Bis dass der Tod uns scheidet

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„ALLE MANN AUF GEFECHTSSTATION!" hallt der Schrei von General Spohn durch die Flure. Thomas reißt seine Augen auf. Sein Herz fängt augenblicklich an in seiner Brust zu rasen, seine Lunge pumpt. Er springt aus seinem Bett, in dem er bis eben noch geruht hat, lässt sich auf den Boden fallen und rollt sich unter das Bett. Die Sekunden verstreichen. Gespannt wartet er ab, die Augen nach vorne gerichtet, die Ohren gespitzt. Allumfassende Ruhe umgibt ihn, keine hektischen Rufe, kein Getrampel der Männer, die durch die Flure rennen. Camp Marmal gilt unter den Soldaten als sicherster Ort in Afghanistan. Natürlich gibt es auch dort mal einen Raketenabschuss, jedoch ist jeder auf einen solchen Vorfall vorbereitet. Nicht umsonst quält man sich als Berufssoldat durch drei Monate Grundausbildung und anschließend durch die sechsmonatige militärfachliche Ausbildung.

Thomas liegt immer noch an derselben Stelle. Irgendwas ist hier anders, doch er kann einfach nicht sagen was es ist. Es ist ruhig. Zu ruhig. Der Soldat löst sich aus der Starre und kriecht unter dem Bett hervor. So dunkel wie es im Zimmer ist, muss es noch mitten in der Nacht sein. Lediglich einzelne Strahlen der Laterne vor dem Fenster erhellen Teile des Zimmers. Warte. Das ist nicht das Zimmer, was er mit seinen Kameraden im Camp Marmal bezogen hat. Hier steht lediglich ein einzelnes Bett, die Wände sind nicht grau, sondern gelb und auch ein Spiegel hat nicht in ihrem Zimmer gehangen.

Thomas ist nicht mehr in Afghanistan. Genau genommen schon seit 4 Monaten, 3 Wochen, 5 Tagen und -er sieht prüfend zur Uhr- circa 9 Stunden nicht mehr. Nichts desto trotz bekommt der Leutnant diese Bilder nicht aus dem Kopf, egal was er tut, egal was er versucht, nichts bringt den gewünschten Erfolg. Am Anfang dachte der Soldat noch, er bräuchte einfach Abstand. Abstand zur Kaserne, Abstand zu seinen Kameraden und vorallendingen Abstand zur Uniform, dem Druck, dem Land zu dienen- und wenn es sein muss mit dem eigenen Leben.

Er läuft durch den dunklen, kahlen Flur seiner Wohnung in Richtung Küche. Schlafen kann Thomas jetzt eh nicht mehr. Früher hatte der Flur voll gehangen mit Bildern von Freunden, Kameraden während der Grundausbildung, Bilder von seiner Familie und auch ein Bild des schönsten Tages seines Lebens hatte nicht fehlen dürfen. Doch jetzt ist alles anders. Seine Eltern sind tot, seine Freunde haben ihm den Rücken zugekehrt, zwei seiner Kameraden sind beim Einsatz gestorben und Sie, die Liebe seines Lebens, ist nicht mehr an seiner Seite. Er sei nicht mehr derselbe wie vorher, haben sie gesagt. Er habe sich verändert. Es stimmt: er hat sich verändert.

Vier Stunden lang sitzt Thomas in der Küche mit einer Tasse Kaffee in der Hand und starrt die kahlen Wände an. Das ist nun sein 'neues' Leben: Schlafen, von Alpträumen aufwachen, rumsitzen, vor sich her starren und wieder versuchen zu schlafen. Nicht zu vergessen, die wöchentlichen Termine bei Dr. Wittchen, dem Wehrspsychologen. Er hasst die wöchentlichen Besuche bei Dr. Wittchen. Thomas weiß, dass ihm das helfen soll, doch er fühlt sich nicht besser dabei, das Geschehene Tag für Tag erneut durchzukauen.

„Sie sind sich bewusst, dass Sie nichts für diese Alpträume können?" der prüfende Blick des Psychologen liegt auf ihm, während der Soldat unwohl auf der Couch hin und her rutscht.

„Ja. Ich habe PTBS, eine Posttraumatische Belastungsstörung. 'Diese tritt als eine verzögerte psychische Reaktion auf ein extrem belastendes Ereignis, eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes auf. Die Erlebnisse können von längerer oder kürzerer Dauer sein, wobei die Betroffenen dabei Gefühle wie Angst und Schutzlosigkeit erleben und in Ermangelung ihrer subjektiven Bewältigungsmöglichkeiten Hilflosigkeit und Kontrollverlust empfinden'.", rattert er die Worte herunter. Zu oft hat er sich diese durchgelesen, doch nie gänzlich verstanden. Er ist nicht krank. Ihm geht es gut!

Der Mann gegenüber nickt „Können sie sich an ein bestimmtes Ereignis erinnern?"

Er schüttelt vehement den Kopf: „Nein". Dr. Wittchen mustert ihn durchdringend. „Na gut hören Sie, ..."

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