00. Der Anfang, vielleicht das Ende oder auch Kunterbunt

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10.12.2016

Lieber Elias,

zuerst einmal alles Liebe zum Geburtstag! Ich kann es noch gar nicht richtig fassen, dass du jetzt schon 34 Jahre alt bist. Wärest du noch hier, würden wir jetzt sicher anstoßen und darüber lachen, dass wir inzwischen zum ,,alten Eisen" gehören. Deine Freunde wären auch gekommen. Marvin und Mathilda haben inzwischen geheiratet. Emily ist mit irgendeiner Band auf Tournee und Hanna wechselt immer noch jeden Monat die Haarfarbe und hat ihre Berufung als Kinderkrankenschwester gefunden. Aber rate mal, was Paul macht. Du wirst es nicht glauben, aber er ist Anwalt geworden. Ja, genau der Paul, der früher davon geträumt hat Pizzalieferant zu werden. Ich glaube es selbst kaum, aber er hat vor einer Woche ein festes Jobangebot bekommen. Wie die Dinge sich doch ändern.

Ach Elias, ich weiß es hätte dich so glücklich gemacht mitzuerleben, was aus ihnen wird. Und deshalb halten wir alle immer noch Kontakt. Denn auch wenn jeder seinen eigenen Weg geht, merkt man, dass niemand aufgehört hat dich zu vermissen; besonders Emily. Ich glaube sie hatte dich schon immer wirklich sehr gern und wenn die Dinge anders gewesen wären, wer weiß...Doch genug davon, heute ist kein Tag um Trübsal zu blasen, schließlich hast du Geburtstag und man wird nur einmal 34.

Ich hoffe, dass sie im Himmel auch Songs von Janis Joplin spielen oder Janis vielleicht sogar ab und zu live auftritt, denn ich erinnere mich nur zu gern an die besonderen Momente, in denen wir vor Vaters Plattenspieler standen und in ihrer Welt versanken. Dann vergaßen wir immer unsere dummen Streitereien und fühlten nichts als unsere Herzen, die im Takt der Musik schlugen. Wir waren mit Sicherheit nie die ausgeglichensten Geschwister, oder hatten das freundschaftlichste Verhältnis, aber du warst immer für mich da und hast mir alle deine Facetten offengelegt und dafür könnte ich dir nicht dankbarer sein. Du hast meine Liebe geschätzt und mich genauso geliebt und das ist alles, was wirklich zählt.

Genau 17 Jahre ist es jetzt her, dass wir deinen letzten Geburtstag gefeiert haben. Die Feier war wie ein Knall. Alle deine Freunde haben Päckchen mit Farbpulver mitgebracht und irgendwann konnte keiner mehr einen farblosen Flecken an sich erkennen, weißt du noch? Und nie werde ich vergessen, wie du danach im kalten Dezemberregen standst, mit Farben, die wie bunte Tränen an dir hinunterliefen. Bunte Fäden auf blasser Haut.

Du hattest deinen Lieblingspullover, den himmelblauen, an, der schon vollkommen durchnässt und kunterbunt war. Die Hände zitterten und Regentropfen glitzerten in deinen Haaren. Dennoch standst du da, mit geschlossenen Augen, lachend. Unerschrocken und rückhaltlos hast du dir in dieser Nacht alle Sorgen vom Herzen gelacht. Oh Elias, wusstest du schon damals, dass die Zeit dich einholen würde?

Ich habe immer noch dein verblüfftes Gesicht vor Augen, als ich dir am Morgen deines Geburtstages diese riesige Schatzkiste geschenkt habe. Wenn du nicht mein Bruder wärest, hättest du sicher wegen diesem seltsamen Geschenk zum Siebzehnten skeptisch drein geguckt und nach dem echten gefragt. Doch du hast den Zettel gelesen und gelächelt. Es war diese Art von Lächeln bei denen sich deine Grübchen zeigten. Und ich war in diesem Moment so froh, weil du verstanden hattest und wusstest, wie viel Bedeutung die Schatzkiste hatte. Und falls du doch vergessen hast, was ich damals geschrieben habe, steht es hier noch einmal: ,,Liebster Bruderherz (ja, das ist mein voller Ernst), ich möchte dass du alle kleinen Dinge, die dir auf deinem Lebensweg in die Hände fallen und wichtig werden, in diese Truhe tust. Sammle durch sie alle bunten Fäden des Lebens mit Menschen, die du liebst und werde glücklich.
- Frieda."

Und nun, 17 Jahre später, schreibe ich Briefe an dich in der Hoffnung, dass du eines Tages die bunten Fäden wiederfinden wirst, die wir gesammelt haben. Du fehlst mir nach wie vor wie am ersten Tag ohne dein nerviges Grinsen und deinen grauenhaft hartnäckigen Optimismus. Immer wenn ich unsere Fotos anschaue, verspüre ich diese ungeheure Sehnsucht. Als du gestorben bist, starb ein Teil von mir mit dir. Es ist als hätte ich ohne dich vergessen wie man lebt. Der Versuch die Leere in meinem Herzen einzuschließen, genau wie dich, machten mich nur noch unglücklicher. Der Schmerz frisst sich irgendwann, wie eine hässliche kleine Made, in deine Seele, wenn du nicht gewillt bist ihn zu spüren. Ich brauchte lange um dies zu verstehen, doch jetzt bin ich bereit zu fühlen und loszulassen.

Das ist für dich, Elias.

In Liebe,
Frieda

Die bunten Fäden des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt