5. Der Wald von Everbrook

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Der nächste Morgen war gekommen. Ich ging noch einmal meine Sachen durch, die ich mitnehmen würde - ich hatte ja schließlich keine Ahnung, was mich erwarten wird; ich meine, ich war noch nie in meinem Leben in einer Märchenwelt, na gut, vielleicht in meinen Träumen. Nachdem ich mir meine enge Jeans mit den Löchern an den Knien und ein weißes, schlichtes, enganliegendes Langarmshirt anzog, natürlich mit meinen weißen Vans kombiniert, sah ich alles sorgfältig an. "Okay, dann mal los: Klamotten, Zahnputzbecher, Wasserflasche, Handy und das Taschenmesser." seufzte ich vor mich hin. Man weiß ja nie, dachte ich. "Anna, gib mir deinen Rucksack, ich lege ihn schon mal in den Flur. Und bitte trinke und esse noch etwas." meinte Mom, als sie gerade das Wohnzimmer saugte. Als ich daraufhin ihr den Rucksack gab und etwas aß und trank, dachte ich an all die Sachen, die auf mich zukommen werden. Ich schnitt mich versehentlich beim Essen am Zeigefinger, klebte jedoch ein Pflaster darauf. Kaum waren ein paar Stunden vorbei, stand auch schon Langewich vor der Tür - um genau 12 Uhr. "Hallo Frau Maier, ist Anna schon fertig?" fragte er. Meine Mutter lud Langewich in die Wohnung ein. Kaum hatte er sie betreten, kam ich auch schon mit dem Rucksack zur Eingangstür angerannt. "Hallo." meinte ich nervös. Ich bemerkte, dass der Professor heute richtig lässig gekleidet war. Anstatt ein teures Jackett, ein dünner Pulli und einen Mantel darüber. Wir begannen nicht wirklich eine großartige Konversation - ich umarmte Mom und ging auch schon.

In seinem putzigen Oldtimer angekommen, lag ich meinen schwarzen Rucksack zwischen meine Beine und ich sah auf der Rückbank einige Sachen, die Langewich wohl mitnehmen würde. Aus einem Beutel, der wahrscheinlich aus einem Supermarkt stammt, sah ich eine Ecke des Märchenbuchs. Ich betrachtete es solange, bis ich einen lauten Knall hörte.

Der Motor.

Nach etlichen Versuchen sprang der Wagen auch endlich an und wir fuhren zu dem Wald von Everbrook. Kein Mensch wagte es, sich auch nur in die Nähe des Waldes zu begeben, da es hier angeblich spuken soll. Bis vor einer Woche hätte ich gedacht, dass das alles nur Geschichten sind, und jetzt? Jetzt begann ich alle paranormalen Geschichten, die mir Bonnie oder andere Freunde erzählt haben, zu glauben. Und jetzt stand ich dem Wald etwa einhundert Meter gegenüber und sah auf die unheimlichen und großen, alten Bäume hoch. Langewich hatte einen alten Rucksack auf, in dem er all seine Dinge, die sich im Auto befanden, verstaute. "Unheimlich." murmelte ich. "So, ab jetzt beginnt der ganze Spaß..." meinte er neben mir, als er ebenfalls auf den Wald analysierend starrte. "Na dann lassen Sie mal hören." "Siehst du diesen Baum, da ganz hinten im Wald, der so hoch wächst? Dort müssen wir hin." "Dann laufen wir halt los." sagte ich zielstrebig und setzte schon einen Schritt zum Loslaufen an. "Das ist nicht so einfach, wie es aussieht. Wir müssen zuerst durch ein hohes Gestrüpp laufen, das Gefahren in sich birgt. Dort lauern Glaboles, eine Art...Kobolde, die alles und jeden umbringen möchten. Wenn wir da durch gekommen sind, müssen wir in den Sumpf abtauchen, keine Angst, es ist nur ein Schein, der normale Menschen davon anhält, zum Baum zu gelangen. Im Sumpf ist klares Wasser. Hier müssen wir einfach den Wassernixen folgen, aber Vorsicht - wenn du eine offene Wunde hast, verspeisen sie dich." fing er an, während ich meine Arme verschränkte. "Sie sind..." Langewich zögerte "Eine etwas andere Art von Sirenen." Mir lief es kalt den Rücken hinunter. Was zum Teufel gibt es alles? Eigentlich wusste ich gar nichts. "Kommen dann noch andere gefährliche Dinge wie Werwölfe oder so?" fragte ich ironisch. "Eigentlich nicht." so er nachdenklich. "EIGENTLICH?"

Auf einmal knackste es gewaltig im Gestrüpp des Waldes, welches mittlerweile nur noch einige Meter von uns entfernt war. "Was war das?" Ich bekam langsam Angst. Daraufhin holte der Professor einen Dolch aus seiner Jackentasche und gab ihn mir übervorsichtig in die Hand, sodass keiner, der hier wäre, dies bemerkte. "Was, was ist lo..." Langewich unterbrach mich. "Sei still." Er hielt seine Hand auf meinen Mund. "Alles was aus dem Wald kommt...töte es. Seien es Rehe, Wildschweine - töte." Ich sah ihn skeptisch an, nickte dennoch darauf. Als das Rascheln aufhörte, beugte ich mich in eine Kampfposition, doch anstatt eines gruseligen Geschöpfes kam ein Junge, der in meinem Alter zu sein schien, auf uns zu. Er hatte welliges, dunkelblondes Haar, grüne Augen und hatte eine ziemlich sportliche Statur. Er sah nicht schlecht aus. "Anna?" Langewich tippte mich an. "Das mit dem töten...lass es, zumindest bei ihm." Ich war verwirrt und senkte den Holzdolch. "Hallo Theodor!" begrüßte der Junge den Professor überglücklich. "Theodor?" sagte ich so laut, dass sogar der Junge dies hörte. "Ja, ich heiße Theodor." Ich musste mir wirklich unterdrücken, nicht zu lachen. "Anna darf ich dir vorstellen, das ist Matt. Matt, das ist Anna." Ich grinste bescheiden und sah ihn an. "Hey." fing Matt an. "Hey." so ich. Nun erfüllte uns beide ein komischer, undefinierbarer Moment, der zu schnell von Langewich unterbrochen wurde. "Matt, wie kannst du eigentlich hier sein?" Man konnte eine angespannte Mimik im Gesicht des Professors erkennen. "Theodor, wir haben ein gewaltiges Problem, was genau los ist, erzähle ich in meinem Baumhaus. Es ist direkt bei den Nixen." nickte Matt. "In Ordnung." Ich stand nur still daneben. "Kann es sein, dass du irgendwo blutest? Das riechen die Glaboles und ich übrigens auch." tippte mich Matt an. "Ähm ich habe mich heute Morgen an einem Messer geschnitten, ja. Wieso riechst du das? Bist du ein Vampir oder so?" Ich ging einen Schritt von ihm zurück, doch er grinste nur, wobei ich seine Grübchen erkennen konnte, was übrigens echt süß aussah. "Ich bin sozusagen ein ganz normaler Junge. Alle in meiner Welt können das. Theodor kann das nicht mehr, da das nur Personen, bis zu ihrem 17. Lebensjahr können. Ich bin 16, also..." "Okay." "Es wird Zeit, dass wir loslaufen. Es wird bald dunkel und wenn wir bis dahin nicht im Baumhaus sind, war's das." unterbrach Langewich. "Da wird alles noch gefährlicher." fügte Matt hinzu, während er schadenfroh mich anblickte. "Na dann laufen wir mal los!" schlug ich vor und lief ein paar Schritte gerade aus und drehte mich wieder zu ihnen um. "Gehen wir?" fragte ich, als ich mich wieder zu ihnen umdrehte. Doch ich bemerkte schnell, dass etwas nicht stimmte. Das Grinsen in Matts Gesicht und die positive Einstellung von Professor Langewich verschwanden. "Anna, nicht bewegen." Flüsterten mir beide zu. "Was? Warum sollte ich das? Was ist denn los?" meinte ich aufgeregt und drehte mich um, wobei Langewich und Matt nur "Nicht!" schrien. Als ich mich umgedreht hatte, spürte ich einen gewaltigen Schlag auf meiner Schläfe und alles um mich herum wurde schwarz.

Das Märchenbuch - Verborgene WeltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt