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Ich glaube erst nicht, dass er das ernst meint.

Er kann nicht ernst meinen, dass ich ihm etwas vorspielen soll.

„Hinter dir steht ein Klavier. Setz dich und spiel. Vielleicht glaube ich dir dann mehr als deinen Namen." Harry deutet auf das Klavier hinter mir und ich drehe mich reflexartig um.

Ich schlucke. Ich habe schon lange nicht mehr gespielt und so komplizierte Stücke kann ich auch nicht aus dem Kopf.

„Habt Ihr Noten?", knirsche ich.

„Braucht ein wahrer Pianist Noten?" Harry schmunzelt herausfordernd.

Ich schnaube leise und stehe auf. Dann stehe ich vor diesem Klavier. Diesem sehr schönen und sehr natürlichem Klavier. Ich schiebe den Stuhl davor zurecht und klappe den Deckel auf, sodass ich die schwarzen und weißen Tasten sehen kann.

Einige sind herunter gedrückt und etwas schmuddelig. Es ist alt.

Mein Implantat berechnet mir das Produktionsjahr: 1979.

Wow. Uralt trifft es wohl eher.

Ich ziehe die Augenbrauen hoch und plötzlich steht Harry neben mir und stellt mir Noten zurecht.

Natürlich hat er sich ein schweres Stück ausgesucht.

Ich beiße mir auf die Unterlippe und schlage die ersten Tasten an.

Meine Finger finden den Weg über die Tastatur am Anfang nur schwer. Ich verspiele mich, spiele zwei Tasten gleichzeitig und achte nicht auf den Rhythmus. Ich vergesse das Pedal zu benutzen und bei „Crescendo" lauter zu werden.

Doch nach drei Minuten bin ich in den Noten versunken und spiele das Stück locker durch.

Harry steht hinter mir, verfolgt die Noten und hat die Stirn gerunzelt. Das sehe ich, als ich es einmal kurz wage nach hinten zu schauen.

Als ich fertig bin und der letzte Ton verklingt, schüttelt Harry den Kopf.

„Ich glaube dir die Sache mit der Musikschule." Ein bissiger Unterton schwingt mit und als wir dann wieder in den Sesseln an der Tafel sitzen, nehme ich mir ruhig meine Teetasse zur Hand.

Ich trinke ein paar Schlucke, bis ich sie ausgetrunken habe und schenke mir dann nach der Frage, ob ich dürfte, noch etwas ein.

„Hast du Geschwister?"

„Ja, vier Stück." Ich muss an meine Geschwister denken. Daran was sie wohl gerade machen. Ob sie mich vermissen. Und dann fällt mir wieder ein, dass sie gerade noch gar nicht leben und mich deswegen sicher eher weniger vermissen. Das entlockt mir ein melancholisches Seufzen.

„Jungen? Mädchen?"

Ich sehe zu Harry und kurz sieht man die Fragezeichen in meinen Augen. Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht und ich brauche eine Weile um das auf 2093isch zu übersetzen.

„Alles Mädchen...?"

„Ist das eine Frage?"

„Nein", sage ich entschlossen und lache nervös.

Harrys Ausfragestunde hat da noch nicht ihr Ende. Er will wissen wo ich zur Schule gegangen bin und was ich nach der Schule gemacht habe.

Ich denke mir einen ganzen Lebenslauf aus und bin am Ende dann ziemlich zufrieden damit.

Harry scheint etwas geplättet nach unserer Unterhaltung und sagt mir, ich solle alles in die nächste Küche bringen, aufräumen und mich dann wieder ans Klavier setzen.

lost time | larry ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt