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Ava stand unter der großen Weide.
Vollkommen entspannt beobachtete sie die Bäume, wie sie sich sanft im Wind wogen.
Hier fühlte sie sich wohl.
Sie musste nicht immer dieses künstliche Lächeln aufsetzen, denn seit ihre Schwester bei einem Unfall ums Leben gekommen war, hatte Ava sich verändert.
Sie wurde verschlossener, stieß ihre Freunde von sich.
Ava war alles egal.

Wehmütig dachte das Mädchen an ihre Schwester, kurz vor der Feier hatten sie sich gestritten.
Im nach hinein kam der Streit Ava unbedeutend und lächerlich vor.
Sie waren im Streit auseinander gegangen.
Als sie am nächsten Tag von der Tragödie hörte brach eine Welt für sie zusammen.
Die Polizisten mit ihren mitleidigen Blicken.
Wie sie es erzählten.
Unerträglich.
Ihre Eltern versuchten für sie da zu sein, sie wusste, dass sie ihren Eltern weh tat, aber Ava wollte nur allein sein.
Niemanden sehen und mit niemandem sprechen.
Sich in ihr Bett legen, unter der Decke vergraben und einfach nur schlafen.
Sie war so müde.
Schlimmer als die Lethargie war jedoch der Schmerz, der sie zu zerfressen drohte.
Sie würde ihre Schwester nie wiedersehen, sie konnte sich nicht entschuldigen.
Ava verlagerte ihr Gewicht auf ihr linkes Bein.
Ihre Eltern hatten sie zu Therapeuten geschickt,alle wollten ihr helfen, sie solle loslassen, aber Ava wollte nicht, konnte nicht. Irgendwann reichte es ihr und sie schloss sich tagelang in ihrem Zimmer ein.

Seufzend schüttelte Ava ihren Kopf, als könnte sie so all die Erinnerungen abschütteln.
Es wäre schön wenn es klappen würde...
Wenn die Gedanken nicht immer so tief verwurzelt wären.
Tag für Tag schoben sich die Bilder von Hailey, wie sie reglos auf dem (Obduktions) Tisch lag, ihr Körper von einem weißen Tuch verdeckt, nur das Gesicht war frei, für die Identifikation, vor ihr inneres Auge.

Die Gedanken des Mädchens wurden jäh unterbrochen, als sie ein Knacken hörte.
Verwundert und auch ein wenig ängstlich schaute sie sich um.
Normalerweise kam hier niemand her.
Es war im Wald, weit weg von den Wanderwegen, sodass die meisten Leute diesen Ort garnicht fanden, schon gar nicht nachts.
Ava versuchte zwischen den Bäumen eine Gestalt aus zumachen.
Nur das sanfte Mondlicht lies sie sehen, nicht so gut, dass alles erhellt wäre, aber so viel, dass sie leichte Umrisse ausmachen konnte.
Ihr war mulmig zu Mute.
Als keine weiteren Geräusche ertönten, schrieb sie es den Füchsen zu.
Ava gab sich schnell mit dem Gedanken zufrieden.
Sie wollte sich nicht unnötig Angst machen, aber als das verdächtige Knacken wieder ertönte, konnte sie nichts gegen die Nervosität machen, die in ihr aufstieg.
Wachsam schaute sie sich um.
Sie wollte nach Hause, dort hin, wo sie keine Angst haben musste.

Vorsichtig ging sie Schritt für Schritt auf den Waldrand zu.
Sie fühlte sich beobachtet, als würde jemand jede ihrer Bewegungen genaustens verfolgen.
Immer schneller lief Ava auf die Bäume zu.
Bis sie das tiefe Knurren hörte.
Ava erstarrte.
Die Angst kroch langsam ihren Rücken hoch.
Ihre Augen überflogen panisch die Lichtung, bis sie an dem Wolf hängen blieben.
Ava riss erstaunt ihre Augen weit auf.
Sie hatte noch nie davon gehört, dass hier Wölfe leben sollten.
Er stand unbeweglich in der Mitte der Lichtung.
Sein Fell war so schwarz, dass es im Licht des Halbmondes so aussah, als wären manche Stellen in ein dunkles blau getaucht.
Es kam ihr vor, als würde er ihr direkt in die Augen schauen.
Sie wollte sich umdrehen und wegrennen, aber sie konnte sich nicht bewegen.
Es war als wären ihre Beine am Boden festgefroren.

Wolf P.o.V

Sie war unbeschreiblich schön.
Als der Wolf ihren Geruch eingefangen hatte, war er los gerannt.
Mit einem Ziel, er wollte sie finden.
Das hatte er auch, aber als er sie sah verschlug es ihm den Atem.
Hailey...
Aber das konnte nicht sein sie war tot.
Reue machte sich in ihn breit.
Der Wolf sah sie nochmals an.
Bei genaurem Hinsehen bemerkte er jedoch, dass sie hellere Haare und ein blasseres Grün als Augenfarbe besaß.
Aber wieso sah sie ihr so ähnlich?
Angespannt sah er sie direkt an.
Er wollte, dass sie keine Angst vor ihm hatte.
Sie war seine Seelengefährtin.
Das konnte er aber schlecht von ihr verlangen, schließlich war er in seiner Wolfsform.
Er wünschte er könnte sie in seine Arme schließen und nie wieder los lassen.
Er würde alles dafür geben.
Vorsichtig setzte er eine Pfote vor die Andere.
Er wollte sie nicht verängstigen.
Immer näher kam er ihr und ihr Geruch wurde immer intensiver.
Sie bewegte sich nicht von der Stelle, staarte ihn nur an.
Der Wolf liebte ihre Augen.
Sie waren in einem wunderschönem Grün und es sah so aus als würden braune Sprenkel einen Kreis um die Pupille bilden.
Doch die Angst in ihren Augen war nicht zu übersehen.
Sein Herz zog sich zusammen.
Sie sollte keine Angst vor ihm haben.
Niemals.
Er würde niemals Hand an sie legen. Sie war die Seine und er war der Ihre. Es war ihnen schon von der Muttergöttin in die Wiege gelegt worden.

Er wollte zu ihr, aber als er gerade seine Pfote anhob fing seine Seelengefährtin an zu rennen.

Ohne nach zu denken setzte er ihr nach.
Als die stolperte und hinfiel, blieb er stehen.
Mühsam richtete sie sich auf.
An ihrem Knie rann Blut hinab.
Reuevoll sah er zu wie sie sich wieder aufrappelte und weiter rannte.

Er würde sie heute ziehen lassen, aber er würde sie finden und dann nicht mehr gehen lassen.

MondmädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt