1. Kapitel

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Und da saß ich mal wieder, heulend zusammen gebrochen auf meinem Bett. Allein. Niemand war für mich da. So wie immer. Selbst Avely, meinte sie würde erst wieder mit mir reden, wenn ich das ganze nicht immer wieder so runter ziehen würde. Das tat ich nämlich. Jeden Abend hoffte ich, meine Krebs Diagnose sei nur ein Fehler und ich habe eigentlich keinerlei Erkrankungen, aber wieso tue ich das? Weil ich mir Hoffnungen mache. Weil ich wissen möchte, wie mein Leben wäre, wenn ich wie jeder andere wäre.

Dann wäre bestimmt alles viel leichter. Ich würde mein Leben warscheinlich genießen, anstatt es immer schlecht zu reden. Aber so genau kann ich auch nicht sagen was wäre wenn ich dieses Leben führen dürfte.

Seit dem ich Krebs hatte, wollte ich mein Leben immer eintauschen. Ich kann mich nicht mal mehr daran erinnern wie es davor war und trotzdem wusste ich, das davor war auf jeden Fall besser als dieses. Aber das war wahrscheinlich jedes. Na gut, das stimmte nun auch wieder nicht so ganz, denn ich wollte ganz sicher nicht Schwerstbehindert oder Blind und Taub sein. Obwohl Blind und Taub besser währe als Krebs zu haben. Ich denke schon wieder zu viel.

"Ana, komm bitte aus deinem Zimmer!" meine Mutte klopfte an die verschlossene Tür.
Ich erhob mich und richtete mein verheultes Gesicht wieder ein wenig her, dann öffnete ich die Tür und quälte mir ein Lächeln ab.
"Was ist denn los, wieso schließt du die Tür ab?"
"Es ist alles gut, ich wollte nur ein bisschen allein sein, ich wollte nämlich gleich mit Avely skypen." log ich und wünschte mir, sie würde einfach wieder gehen.
"Ok, aber vergiss nicht die Hausaufgaben zu machen!"
Ich lächelte sie bejahend an und schob sie sanft aus dem Raum, bevor sie noch etwas erwidern konnte schloss ich die Tür.

Und schon wieder hatte ich es getan. Ich hatte meine Mutter angelogen als es um mein Wohlergehen ging. Wieso mache ich das überhaupt? Es hat sowieso keinen Sinn. Sie wird es ja eh irgendwann herausfinden, das mit der Schule und so.

Mein Handybildschirm leuchtete auf und mein nerviger Klingelton machte sich mit voller Lautstärke bemerkbar. Es war Grace.
"Ja?"
"Hey was geht bei dir?"
"Nichts besonderes ich bin nur grade-"
"Sehr schön", unterbrach sie mich, "dann kannst du also in 20 min am Schultor sein?"
"Ich weiß nicht, meine Mutter meinte ich solle meine Hausaufgaben erst noch machen und-"
"Fein fein, dann bis gleich" krächzte sie mit ihrer abartig hohen Stimme ins Telefon. Verdammt war die gut. Immer unterbrach sie mich und ich konnte nie etwas machen, ihren Willen bekam sie aufjedenfall immer.

Leise packte ich eine kleine Tasche zusammen und öffnete vorsichtig die Zimmertür. Ich hörte ein Rauschen und schlussfolgerte, dass meine Mutter im Bad sein musste. Sofort ergriff ich meine Chance und rannte auf Zehenspitzen die Treppe hinab auf die Haustür zu. Dort angekommen schlüpfte ich in meine Sneaker und machte mich auf den Weg zur Schule.

Es war schon ein eigenartiges Gefühl Sonntags zur Schule zu laufen. Irgendwie fühlte es sich falsch an, als ob ich wirklich zum Unterricht müsste.

Ich lief an Kirschbäumen vorbei, die mit ihrer wunderbaren Blütenpracht nur so zu prahlen wussten. Früher als Kind war ich immer auf ihnen herum geklettert, einmal war ich jedoch heruntergefallen und hatte mir den Arm gebrochen. Als ich im Krankenhaus war stellte man fest, dass ich außerdem Krebs hatte und an diesem Tag veränderte sich alles. Wie gerne wäre ich noch einmal hinauf geklettert, um das Gefühl von Freiheit wieder zu spüren, aber das war mir zu Risikoreich. Denn auch heute war ich nicht sonderlich geschickt und schon mal gar kein guter Kletterer.

Kurze Zeit später war ich also an der Schule und hörte schon von weitem Grace und die anderen Tussen quasseln. Ja das könnten sie gut und wie. Sie wären sicherlich auch noch am Grab der Freundin so redefreudig und würden einen kleinen Totentratsch halten, bevor sie sich dann selbst ins Gräbelein begeben. Eigentlich eine recht amüsante Vorstellung, dachte ich.

"Ananda Schätzchen, schön dass du es auch einmal hier her geschafft hast" witzelte Grace und hob dabei wie gewöhnlich ihre linke Augenbraue und musterte mich von oben bis unten.
Ich lächelte nur brav zurück, denn bei ihr ist Reden Silber und schweigen Gold.
"Das ist übrigens Jess" sie deutete auf einen gut aussehenden Typen, der mir vorher gar nicht aufgefallen war.
"Hey, ich bin Ananda" versucht euch so cool wie möglich zu sagen, denn Grace passte auf, dass jedes meiner Wörter perfekt gewählt war.
"Na du Schönheit!" scherzte er.
Ich wusste nicht genau was ich sagen sollte und Misses ich bin hier die obergeilste guckte mich schon wieder so vorwurfsvoll an, also hielt ich lieber meinen Mund ich grinste zurück.
"Jess ist neu an unserer Schule und geht nun in unsere Klasse. Da er eindeutig etwas besseres ist als diese anderen Idioten von Mitschülern, wird er zu uns gehören." verkündete sie mit stolzem Gesichtsausdruck.

Die anderen Zicken aus unserer Clique fingen an zu klatschen und tat es Ihnen gleich, auch wenn ich mir dabei extrem bescheuert vorkam. Es wär als wären wir ihr Hofstaat und sie die Prinzessin, die uns herum scheuchte und wie Gesindel behandelte. Neben uns sah sie einfach machtvoller aus. Ich denke das war auch der einzige Grund wieso sie uns zu ihren Freunden zählte.

Ich bemerkte wie Jess anfing zu grinsen, anscheinend genoss er das kleine Klatschkonzert welches von Grace anschmachtenden Blicken begleitet wurde. Die erste die aufhörte zu klatschen war natürlich ich, ich hielt es nicht für so schlau dem neuen gleich zu verklickern, dass er nun eine hohe Machtposition besaß, denn je später er das rausfand, desto später konnte er sie ausnutzen.

"Also Jess, ich hoffe du hast heute noch nichts vor, denn wir haben uns etwas für dich überlegt!" flirtete das Prinzesschen und wickelte dabei eine Haarsträhne um ihren Finger. Doch man könnte genauso gut sagen Sie wickelte Jess um den Finger, denn dieser eingebildete Volltrottel sprang sofort auf diese billige Anmache an und schon wusste ich, dieser Nachmittag war noch lange nicht zuende.

Wie eine Gruppe Tiere trotten wir wie in einer Herde dem Leittier hinterher, während diese versuchte sich das beste Stück Fleisch beziehungsweise in diesem Falle Jess zu angeln. In meinem Kopf tobte es nur so vor Wut auf Grace, da diese uns wie ein Dompteur herum scheuchte und uns mit bösen Blicken bestrafte, falls wir nicht im Gleichschritt liefen.

Nun waren wir schon ewig unterwegs und ich hatte keinen Bock mehr und als Grace sich gerade umgedreht hatte ergriff ich meine Chance und rannte davon. Hoffentlich hatte das keiner gesehen, denn das wäre wirklich peinlich gewesen.

Zuhause angekommen, machte ich mich an meine Hausaufgaben, doch als ich schließlich bei Mathe ankam erschien eine SMS von Grace auf meinem Handy.
>Wo bist du?! Spinnst du, einfach so abzuhauen?!<
Schnell schrieb ich ihr zurück.
<Mir war echt schlecht und ich wollte dich nicht stören, da du dich echt gut mit Jess zu verstehen scheinst.>
>Du hast Recht, wir sind wie Romeo und Julia, einfach perfekt zusammen.<
bei diesem Satz müsste ich schmunzeln, denn ich überlegte zu wie vielen Jungen sie das dieses Jahr schon gesagt hatte und kam schlussendlich auf 26.

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