"Hey!", schrie Daniel von hinten. Adrian und seine Schwester ließen sich ein Stück zurückfallen, dann fragte Meike: "Ja? Was ist?"
Daniel hielt neben ihnen an.
"Wie lange führt dieser Weg denn noch durch den Wald? Ich dachte, wir wollten zu einer anderen Piste."
"Wir müssten bald da raus sein.", beschwichtigte ihn die 15-Jährige.
"Na hoffentlich.", gab er zurück. Auch Adrian hatte langsam keine Lust mehr, ewig auf diesem schmalen Streifen durch den Wald zu ziehen. Der Weg war zwar einwandfrei geräumt und richtig gut befahrbar, aber es war eben keine richtige Skipiste. Das Ganze hier erinnerte ihn eher an eine Talabfahrt.
"Also...weiter?", wollte Meike nun wissen und blickte die Jungs erwartungsvoll an.
"Ähm...", begann Daniel, verstummte jedoch schlagartig.Die drei erstarrten.
Ein tiefes, durchdringendes Grollen wie aus weiter Entfernung jagte ihnen einen Schauer über den Rücken.
Instinktiv schauten sie nach oben in den Himmel.
"Was...?", murmelte Meike.
"War das... Ein Gewitter?", fragte Adrian, auch wenn er die Antwort schon selbst kannte. Im Radio heute morgen hatten sie kein Unwetter gemeldet und der Himmel zeigte nach wie vor nicht eine einzige Wolke.Sekunden vergingen.
Die Jugendlichen tauschten verunsicherte Blicke. Keiner wagte es, das Schweigen zu brechen.
Noch immer hörte man dieses beunruhigende Grollen. Es schien weit entfernt und gleichzeitig ganz nah zu sein.Was war das nur!?
In Adrian stieg langsam Angst auf.
Er konnte dieses Geräusch beim besten Willen nicht zuordnen, aber eine Stimme, tief in seinem Unterbewusstsein verborgen, schlug Alarm. Ein Blick in die Gesichter der anderen verriet ihm, dass es ihnen genauso ging. Das Geräusch schien immer lauter zu werden.Plötzlich begann der Untergrund, leicht zu vibrieren. Der Schnee, der sich auf den Ästen der Nadelbäume abgelagert hatte, rieselte zu Boden.
Allen drei stand nun die blanke Angst ins Gesicht geschrieben.
"Wir müssen hier weg!", schrie Meike schon fast.Im Bruchteil einer Sekunde schwoll der Donner immer weiter an, vermischte sich mit dem ohrenbetäubenden Krachen von Holz.
Eine Wolke aus aufgewirbeltem Schnee hüllte alles in dichte Schleier.
Die war verschwommen.
Von einer Sekunde auf die andere.Panik erfasste die drei wie eine eiskalte Schockwelle.
Sie hasteten los, ohne zu wissen, warum. Auf ihren Skiern schossen sie die schmale Piste entlang.
Sie flohen, ohne zu wissen, wovor.Panische Angst erfüllte Adrians Gedanken, seine Instinkte übernahmen.
Er spürte, wie sein Herz wild klopfte. Er hörte seinen keuchenden Atem.
Ein Schauer nach dem anderen jagte seinen Rücken hinunter. Seine Nackenhaare stellten sich auf.Plötzlich erfasste ihn eine übermächtige Kraft und riss ihn von den Füßen. Schnee spritzte ihm ins Gesicht, drang in seine Schuhe ein und rieselte in seinen Nacken.
Einen Sekundenbruchteil später schlug er hart auf etwas auf. Er hörte seine Schwester schreien, dann spürte er eine ungeheure Last auf seinem Körper.
Er bekam kaum noch Luft. Völlige Schwärze hüllte ihn ein.Es war totenstill.
Langsam schloss er die Augen.
Er fühlte nichts mehr, hörte nichts mehr, sah nichts mehr.
Das Letzte, woran er dachte, war, ob er wohl jemals wieder Licht sehen würde.
Dann schlief er ein.
-
Angestrengt haftete ihr Blick auf dem Boden. Sie musste all ihre Kraft und Konzentration aufbieten, um noch einigermaßen vorwärts zu kommen, ohne alle paar Meter hinzufallen. Weiter vorne kämpfte sich ihre beste Freundin Christina durch die Schneehaufen. Sie hörte sie leise fluchen.
"Chrissi!", rief sie ihr zu. "Diese Piste zu fahren war eine richtig bescheuerte Idee! So viele Hügel auf einem Haufen hab ich noch nie gesehen!"
Ihre Freundin ließ ein entnervtes Stöhnen hören. Dann fügte sie noch hinzu: "Jaja, schon klar!"
Eine Weile verging, in der die beiden Studentinnen sich stumm im Schneckentempo voranquälten.Als Lenas Snowboard mal wieder in einem besonders großen Schneehügel stecken blieb und sie nach vorne kippte, dachte sie schon daran, einfach liegen zu bleiben.
Warum nicht?
Der Schnee war eigentlich recht gemütlich. Es wäre zwar nur eine Frage der Zeit, bis ihre Schneehose komplett durchweicht war, aber immerhin konnte sie sich dann mal ausruhen..."Alles okay?", fragte Christina, die nun auch angehalten und sich hingesetzt hatte.
Im Gegensatz zu Lena blockierte sie allerdings nicht die Spur, sondern saß am Rand der Piste. Seufzend brachte Lena sich in eine angenehmere Position. Sie stellte ihr Snowboard auf die Talseite des Abhangs und setzte sich auf.
"Geht schon.", meinte sie.Schweigend hingen die Mädchen ihren Gedanken nach und ließen den Blick schweifen. Es war ein wunderschöner Tag zum Skifahren. Die gesamte letzte Woche hatte es geschneit und die Temperaturen hatten im zweistelligen Minusbereich gelegen, das hatte ihnen jemand an der Rezeption ihres Hotels erzählt, als sie vor drei Tagen angekommen waren.
Gestern und heute aber herrschte sogar leichtes Tauwetter. Die Sonne strahlte warm von einem wolkenlosen Himmel, obwohl es nachts nochmal kräftig geschneit hatte.
Lena musste schmunzeln.
Wahrscheinlich hatten sie die einzige Piste erwischt, die nicht richtig geräumt worden war...Plötzlich hörte sie, wie ihre Freundin schon wieder aufstand.
"Was ist los? Ich will noch nicht weiter.", rief sie ihr zu.
"Nein, komm. Wir fahren woanders lang, das ist viel cooler.", entgegnete die Studentin. Dann begann sie unvermittelt, auf ihrem Snowboard zum Rand der Piste zu hüpfen, wo es zuerst eine kleine Böschung hinunter und dann über eine breite, unebene und tief verschneite Fläche auf einen Wald zuging.Lena zögerte.
War das eine gute Idee?
"Aber da ist doch nur Tiefschnee. "
"Besser als diese verdammten Schneehaufen. "
"Und was ist, wenn da eine Schneelawine runterkommt?", versuchte sie es weiter.
Christina sah sie an, als wäre sie verrückt geworden.
"Spinnst du? Nur weil wir da jetzt einmal langfahren, kommt doch nicht gleich 'ne Lawine!"
Sie zuckte mit den Schultern.
"Ja hast Recht. Ich dachte nur... Ach, egal."
"Also, gehen wir jetzt?", hakte ihre Freundin ungeduldig nach. Es war eindeutig, welche Antwort sie hören wollte.
"Okay.", meinte Lena und folgte ihr.
"Uns passiert schon nichts."
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Short StoryDrei Jugendliche, unterwegs auf den Pisten eines Skigebiets in den Bergen. Zwei Studentinnen, die dem Glauben Vieler zu viel Bedeutung zusprechen. Manchmal ist die Gefahr unsichtbar, doch das Ende naht schneller, als man glaubt... Diese Geschichte...