10. Kapitel

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Es wurde Frühling.
Flora saß vor der Hütte auf einer Bank und atmete mit geschlossenen Augen tief die frische Luft ein. Nun schmolz der Schnee und man konnte schon die ersten Blumen durch den Schnee sprießen sehen.
Der Winter war ihr ewig vorgekommen.
Selbstverständlich hatte Fara sie weiter in der Heilkunst unterrichtet, doch Flora hatte schnell bemerkt, dass es ihr nicht so leicht von der Hand ging wie Fara oder Ylvie. Dennoch war sie froh, dass sie die notwendigsten Sachen hin bekam.
Flora war wohl wirklich dafür geschaffen einen Haushalt zu führen und Sklaven bei der Arbeit zu beaufsichtigen. Am Anfang fiel es ihr schwer, da sie selbst eine Sklavin war, doch sie war beliebt bei allen, so dass jeder ohne Murren seine Aufgabe erledigte und sie kaum Strafen anwenden musste. Man hielt ihr auch zu Gute, dass auch sie mit anpackte und nicht immer nur da saß und Arbeit verteilte. Nein, sie scherzte mit allen, egal ob Wikinger oder Sklave. Dennoch achtete sie darauf, dass die Arbeit am Ende des Tages erledigt war.
Allerdings blieb ihr viel zu viel Zeit, in der sie untätig herum saß und das gefiel ihr nicht. Flora wollte beweisen, dass sie mehr konnte.
Sie hatte gelernt zu sticken und Fara meinte, sie wäre auch sehr geschickt beim Weben. Die Wände der kleinen Hütte und des Langhauses zierten nun einige Wandbehänge, die auch etwas die Kälte draußen hielten.
Eirik hatte sich kaum geschont, was ihr Sorgen bereitet hatte. Immer wieder hatte sie ihn ermahnt, sich zurück zu halten. Doch meist hatte er seinen Sturkopf durchgesetzt und es in der Nacht bereut.
Auch heute Morgen hatten sie eine Auseinandersetzung.
Sie konnte sich noch genau daran erinnern, dass er wieder an den Kampfübungen teilnehmen wollte.
Er hatte nicht nachgegeben, hatte gebrüllt und sich manchmal wie ein kleines Kind benommen, was sie zum Lachen gebracht hatte.
Irgendwann hatte sie die Arme vor der Brust gekreuzt und ihn angeschnauzt, dass er machen sollte, was er für richtig halte.
Er hatte nur geschnaubt, seine Waffen geschnappt und war verschwunden.
Sie hatte den ganzen Morgen ihre Arbeit erledigt und war danach ins Schwitzhaus gegangen, um sich mit Fara und Ylvie zu unterhalten. Die beiden Frauen hatten gelacht, als sie die Geschichte gehört hatten und sie für ihren Mut bewundert, dass sie Eirik getrotzt hatte. Allerdings war sich Flora nicht so sicher, ob sie ihn dadurch nicht verärgert hatte.
Nun war sie wieder vor der Hütte und saß in der schwachen Sonne.
Sie hörte, wie jemand auf sie zukam und öffnete träge die Augen.
Ihr Mann kam müde zu ihr. Sie konnte genau erkennen, dass er humpelte.
Bevor sie irgendetwas sagen konnte, hob er die Hand.
„Ich will es nicht hören!"
Sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Ich habe nichts gesagt!"
Er setzte sich schwerfällig neben sie und ließ seine Waffen einfach auf den Boden fallen, was eigentlich gar nicht seine Art war. Wenn er auf irgendetwas achtete, dann waren es seine Waffen. Das verstand Flora auch, denn sie waren sein wichtigstes Werkzeug.
Dass er sie jetzt so nachlässig behandelte zeigte ihr, dass er wirklich übertrieben hatte.
Dennoch lächelte er sie schuldbewusst an nachdem er seinen Kopf gegen die Wand gelehnt hatte.
„Nein! Das hast du nicht. Aber dir lag ein 'Ich habe es dir gesagt' auf der Zunge."
Flora lachte leise, hielt sich aber zurück.
Sie schwiegen eine Weile und blieben in der Sonne sitzen. Beide hingen ihren Gedanken nach, bis die Wärme der Sonne nachließ und sie anfing zu frieren.
„Hast du Schmerzen?"
Sie drehte den Kopf zu ihm.
Er nickte, hielt aber seine Augen geschlossen. Ein leichtes Lächeln zierte seine Lippen.
„Ich glaube, ich belasse es lieber beim Holzhacken, wenn wir wieder Streit haben sollten! Vorerst zumindest! Es bekommt mir nicht, wenn ich böse auf dich bin und es an den Männern auslassen will."
Sie lachte leise.
Ja, es war oft vorgekommen, dass sie gestritten hatten und er danach Holz hackte. Sein Vater hatte sogar scherzhaft bemerkt, dass sie nun für einige Jahrzehnte Holz zum Heizen hatten. Einige andere Männer munkelten sogar, dass man bald neue Bäume pflanzen musste, wenn Eirik seine Wut weiterhin an ihnen auslassen würde.
Aber es war allen aufgefallen, dass er seine berühmten Wutausbrüche im Griff hatte. Zumindest wenn es um sie ging. Er brüllte nicht mehr so oft und er schlug auch niemanden mehr. Er war ruhiger geworden und alle machten Flora dafür verantwortlich.
Auch ihr war es aufgefallen.
Sie durfte ihn als Einzige ungestraft alles ins Gesicht sagen, was ihr an ihm missfiel. Er geriet zwar in Wut, ließ es aber nicht an ihr aus. Bei anderen war das nicht immer so. Und es wurde oft ausprobiert, vor allem bei jüngeren Kriegern.
Er stöhnte leise.
„Du hast übertrieben, oder?"
Eirik lachte leise.
„Du kennst mich schon gut."
Seufzend stand er auf und rieb sich den Oberschenkel.
„Ich fühlte mich heute Morgen so gut. Doch schon zum Mittag merkte ich, dass mein Bein die Belastung nicht ganz so gut aushält, wie ich dachte."
Sie stand ebenfalls auf.
„Du solltest ins Schwitzhaus gehen. Die Hitze wird dir gut tun."
Nun lachte er laut auf.
„Ich bin doch schon froh, dass ich es zu dir geschafft habe. Das war schon schwierig genug!"
Sie legte ihm die Arme um die Hüfte.
„Stütze dich auf mich. Ich denke, das Nachtmahl bei deinen Eltern lassen wir heute ausfallen!"
Er stöhnte wieder, legte aber den Arm um ihre Schultern.
„Das ist ein guter Einfall. Würdest du mir etwas kochen?"
Sie lächelte ihn an.
„Natürlich! Aber erst einmal wirst du dich waschen. Und nach dem Essen könnte ich etwas ausprobieren, was deine Mutter mir gezeigt hat."
Er runzelte die Stirn.
„Bitte! Keinen Tee oder sonstige Pulver mehr. Ich liebe meine Mutter, aber ich kann es nicht mehr sehen, wenn sie mit ihrem Korb in unsere Hütte kommt und Sachen an mir ausprobiert, die mich schläfrig machen."
Sie schüttelte lachend den Kopf.
„Nein. Das kann ich dir versprechen. Aber es wird dir gut tun!"
Sie führte ihn in den Wohnraum und bereitete ihm die Waschschüssel vor, während er sein Hemd über den Kopf zog und in den Eimer schmiss, den sie für die Schmutzwäsche vorgesehen hatte.
Erschrocken sah sie den großen Striemen, den er auf dem Rücken hatte.
„Bei den Göttern, wer hat dir das zugefügt?"
Er sah verblüfft über seine Schulter.
„Oh, das war Ragnar. Ich habe nicht aufgepasst und er hatte Glück! Dabei ist er beinahe noch träger als ich, seit er ein Weib hat!", versuchte er zu scherzen.
Doch Flora nahm ihm den Leichtmut nicht ab. Sie wusste, dass er sich insgeheim darüber ärgerte, dass Ragnar einen guten Schlag gelandet hatte.
Sie fuhr vorsichtig über den Striemen und er zuckte leicht zusammen.
„Tut es weh? Es blutet nicht. Du kannst froh sein, dass Ragnar träge geworden ist. Es hätte auch schlimmer ausgehen können."
Er schüttelte nur den Kopf, antwortete aber nicht. Sie konnte also davon ausgehen, dass es ihm sehr wohl bewusst war, es aber nie zugeben würde.
Stattdessen nahm er den Lappen vom Tisch und wusch sich seinen Oberkörper.
Sie ließ ihn in Ruhe und bereitete das Essen zu.
Beinahe fühlte es sich so an, als ob sie wirklich das Leben eines verheirateten Paares führten. Zumindest nahm sie an, dass es so war. Darin hatte sie nun wirklich keine Erfahrung. Aber irgendwie fand sie das Gefühl angenehm. Er war nett zu ihr und das war mehr als sie je von einem Mann erfahren hatte.
Mit nacktem Oberkörper ging er nach draußen und holte seine Waffen rein, um sie zu reinigen. Seine Bewegungen waren langsamer als sonst. Beim Gehen merkte man es besonders. Immer wieder zog er sein Bein nach oder rieb sich über die Narbe. Dennoch sagte er nichts zu ihr.
Sie schüttete sein Waschwasser weg, rührte noch einmal im Eintopf herum, den sie in weiser Voraussicht schon vorbereitet hatte.
Keiner sprach ein Wort, doch es war eine angenehme Ruhe. Jeder ging seiner Arbeit nach, dennoch merkte sie, wie er sie ab und zu lächelnd ansah. Immer noch hing die Frage über ihr, wann er sie davon jagte, doch Eirik schien sich Zeit lassen zu wollen. Mehr noch, er schien sich bei ihr wohl zu fühlen. Auch wenn sie wusste, dass es falsch war, machte sie sich Hoffnung.
Irgendwann legte er seine Waffen an den vorgesehenen Ort und stellte sich hinter sie.
„Das riecht gut! Aber muss man das nicht schon stundenlang vorbereiten, bevor es fertig ist?"
Sie grinste ihn nur an und er schnaubte. Gespielt ernst hob er einen Finger, aber man konnte den Schalk in seinen Augen erkennen. Er war nicht böse, sondern eher belustigt.
„Nein! Ich will es wirklich nicht hören!"
Sie konnte nicht anders, als zu lachen!
Ja, sie hatte geahnt, dass er heute nicht ins Langhaus gehen würde, aber sie sagte kein Wort dazu.
Es dauerte nicht lange, bis sie fertig gegessen hatten und er sich ins Schlafgemach zurückgezogen hatte. Sie hörte ihn wieder vor Schmerz stöhnen, als er sich auszog und auf sein Bett legte.
Schnell schnappte sie sich die kleine Flasche, die ihr Fara schon vor einiger Zeit gegeben hatte und ging zu ihm. Er hatte sich bis auf die Bruche ausgezogen und lag auf dem Lager, einen Arm auf den Augen, den anderen von sich gestreckt.
Vorsichtig setzte sie sich neben ihn.
Er sah sie an, verzog aber das Gesicht, als er die Flasche sah.
„Nein, Mädchen! Ich habe dir gesagt, ich will keines der Mittelchen meiner Mutter. Die machen mich nur träge."
Sie zog die Decke von seinem Bein, ohne auf seine Worte zu achten und betrachtete es.
Es war wirklich gut verheilt. Die Narben waren auch nicht mehr rot oder geschwollen. Das war ein sehr gutes Zeichen, hatte Fara gemeint und man hatte den Stolz heraus gehört, dass sie es beide geschafft hatten. Flora und selbst Fara hatten ab und zu Zweifel gehabt, dass Eirik sein Bein jemals wieder so benutzen konnte wie vorher. Dennoch hatten sie nie aufgegeben und das war bei einem Patienten wie Eirik nicht immer leicht.
Flora wusste, dass sich das Bein nicht wieder entzündet hatte. Seine Schmerzen kamen nur daher, dass er seine Muskeln überanstrengt hatte und sie deswegen verkrampften.
Sie zog den Stöpsel von der Flasche und roch an dem Öl. Es roch angenehm nach Kräutern.
Er beobachtete sie immer noch kritisch.
„Das ist keines dieser Mittelchen, wie du die Arznei deiner Mutter so schön nennst. Also keines, dass dich träge macht. Deine Mutter hat mir erklärt, wie ich deine Muskeln lockern kann. Sie hat es wohl einmal bei einem Heiler gesehen. Ich würde es gerne versuchen!"
Er nickte langsam, war jedoch misstrauisch.
Sie schüttete sich etwas von dem Öl in die Hände und strich vorsichtig über seine Wade. Er stöhnte leise auf.
„Tu ich dir weh?", fragte sie erschrocken.
Er schüttelte den Kopf und bedeckte seine Augen wieder mit dem Unterarm.
„Nein! Mach weiter!", forderte er leise. Seine Stimme war gepresst, dass sie schon aufgeben wollte. Doch das kam nicht in Frage. Ein Wikinger gab nicht auf und sie wollte so sein, wie alle anderen hier.
Flora übte nun mehr Druck auf die Muskeln aus und sie spürte, dass sich die Muskeln tatsächlich lockerten und nicht mehr so steinhart waren, wie noch vor einigen Minuten. Langsam arbeitete sie sich weiter hoch, ließ aber die Stelle mit der größten Narbe aus.
Wieder hörte sie ihn leise stöhnen, als sie seinen Oberschenkel sanft bearbeitete, doch er sagte nichts. Sie konnte nur sehen, dass seine Hand sich zur Faust ballte.
Dann sah sie endlich, was ihn quälte. Es war nicht der Schmerz, sondern eher die Lust.
Sie seufzte leise und hörte auf. Oh ja, es war die Lust und sie konnte ihn verstehen. Schon zu lange hatte er keine Frau genommen. Aber auch da konnte sie ihm helfen. Sie wusch sich die Hände und stellte sich vor das Lager. Sie öffnete die Schnalle, die ihr Oberkleid zusammenhielt und ließ es einfach fallen.
Er stützte sich auf den Unterarmen ab und betrachtete sie.
„Was machst du da?"
Sie kam näher.
„Ich sehe doch, dass du Bedürfnisse hast! Kein Mann hält es lange ohne eine Frau aus, die ihn nicht befriedigt."
Er wich etwas zurück, was sie wieder unsicher machte. Wollte er sie etwa nicht? In der letzten Zeit hatten sie sich doch gut verstanden? Fand er sie so abstoßend, dass er sie zwar für den Haushalt benötigte, aber sie nicht nehmen wollte?
„Willst du mich nicht?"
Sie wusste selbst, dass sie neutral klang. Unbeteiligt, als ob sie sich mit ihm über das Wetter unterhielt. Aber es schmerzte sie, dass er sie wohl nicht anziehend genug fand, um seine Lust zu befriedigen. Nicht einmal nach der langen Zeit, in der er enthaltsam hatte sein müssen.
„Mädchen, du hast keine Ahnung!", flüsterte er rau. Aber dann räusperte er sich.
„Es scheint aber so, als ob du mich nicht willst? Zumindest sehe ich keine Lust in deinen Augen, Mädchen!"
Sie hielt mitten in der Bewegung an.
„Wie meinst du das? Das hat mich bisher keiner gefragt! Ich bin davon ausgegangen, dass Männern das egal ist."
Er runzelte die Stirn.
„Willst du mir etwa sagen, dass du dich Männern schon hingegeben hast? Du bis siebzehn und sprichst so, als ob du schon eine alte Frau wärst."
Verblüfft setzte sie sich hin.
„Ich bin nun achtzehn. Denke ich zumindest. Und ja, Männer haben mich begehrt, auch wenn ich sie abhalten wollte. Aber Hingegeben?" Sie überlegte einen kurzen Moment. „Das ist irgendwie das falsche Wort. Ich wurde genommen! Oft. Mich hat keiner gefragt, ob ich das will! Mir wurde nur gesagt, dass Frauen dazu da sind, um die Lust der Männer zu befriedigen. Und wenn sie verheiratet waren, dann sollte der Akt dazu dienen, Nachkommen zu zeugen! Mehr dürfte eine Frau nicht erwarten! Und manche nicht einmal das."
Er stutzte einen Augenblick, dann zog er sie in seine Arme.
„Das ist nicht wahr, Raica! Nicht nur die Männer sollten beim Beischlaf Freude empfinden, sondern es sollte ihre Aufgabe sein, die Frau glücklich zu machen. Und nun erzähl es mir! Bitte. Wer hat dich genommen?"
Flora war nun im Zwiespalt. Sie konnte ihm doch nicht erzählen, dass Garlef oder Sirko sie genommen hatten, sobald sie Lust verspürten. Dann würde sie ihm nämlich auch erklären müssen, dass sie nicht die Tochter, sondern eine einfache Sklavin war. Und die Männer waren eben der Meinung gewesen, dass sie es hinnehmen musste. Es war nicht angenehm für sie gewesen. Meist hatte sie es nur ertragen und war froh als es vorbei war. Sie kannte es nicht anders.
„Die Männer...bei uns...nun...es ist schwierig für mich!"
Er legte das Kinn auf ihren Kopf. Eine Weile schwieg er, aber nicht lange genug, damit sich Flora für den nächsten Schock erholen konnte.
„Mädchen! Verrate mir deinen richtigen Namen!", verlangte er leise.
Sie keuchte auf und wollte von ihm fliehen. Doch er hielt sie unerbittlich fest.
Er wusste es?
„Mein...meinen...richtigen Namen?"
Er nickte leicht.
„Ja. Ich will den richtigen Namen meiner Frau endlich wissen!"
Tränen schossen ihr in die Augen. Nun war es soweit. Er würde sie umbringen. Oder sie im besten Fall davon jagen! Warum sollte er sie sonst festhalten? Bestimmt wollte er nur verhindern, dass sie floh!
Sie schluchzte leise auf. Ihr fiel all das ein, was sie ihm gesagt hatte. Alles Dinge, die keine Sklavin einem Herrn sagen durfte. Das war ihr Todesurteil. Sie wusste es genau.
„Flora!", piepste sie. „Mein Name ist Flora!"
Seine Arme schlangen sich fester um sie.
„Flora! Ein schöner Name. Er passt zu dir, finde ich!"
Sie konnte es nicht verhindern. Tränen liefen ihr über die Wangen. Warum brachte er es nicht hinter sich und machte ihr noch Komplimente? Leise schniefte sie. Wollte er sie unnötig quälen?
„Was ist mit dir? Warum weinst du?", fragte er leise.
Sie wischte sich mit der Hand über die Nase.
„Wirst du mich nun umbringen?"
Eine Weile herrschte Stille. Dann schüttelte er den Kopf.
„Denkst du nicht, dass wenn ich dich umbringen wollte, es schon längst getan hätte? Nein, anders. Denkst du nicht, ich hätte es nicht meinem Vater erzählt und ihn über dich das Urteil sprechen lassen? Denkst du nicht, mein Vater wäre schon zu Sirko unterwegs, um Rechenschaft zu fordern?"
Sie schüttelte den Kopf.
„Ich weiß es nicht! Ich weiß gar nichts mehr!"
Er nahm sie nun zwischen seine Beine. Ihr Rücken lehnte gegen seinen Oberkörper. Immer wieder strich er tröstend über ihre Arme, während er sprach.
„Flora! Ich weiß es schon sehr lange. Ich war bei meinem Onkel und bei meiner Schwester. Und ich habe da Beschreibungen von dir gehört, die absolut nicht zu meiner Frau passten. Irgendwann war mir klar, dass du und Raica nicht ein und dieselbe Frau waren. Mir wurde bewusst, dass ich jemanden anderes geheiratet hatte. Nicht die verwöhnte Thantochter. Ich war wütend, das gebe ich zu, aber schon da wollte ich dich nicht umbringen. Meine Schwester hat mir klar gemacht, dass du  für die ganzen Situation am wenigsten kannst. Ich wollte dich zu meiner Schwester schicken. Dort wäre es dir gut gegangen, dass wusste ich. Der Mann meiner Schwester hat keine Sklaven und er wollte dich auch gut verheiraten. Doch dann verletzte ich mich und du hast dir meinen Respekt verdient. Du hast mich gepflegt, obwohl ich nicht der netteste Mann zu dir war. Und als ich das Gerede von dem Sklaven gehört habe, wurde mir klar, dass du es warst, die mich verschont hat, nicht umgekehrt. Dieser Sachse...er hatte Recht. Du hättest mich leicht töten können. Aber du hast es nicht getan!"
Sie schüttelte den Kopf.
„Wie konnte ich es denn? Auch wenn du es vielleicht nicht so siehst, aber du bist mein Mann! Wenn es auch für dich eine Farce ist, ich nehme das Versprechen ernst, dass ich dir gegeben habe. Außerdem wäre der Verdacht schnell auf mich gefallen, wenn du gestorben wärst! Du bist ein guter Mann, Eirik. Jede Frau könnte stolz darauf sein, dich zu haben. Doch du warst in einer Ehe gefangen, die du nicht wolltest!"
Er schnaubte leicht.
„Ein schlechter Mann war ich. Niemand hätte dich verdächtigt! Und wenn, dann hätten die meisten bestimmt deine Beweggründe verstanden."
Sie schüttelte wieder den Kopf und drehte sich zu ihm.
„Ich habe es dir nicht übel genommen. Du wurdest gezwungen mich zu heiraten. Du kanntest mich nicht und hast wahrscheinlich gehört, dass ich schrecklich verwöhnt bin und nicht zu den Wikingern passen würde."
Er lachte leise, beugte sich vor und küsste ihre Stirn.
„Ja, das habe ich gehört. Ich war erstaunt, dass es nicht so war."
Sie schniefte immer noch und er hielt sie fester an sich gedrückt.
„Von Anfang an hast du mich erstaunt. Du hast dich nahtlos an das Leben der Wikinger angepasst. Keine Arbeit war dir zuwider. Du hast mich ziehen lassen, obwohl du wusstest, dass ich Sachsen und andere angreifen würde. Nicht einmal die Beleidigungen hast du mir übel genommen, sondern sie ertragen. Du hast mich gepflegt, ohne irgendetwas zu verlangen oder andere damit zu beauftragen. Ich muss gestehen, dass aus Respekt mehr wurde. Ich mag dich. Sehr! Deswegen habe ich niemanden etwas gesagt, dass ich weiß, dass du eine Sklavin warst. Nicht einmal meinem Vater, der immerhin mein Herr ist und dem ich es hätte sagen müssen."
Flora erstarrte.
„Ich bin immer noch eine Sklavin! Und es wäre dein gutes Recht gewesen, mich zu töten für den Betrug, den ich begangen habe. Der Tod deines Bruders. Er scheint so weit weg, aber er war der Grund, dass ich hier bin. Doch statt einer Thantochter bin ich nur eine Sklavin. Dein Bruder wurde damit auch entehrt."
Er schüttelte den Kopf.
„Es war nicht dein Betrug. Das war mir schon klar, als meine Schwester mich darauf aufmerksam machte. Mein Bruder wäre mit dir mehr als einverstanden gewesen. Wusstest du nicht, dass auch er ein Sklave gewesen war? Godric war der beste Mann, den man sich vorstellen kann. Er hatte nie Unterschiede gemacht! Und jetzt sag mir, wer dich genommen hat! Wen soll ich umbringen, weil er meine Frau geschändet hat?"
Sie lachte leise und schniefte noch etwas.
„Wie viele Männer würden dich am liebsten dafür töten, weil du dasselbe mit ihren Frauen getan hast?"
Er zuckte mit den Schultern.
„Nicht so viele, wie du wahrscheinlich denkst! Ich hatte kein Bedürfnis nach den sächsischen Weibern, die nur jammern, wenn man sich ihnen näherte. Und jetzt raus mit der Sprache. Warum hast du dich so vehement geweigert, wieder an den Sachsenhof zu gehen? Wer hat dir wehgetan?"
Sie schluckte schwer.
„Jeder! Sirko, Garlef... andere Krieger!" Sie spürte, wie er sich anspannte und wagte es, ihm leicht über den Arm zu streicheln. „Nein, Eirik. Ich bin eine Sklavin. Jeder Mann hatte das Recht mich zu nehmen, wie er gerade Lust verspürte."
Er schnaubte leicht.
„Flora! Hast du einmal erlebt, dass die Männer hier die Sklavinnen gegen ihren Willen nehmen? Dass gibt es bei uns nicht! Früher vielleicht einmal, aber nun...die Männer haben wohl keine Lust mehr darauf, ihre Lust zu stillen, ohne Spaß zu haben."
Sie überlegte lange. Nein. Sie wusste zwar, dass die Frauen sich den Männern hingaben, aber es geschah freiwillig. Und sie hatten dann beide Spaß daran. Dennoch war sie sich sicher, dass es die Ausnahme war. Sie hatte schon von anderen gehört, dass die Sklavinnen auch gegen ihren Willen genommen wurden. Auch von Wikingern, wenn sie zu Hause waren. Doch diese Wikinger hier bewiesen, dass es auch anders ging. Die Frauen hatten Spaß, wussten aber dennoch, wo ihr Platz war.
Das hatte sie nie verstanden. Sie hatte nie Freude dabei verspürt. Eher Schmerz und Scham. Und sie hatte es hingenommen.
„Aber...ich weiß nicht. Ist es nicht so, dass Frauen dabei keine Freude haben dürfen?"
Er lachte leise.
„Jeder Mann sollte der Frau Lust bereiten. Ich weiß, ich weiß. Ich selbst habe mich auch nicht immer daran gehalten, aber so sollte es nie sein! Es war also nie schön für dich?"
Sie schüttelte den Kopf.
„Es hat geschmerzt. Gerade Garlef. Er... er hat mir einfach immer nur den Rock gehoben und hat... er hat... es bereitete ihm Lust, wenn er mir Schmerzen zufügen konnte." Sie schluchzte auf und wieder küsste er ihre Stirn. Es tröstete sie irgendwie. Aber sie spürte auch, dass er angespannt und wütend war. Das verstand sie nicht. Es war doch Garlefs Recht gewesen, oder?
Als er sich etwas beruhigt hatte, legte er sich nieder und zog sie zu sich, bevor er die Decke über sie beide ausbreitete.
„Irgendwann, Flora, irgendwann werde ich dir zeigen, wie schön es sein kann. Aber nicht heute. Ich glaube, du hast über einiges nach zu denken. Aber die wichtigste Frage, die ich dir stelle, ist Folgende: Willst du hier bleiben? Bei mir? Als meine Frau?"
Sie wollte schon antworten, doch er legte ihr den Finger auf den Mund.
„Nein! Denke darüber erst nach. Gründlich. Wir müssen dein Geheimnis bewahren, denn es wissen zu viele. Vor allem die Sachsen. Es gefällt mir nicht. Aber es kann Jahre dauern, bis ich dich endlich bei deinem richtigen Namen nennen darf. Ich will dich immer Flora nennen und nicht einen Namen von einer Frau nehmen, die ich nicht kenne und nicht kennen will! Dennoch würdest du meinen Schutz genießen. Und glaube mir, ich beschütze, was mir gehört!"
Sie lächelte leicht und er löschte die Kerze.
„Jetzt schlafe, mein Herz. Und wenn du bereit bist, sagst du mir deine Antwort!"

EirikWo Geschichten leben. Entdecke jetzt