Step 2 - Forcing a Neighbour (2)

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Es kostete mich eine Menge Anstrengung, aber ich schaffte es, seinen dunklen Augen nicht auszuweichen. Das Problem war allerdings, dass auch er den Blick nicht senkte. Gleichzeitig breitete sich ein leises Lächeln auf seinen Lippen aus. Gab es da nicht diese bestimmte Anzahl an Sekunden, die man einem Menschen in die Augen blicken konnte, ohne dass es merkwürdig wurde? Ich glaubte, dazu einmal eine Dokumentation gesehen zu haben, aber weil ich mich nicht mehr genau daran erinnern konnte, zählte ich einfach bis drei und wandte mich dann der Tafel zu. Zachery tat es mir gleich, legte seine Finger aber über meine Hand, die unruhig mit dem Kuli auf den Tisch geklopft hatte.

»Elisabeth, das nervt.« Ich sah überrascht auf. Er kannte meinen Namen? Wir hatten nie groß miteinander gesprochen und ich hatte eigentlich nicht gedacht, dass er sich für seine Klassenkameraden überhaupt interessierte. Mal ganz davon abgesehen, dass die meisten ohnehin meinen Spitznamen benutzten.

»Meine Freunde nennen mich Lilli«, sagte ich und versuchte in seinen Augen zu erkennen, warum er dies nicht auch getan hatte.

Er erwiderte meinen Blick herausfordernd und ich sah, wie seine Mundwinkel zuckten. »Ich weiß. Wir sind aber nicht befreundet.«

Ich konnte nicht widerstehen. Wie sollte man bei so einer Vorlage auf einen guten Spruch verzichten? »Das stimmt. Also gut. Meine Freunde und flüchtige Bekanntschaften mit aufgeblasenem Ego nennen mich Lilli.«

Jetzt grinste er mich offen an. »Also gut Lilli, warum sitzt du heute nicht bei Arielle und Schneewittchen da drüben?« Damit meinte er Hannah und Katrina, meine beiden besten Freundinnen. Das war eine sehr gute, berechtigte Frage, da wir normalerweise fast unsere gesamte Zeit miteinander verbrachten. Die beiden wussten allerdings nichts von meiner Living the Dream-Liste. Ich war einfach noch nicht bereit, meine verrückte Idee mit jemand anderem zu teilen.

»Warum nennst du sie Arielle und Schneewittchen?«, wich ich daher der Frage aus.

»Irgendeinen Namen muss ich den ganzen Idioten schließlich geben, bis ich von hier verschwunden bin. Und ihr drei seid einfach die Disneyprinzessinnen der Klasse. Du bist übrigens Cinderella.«

»Cinderella?« Eine Frechheit! Wenn ich schon eine Disneyprinzessin sein musste, der ich ähnlich sah, dann wenigstens Elsa oder Rapunzel. Ich warf ihm einen vernichtenden Blick zu und beschloss, ihn für eine Weile zu ignorieren und stattdessen dem Unterricht zu folgen. Bildung war schließlich noch immer die oberste Priorität! Dass die Klasse gerade gemeinsam herausgefunden hatte, dass bei x=4 kein Extremum, sondern ein Scheitelpunkt lag, würde mich im Leben noch sehr weit bringen.

Lange hielt die Stille zwischen uns nicht an. Bereits ein paar Minuten später seufzte er und flüsterte: »Ich wusste, du würdest dich ärgern. Wäre es dir lieber, wenn du einfach nur die bezaubernde Miss Elisabeth wärst? Wie sieht's aus, hast du deinen Mr. Darcy schon gefunden?«

Zachery war mit seinem Stuhl nach vorn gerückt, hatte den Arm auf dem Tisch abgestützt und beobachtete, wie ich mit grimmiger Miene die Aufgabe von der Tafel abschrieb. Er seufzte, als ich ihm nicht antwortete. »Ist es wegen der anderen beiden Prinzessinnen?«

Ich folgte seinem Blick zu Katrina und Hannah. Katrina kritzelte wild in ihr Heft, während Hannah verträumt in die Luft blickte.

»Na hör mal, das war ein Kompliment«, fuhr er fort, als er meinen Gesichtsausdruck bemerkte. »Ist doch nichts Schlechtes, reich und schön zu sein. Andere Mädchen wären begeistert, wenn man sie als Prinzessinnen bezeichnen würde.«

Was Katrina und Hannah anging, so hatte er schon irgendwie Recht. Hannahs Vater war ein hohes Tier in der Stadtpolitik, während Katrinas Mutter die Erbin einer großen Hotelkette war. Meine Eltern waren Lehrer, weshalb ich mich in der Gegenwart der anderen beiden manchmal fast schon arm fühlte, obwohl meine Familie davon weit entfernt war. Außerdem sah Katrina mit ihrer blassen Haut und dem Haar wie Ebenholz tatsächlich aus wie Schneewittchen. Aber das hätte ich Zachery gegenüber natürlich nie zugegeben.

»Weißt du, wenn du dir die Mühe machen würdest die Leute richtig kennenzulernen, dann würdest du vielleicht merken, dass sie ganz anders sind, als du denkst.«

»Ist das so?« Er grinste und ich hatte das Gefühl, als würde sein Blick durch meine Augen direkt in meine Seele blicken. Dorthin, wo meine dunkelsten Träume und Wünsche lauerten. »Ist das der Grund, warum du hier sitzt? Weil du herausfinden willst, wer ich wirklich bin?«

Ich stutzte. War es das, was ich gerade machte? Bei der Liste ging es schließlich darum, Neues herauszufinden und zu erleben. Zach kennenzulernen zählte schon irgendwie dazu ... »Nicht wirklich.«

»Also gut, Fräulein Benz, Sie haben mich neugierig gemacht. Warum erweisen Sie mir heute die Ehre Ihrer Gesellschaft?«

»Ich habe mich mit Hannah und Katrina gestritten«, erfand ich.

»Was?« Er fasste sich ans Herz und riss die Augen auf. »Was soll die Schule nun tun? Ist die Presse benachrichtigt worden? Was ist mit der Bundeskanzlerin? Wir sollten eine nationale Krise ausrufen.«

»Du bist eine ziemliche Drama Queen, weißt du das?«

»Das sagt mein Vater auch immer, aber was soll ich machen? Die Kamera liebt mich.« Er schüttelte den Kopf, als wollte er sich seine imaginäre Haarmähne aus dem Gesicht werfen. Weil er jedoch mit dem Stuhl leicht nach hinten gekippt stand und sein einziger Halt der linke Fuß war, den er in das Bein von meinem Stuhl gehakt hatte, brachte ihn die Bewegung aus dem Gleichgewicht. Der Stuhl kippte zurück und Zacherys Kopf knallte mit voller Wucht gegen die Wand. Herr Beckmann hätte das vielleicht noch übersehen, aber den Lachkrampf, der mich bei Zachs überraschtem Gesichtsausdruck packte, den konnte er nicht ignorieren.

»Herr Martinez, Sie haben sich soeben eine Woche Nachsitzen eingehandelt. Wenn ich noch einmal sehe, dass Sie Frau Benz vom Unterricht ablenken, dann werden Sie das ganze Jahr über nach der Schule die Toiletten putzen. Habe ich mich klar ausgedrückt?«

»Aber Herr Beckmann, ich kann nichts dafür! Sie hat gelacht und nicht –«

»Sie sind in der Oberstufe, mein Lieber! Wenn Sie im nächsten Jahr ihr Abitur bestehen möchten, dann sollten Sie langsam anfangen, sich um Ihre Zensuren zu kümmern. Und das bedeutet, im Unterricht aufzupassen und nicht auch noch andere, lernwillige Mitschüler zu behindern.«

Zachery Martinez warf mir einen so wütenden Blick zu, dass ich zurückwich. Ich wusste, dass es eigentlich nicht meine Schuld war, dass er sich das Nachsitzen eingehandelt hatte. Immerhin war er es gewesen, der mich zum Lachen gebracht hatte. Trotzdem konnte ich meine Schuldgefühle nicht komplett abschütteln. Zachery schien jedenfalls davon überzeugt, dass ich ab sofort die Wurzel allen Übels auf Erden war. Er sprach nicht nur die ganze Stunde lang kein Wort mehr mit mir, er bedachte mich auch mit äußerst hasserfüllten Blicken. Ganz so, als könnte er ein Loch in meinen Schädel brennen, wenn er sich nur genug konzentrierte. Als es schließlich klingelte, stürmte er aus dem Raum, als könnte er nicht schnell genug von mir fort kommen.

Tja, so leicht machte man sich also Feinde. Die Mission ›Gezwungener Sitznachbar‹ war irgendwie nicht ganz so optimal gelaufen, wie ich es mir erhofft hatte.

Living the Dream. Liebe kennt keinen PlanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt