7. Kapitel

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Der Mast war abgebrochen, das Segel zerfetzt und die Männer ruderten mit ihren letzten Kraftreserven, um die Heimat zu erreichen. Man konnte an ihren Gesichtern sehen, dass sie Schlimmes durchgemacht hatten und endlich froh waren zu Hause zu sein.
Flora reckte ihren Hals, doch sie konnte Eirik nirgends entdecken. Fara klammerte sich an ihren Arm, als ob sie Halt suchte, doch Flora wusste, dass Fara ihr Halt geben wollte.
Dabei benötigte Flora den Halt nicht.
Auch wenn sie es schade fände, wenn Eirik gestorben wäre, so hatte sie keine tiefer gehenden Gefühle für ihn als Respekt und Verständnis.
Doch seine Eltern schienen immer noch die Hoffnung zu haben, dass sich die beiden ineinander verlieben würden.
Beschämt senkte Flora den Kopf.
Das würde wohl nicht passieren.
Er hasste sie und Flora kannte ihn nicht lange genug um irgendwelche andere Gefühle entwickeln zu können.
Sie wusste, dass wenn er doch auf dem Boot war, dann war ihre Zeit hier abgelaufen. Sie hatte es ihm versprochen und würde sich auch daran halten!
Flora sah, wie einige Männer in kleine Ruderboote stiegen, um dem Langboot entgegen zu kommen. Sie wollten der Besatzung zur Hilfe eilen, die mit ihren Kräften am Ende waren.
Trotzdem dauerte es noch einige Zeit, bis das Langboot endlich am Steg angetaut war. Befehle wurden geschrien, Männer sprangen vom Boot, um ihren Frauen entgegen zu laufen, die weinend zu ihnen eilten. Doch von Eirik fehlte immer noch jede Spur.
Eine Frau kam wankend auf den Steg und wurde von anderen Frauen umringt und in das Gut gebracht. Man konnte Männer sehen, die verletzt waren, sich aber noch wacker auf den Beinen hielten. Fara sah sie sich alle eher im Vorbeigehen an und die meisten wollte sie sich später ansehen. 

Dann wurde ein Mann vorsichtig aus dem Boot gehievt.

Fara entfuhr ein kleiner Schrei und sie rannte zum Steg, ohne Floras Hand los zu lassen. Erst jetzt erkannte Flora, dass es sich bei dem Schwerverletzten um Eirik handelte.
Egil nahm ihn in seine Arme, als ob Eirik ein kleines Kind und nicht ein gestandener Mann wäre. Mit Ragnars Hilfe trug er ihn vom Steg zu der Vorrichtung, auf der eigentlich die Ware transportiert wurde.
„Mädchen, komm!", rief er Flora zu.
Sie lief gehorsam zu ihm und Egil platzierte sie neben Eirik auf die Plattform.
„Wir ziehen ihn nach oben. Pass auf, dass er sich nicht bewegt!"
Auch Fara kam mit auf die Plattform und setzte sich auf die andere Seite. Sofort untersuchte sie Eiriks Bein.
„Es ist gebrochen, aber Ragnar und die anderen Männer haben gute Arbeit geleistet. Es ist gut geschient. Dennoch macht mir die Wunde daneben Sorgen. Sie hat sich entzündet und das macht ihm zu schaffen. Er hat Fieber. Laut Ragnar schon eine ganze Weile."
Sie stand wieder auf.
„Ich werde schon vorgehen und das Nötige zusammen richten. Pass gut auf ihn auf."
Flora nickte und Fara schloss das kleine Törchen.
Die Plattform ruckelte gewaltig, dann bewegte sie sich langsam nach oben. Flora hob ihren Kopf. Es würde lange dauern, bis sie endlich oben waren.
Sie legte eine Hand auf Eiriks Schulter.
Er schwitze fürchterlich, aber seine Zähne klapperten, als ob er frieren würde.
Sie zog ihr Schultertuch hinunter und legte es auf Eirik. Es würde nicht viel helfen, aber es ließ sie nicht ganz so hilflos fühlen.
Er zitterte immer noch.
Flora nahm seinen Kopf und bettete ihn auf ihren Schoß. Seine Stirn war glühend heiß. Sie verfluchte sich, weil sie kein kühles Tuch dabei hatte. Mit der Hand wischte sie ihm den Schweiß von der Stirn.
„Mama?"
Eirik hatte seine Augen geöffnet, aber blickte etwas verwirrt umher.
Sie beschloss, dass sie ihm in den Glauben ließ, sie wäre Fara. Die Wahrheit würde ihn nur zu sehr aufregen.
„Ganz ruhig, Eirik. Du bist zu Hause. Ruhe dich aus! Es kann dir nichts mehr passieren!"
Sein Blick ging zu ihr und wirkte mit einem Mal klar.
„Nein. Raica!"
Sie schloss kurz die Augen. Jetzt würde es losgehen.
Er hob kraftlos die Hand, ließ sie aber schnell wieder sinken.
„Reden! Später! Ich weiß..."
Eirik verdrehte die Augen und er wurde wieder ohnmächtig.
Beinahe verzweifelt hob Flora wieder den Kopf. Am liebsten wäre sie von der Plattform gesprungen. Was hatte er ihr nur sagen wollen? Dass sie noch so lange hier bleiben konnte, bis er wieder gesund war? Verlangte er dann von ihr, dass sie aus seinem Leben verschwand? Oder sollte sie gleich verschwinden? War sie ihm so zuwider, dass er ihren Anblick nicht einmal jetzt verkraften konnte?
Langsam kam die Plattform oben an.
Egil und Ragnar warteten schon auf sie. Wieder nahmen sie Eirik auf und trugen ihn zum Gut. Tjelvar half Flora auf die Beine.
„Er ist stark, Raica! Er wird es schaffen! Du wirst es sehen!"
Sie nickte und versuchte wenigstens eine Andeutung eines Lächelns.
Fara kam ihnen entgegen.
„Legt ihn ins Langhaus. In das Gästezimmer!"
Egil schüttelte entschieden den Kopf.
„Nein! Wir werden ihn in seine Hütte tragen!"
Fara riss erschrocken die Augen auf.
„Aber bei uns kann ich mich besser um ihn kümmern!"
Egil schüttelte erneut den Kopf.
„Er hat nun eine Frau, die das übernehmen wird."
Er sah seine Frau ernst an, die noch einmal widersprechen wollte, doch dann lächelte sie ihren Mann leicht an, als ob sie ohne Worte miteinander geredet hätten und er ihr seinen Plan so eröffnet hätte.
„Du hast Recht. Aber legt ihn erst auf den Tisch. Ich muss seine Wunde wahrscheinlich noch einmal aufschneiden!"
Sie drehte sich zu Flora.
„Du wirst mir helfen! Ich brauche kochendes Wasser, saubere Tücher und einen Eimer. Den Rest werde ich mitbringen. Wenn alles getan ist, werde ich dir erklären, was zu tun ist und du ihn pflegen kannst!"
Flora nickte und eilte voraus in die Hütte. Zum Glück hatte sie immer einen Kessel mit sauberem Wasser bereit stehen. Den Kessel hängte sie nun direkt über das Feuer, damit das Wasser richtig heiß wurde und holte aus der Truhe jede Menge Tücher. Das größte breitete sie über den Tisch aus, bevor Egil seinen Sohn dort ablegen konnte.
Sie zückte ein Messer und zerschnitt die  Schnüre, welche die Schiene aus Holz zusammen hielten, dann die Lederhose. Beides war sowieso nicht mehr zu retten, also warf sie die zerschnittenen Dinge in eine Ecke.
Fara kam herein mit einem Korb. Sie begutachtete, was Flora bisher schon getan hatte.
Diese wusch gerade die Wunde etwas aus, die furchtbar aussah. Die Wundränder waren schlecht zusammen geheilt und das Rot war eher beängstigend. Die Wunde fühlte sich auch heiß an und war geschwollen. Außerdem zeigten die gelblichen Flecke, dass sich schon schlechte Säfte unter der Haut gebildet hatten.
Fara holte einige Tiegel aus dem Korb. Dann wusch sie erst die Hände, bevor sie ihr Messer gründlich in dem kochenden Wasser reinigte.
„Ich werde die Wunde noch einmal öffnen. Ich denke, dass sich noch Holzsplitter darin befinden und die müssen heraus, bevor wir weiter machen können. Wenn du die Wunde später reinigst, musst du vorher immer deine Hände waschen. Die meisten halten nichts davon, aber ich habe damit die Erfahrung gemacht, dass der Verlauf der Genesung besser ist, wenn ich das tue."
Sie tauchte das Messer in das kochende Wasser und ließ es eine Weile darin.
Erst dann öffnete sie die Wunde wieder. Flora stellte den Eimer unter das Bein, als der gelbliche Eiter aus der Wunde kam.
Eirik bäumte sich auf und schrie schmerzerfüllt auf.
„Flora, Egil! Haltet ihn fest!"
Flora bemerkte, dass Fara ihren richtigen Namen genannt hatte, aber Egil schien sich nicht daran zu stören. Sie stellte sich hinter Eirik und drückte seine Schultern wieder auf den Tisch.
„Ruhig, Eirik! Es muss sein! Die Wunde muss sauber sein, bevor wir weiter machen können. Ich weiß, dass es schmerzt, aber bald ist es vorbei!"
Sie redete weiter auf ihn ein, während Fara vorsichtig einige Holzsplitter herauszog. Es waren unzusammenhängende Sätze, aber er schien sich daran fest zu halten.
Doch dann starrte Eirik Flora an, als ob er jetzt erst bemerken würde, dass sie hinter ihm stand.
„Du! Reden!"
Sie nickte.
„Ja, wir werden reden, sobald du gesund bist! Und dann werde ich auch gehen!"
Er schüttelte den Kopf. Es war eine abgehackte Bewegung, was aber Flora auf die Schmerzen zurückführte.
„Nein! Nicht gehen! Reden!"
Sie hob den Kopf und sah Egil direkt an, der trotz der Anstrengung lächelte, als ob er ihr damit sagen wollte, dass sein Sohn endlich etwas erkannt hatte.
Aber das glaubte Flora nicht.
Er war so verbittert gewesen! Trotzdem nickte sie, als sie Eirik wieder anblickte.
„Ich werde hier bleiben. Mach dir keine Sorgen. Ich lass dich jetzt nicht alleine!"
Er nickte leicht und schloss die Augen. Er war offensichtlich mit ihrer Antwort zufrieden.
Fara zog noch einige Holzsplitter heraus und schüttete dann etwas in die Wunde, was nach sehr starkem Alkohol roch. Wieder bäumte sich Eirik auf, aber er beruhigte sich bald wieder, als sie wieder auf ihn einsprach.
„Wir lassen die Wunde nun offen, damit die schlechten Säfte abfließen können. Ich lege nur ein sauberes Tuch darüber, dass kein Schmutz mehr rein kommt. Es ist zu spät, um die zu nähen oder aus zu brennen. Du musst die Wunde mit dem starken Sud auswaschen, sobald du einen schlechten Geruch bemerkst. Ansonsten reicht sauberes, abgekochtes Wasser. Ich lass dir Kräuter hier, die du zu einem Sud kochen kannst. Damit wirst du es auswaschen. Und denke daran, dir immer die Hände zu reinigen!"
Flora nickte, während Egil seine Männer rief, damit sie Eirik auf sein Lager legen konnten.
Fara erklärte weiter, worauf sie zu achten hatte und dann war sie plötzlich alleine mit Eirik.
Leise ging sie in den Schlafraum, aber er war nun ruhig und schlief. Fara hatte ihm etwas für einen ruhigen Schlaf gegeben und Flora war froh, dass er nun schlief. Wieder eine geschenkte Zeit, die sie hier bleiben durfte.

EirikWo Geschichten leben. Entdecke jetzt