~Er darf dir nicht zu nah kommen~

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Lucian

Kurz fühlte ich mich so, als würde ich schweben, dann kam ich in vollkommener Dunkelheit an. Nur Adrians Hand an meinem Arm hielt mich davon ab, zu stolpern.

Plötzlich flammte eine Fackel auf, dann eine weitere, eine weitere und so weiter. Das flackernde Feuer beschien einen Gang aus Stein, dessen Wände vielleicht drei Meter voneinander entfernt waren. Die Decke hatte eine ähnliche Höhe.

Verwirrt warf ich einen Blick zu Adrian, der stur geradeaus sah.

„Wie kommen wir hierher und wo sind wir genau?", wollte ich leise wissen.

Der Dämon drehte sich zu mir und sagte mit Grabesstimme: „Das hier ist der Weg zu meinen Grab. Der Schrank ist eine Art Portal hierhin."

Dann drehte er sich wieder weg und setzte sich in Bewegung. Leicht verwirrt folgte ich ihm. Warum hatte er mich hergebracht? Wollte er mein Vertrauen gewinnen? Wenn ja, warum hier? Weitere Fragen schossen mir durch den Kopf, während wir den immer gleichaussehenden Korridor entlang wanderten.

Eine gefühlte Ewigkeit lang passierte nichts, bis wir am Ende des Weges ankamen. Eine hohe Steinwand ragte aus dem Boden auf, doch Adrian lief einfach weiter. Ich folgte ihm zögernd, wurde aber immer langsamer. Adrian passte sein Tempo meinem an, sodass wir nebeneinander gingen.

Dann standen wir direkt davor, doch der Dämon ging immer noch weiter. Ich machte mich bereit auf einen Aufprall, doch nichts passierte. Meine Augen, die ich geschlossen hatte, öffneten sich mit einem Ruck wieder. Vor uns erstreckte sich eine riesige Höhle, die komplett mit Feuer ausgeleuchtet war. Nur in der Mitte stand eine gewaltige Erhebung, ähnlich einem Grab.

Adrian steuerte direkt darauf zu und blieb erst daneben stehen. Ich folgte ihm schweigend und staunte nicht schlecht, als ich die mit Samt ausgelegte Fläche sah. Einige Zeit sah ich mir das alles bloß an, dann drehte ich meinen Kopf zu Adrian, der mich schon wieder intensiv musterte.

Ich sah ihm direkt in die Augen und musste schlucken, als ich die Gefühle darin erkannte. Gerade wollte ich zurücknehmen was ich über Gefühle zeigen gedacht hatte. Denn das, was ich sah, ließ in mir den Wunsch aufkommen, Adrian zu trösten. Er wirkte so leidend, so ängstlich und so entsetzt, wie ich es niemals für möglich gehalten hätte. Es war leichter gewesen, ihn als gefühlslosen Eisklotz zu hassen.

Bevor ich jedoch etwas sagen oder tun konnte, meinte der Dämon mit rauer Stimme: „Das hier ist mein Grab. Es sollte meine letzte Ruhestätte sein. Ich habe sie vor einigen Jahrhunderten gebaut, ein Ritual, dem jeder Dämon irgendwann nachkommt. ich wollte hier irgendwann liegen, wenn meine Zeit gekommen ist. Deine Eltern und der Gemini-Zirkel haben hiervon erfahren und einen Plan ersonnen. Als ich hierher kam haben sie mir aufgelauert und mich letztendlich besiegt."

Ich sah den Dämon weiter an und wusste zu schätzen, was er mir hier erzählte. Es musste ihm schwerfallen, mir hier von zu erzählen.

„Warum bist du hergekommen?", fragte ich leise nach.

Meiner Meinung nach war das hier nicht die Situation um laut zu reden. Adrian setzte sich auf eine der schwarzen Stufen und ich tat es ihm unaufgefordert gleich.

„Ich war hier, weil mir eine Wahrsagerin, Lukes Mutter, gesagt hatte, dass ich in meinem größten Feind meinen engsten Vertrauten finden würde. Es hat mich damals aufgewühlt, da ich mir das nicht vorstellen konnte. Immer, wenn ich aufgewühlt war, kam ich hierher, so wie dieses mal auch."

Ich legte den Kopf schief und dachte über seine letzten Worte nach.

„Luke hat ebenfalls so etwas erwähnt, oder?", fragte ich leise nach.

Mittlerweile wusste ich, dass Luke mich mit größter Wahrscheinlichkeit gemeint hatte. Es machte mir Sorgen, dass beide so etwas in die Richtung geäußert hatten. Aber mir war klar, dass die Wahrsagerin mich nicht meinen konnte, ich war damals schließlich noch ein Baby.

„Ja, hat er. Ich habe mir seitdem ein paar Gedanken zu dem Thema gemacht und bin zu einem Schluss gekommen, der jetzt aber nicht wirklich wichtig ist. Aber Schluss jetzt hiermit, kommen wir zu etwas anderem."

Er erhob sich und gab mir keine Zeit, über seine Worte nachzudenken. Der Dämon beugte sich zu einer Art Tisch, der an der Kopfseite des Grabes stand. Von dort holte er mehrere Schriftrolle, die mir bisher nicht aufgefallen waren. Seine Bewegungen waren fast schon mechanisch, sein Blick entschlossen.

Er reichte mir eine Schrift und setzte sich dann wieder neben mich. Zögernd entrollte ich das alte Pergament und sah auf die Wörter, die dort in Versen aufgereiht waren. Ich überflog die Zeilen und spürte, wie ich langsam blass wurde. Zum Ende hin vergaß ich fast zu atmen.

Ich hob den Blick und fragte mit heiserer Stimme: „Warum hast du mir den Zauber gegeben?"

Adrian sah mich an und meinte dann ehrlich: „Weil ich dir vertraue und hoffe, dass du ihn nicht gebrauchst, bis wir die Arte negro gefunden und zerstört haben."

Ohne noch etwas zu sagen hielt er mir eine zweite Schriftrolle hin. Diese nahm ich mit zitternden Fingern entgegen. Das Siegel darauf war ungebrochen, die Schriftrolle selbst fühlte sich jung an, nicht älter als 20 Jahre. Vorsichtig brach ich das blutrote Siegen und begann zu lesen:

Wenn du das liest, mein Junge, dann bist du bei dem Grab des ältesten Dämonen, der je unsere Dimension besucht hat. Er liegt darin und schläft und du bist da, weil du dir sorgen machst, dass etwas nicht in Ordnung ist. Aber es ist allesokay, du weißt, dass deine Mutter und ich dafür gesorgt haben, dass der Dämon dir nichts mehr anhaben kann. Er wird nie wieder Nachts an unserem Fenster stehen, das kleine Kind in der Wiege beobachten oder uns seine Leute schicken.

Es tut uns leid, dass wir dir die Chance genommen haben, die du gehabt hättest, aber daraus wäre niemals etwas geworden. Du bist zu gut dafür, zu rein, mein Engel. Die anderen finden diese Maßnahme übertrieben, Jasper versucht sie mir momentan auszureden. Er steht aber dennoch im Notfall hinter mir. Selbst deine Mutter fragt sich, weshalb ich das mache. Aber es ist zu deinem Besten. Der Zauber, welchen ich neulich gewirkt habe, wird dich von dem Schmerz befreien, wenn du hier bist. Den Dämon ebenfalls. Er darf dir nicht zu nah kommen.

Kyle, dein dich liebender Vater.

Ich blickte verwirrt auf die Schrift. Wie meinte er das, wird dich von deinem Schmerz befreien? Und warum sollte Adrian mir nicht zu nah kommen? Ich sah wieder zu dem Dämon, der mich wissend betrachtete.

„Dein Vater hat mir den Brief vorgelesen, bevor er ihn versiegelt hat."

Kurz zögerte der Dämon, dann fragte er leise: „Möchtest du wissen, von welchem Schmerz dein Vater geredet hat?"

Ich zögerte ebenfalls, dann nickte ich.

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Hier ist das erwähnte Kapitel. Ich bin so in Schreiblaune, dass vielleicht sogar noch etwas kommen könnte. Ich hoffe, dass euch das hier gefällt und es nicht alles zu schnell geht.

Over and Out, _Amnesia_Malum_


ʟᴜᴄɪᴀɴWo Geschichten leben. Entdecke jetzt