zusammen, dass er an ihr vorbei stürmte und einen Arm erhob.
Doch er schlug sie nicht, wie sie es erwartet hatte, sondern schob sie nur aus dem Weg und ging in das Schlafgemach.
Flora wartete, bis er verschwunden war, dann setzte sie sich an den Tisch, wischte das Wasser mit einem Tuch weg und legte ihren Kopf auf die Arme.
Wenn er nur wüsste, dass er sich ihrer gleich entledigen konnte. Er brauchte sie nicht einmal zurück schicken. Er könnte sie töten und jeder würde es verstehen.
Einen Moment dachte sie daran, es ihm einfach zu machen aber ihr Lebenswille verbot es ihr.
Flora wollte hier nicht weg! Es gefiel ihr bei den Wikingern, die so ganz anders als die Sachsen waren. Sie wurde für ihre Arbeit geschätzt und die meisten waren voller Lob für sie. Selbst Fara und Ylvie, die von ihrer wahren Herkunft wussten, behandelten sie wie eine Gleichgestellte.
Sie hatte nicht einmal etwas dagegen gehabt, wenn sie hier als Sklavin bliebe. Eiriks Vater behandelte seine Sklaven gut. Er schlug sie nicht und verhängte keine ungerechtfertigten Strafen. Nie hatte sie erlebt, dass ein Sklave geschlagen wurde, der seine Arbeit gut machte.
Nein, sie wollte nicht weg!
Aber der Mann, auf den es ankam hasste sie und wollte sie schnell loswerden.
Sie war der Verzweiflung nahe.
Wenn sie wieder zu den Sachsen musste, war sie ein Niemand. Eine Sklavin, die beliebig ausgetauscht werden konnte.
Und sie kannte ihren ehemaligen Herrn Sirko und sein Sohn Garlef. Mehr als einmal hatten sie Flora bedrängt. Wenn sie nun zurückkam, dann hatte sie in ihren Augen versagt und war Freiwild für sie. Denn es würde Unfrieden zwischen Egil und Sirko bedeuten.
Sie zitterte einen Moment, doch dann straffte sie die Schultern.
Es musste eine andere Lösung geben.
Sie würde Fara fragen, ob sie Flora nicht bei jemand anderen unterbringen konnte.
Langsam stand sie auf und entledigte sich ihrer Kleider, bis sie nur noch in dem langen Unterkleid da stand. Sie bereitete für Eirik noch für den nächsten Morgen alles vor, dann ging sie zu ihrem kleinen Lager und zog den schweren Pelz über ihren Körper.
Sie seufzte leise und ihr rannen wieder die Tränen über die Wangen.
Von Eirik kam kein Geräusch. Er lag einfach nur da und atmete ruhig. Wahrscheinlich schlief er schon.
Flora seufzte erneut, was aber in ein Schluchzen überging.
Sie presste ihre Hand vor den Mund um Eirik nicht zu stören.
Es dauerte lange, bis sie endlich einschlief.
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Eirik
Historical FictionFortsetzung von Rette mich! Eirik Egilson wird gezwungen die Tochter eines Than zu heiraten. Raica! Was er nicht ahnt, er wurde herein gelegt. Nicht Raica begleitet ihn nach Hause in das Wikingerdorf, sondern Flora, ihre Sklavin! U...