Kapitel 1

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Kapitel 1

Taian, die Stadt aus Wasser

Taian, die Stadt aus Wasser war nicht wirklich eine Stadt aus Wasser. Sie lag eher am Meer und die Menschen dort lebten von den Handelsketten und dem Fischfang. Kein anderer Ort im näheren Umkreis besaß so viele Schiffe und Handelsruten wie wir.

Am Tag arbeiteten die Menschen hart, verdienten ihr Geld mit Kleinigkeiten und schlugen sich durch das unbarmherzige Leben. In der Nacht traf man sich in den Schenken, trank ein Bier auf die getane Arbeit und sprach über seine Sorgen und Ängste. Es war ein einfaches Leben, ein stilles, wenn man so darüber nachdachte. Kaum jemand von uns hatte die Welt hinter dem Meer zu Gesicht bekommen. Niemand besaß so viel Geld, um sich eine Schiffsfahrt zu leisten. Die Händler oder Kapitäne erzählten nicht viel. Aber unter ihren Augen verbargen sich tiefe Schatten und in ihren Haaren hatte sich die Seeluft festgesetzt. Wir wollten auch nicht weg von hier. Wie sollten wir in einer anderen Welt, fernab vom Wasser überleben?

Ich lief durch die engen Gassen, drückte meine Tasche mit den wenigen Habseligkeiten dicht an meinen Körper. Als Diebin beklaut zu werden, war irgendwie eine Schande. Jenes wollte ich verhindern, darum behielt ich meine Augen offen und musterte die Leute um mich mit Bedacht. Was verbarg sich hinter ihren Gesichtern? Vieles war nur eine Illusion, selbst das netteste Lächeln, konnte ein Trugbild sein.

Heute war Markttag und neben dem Kreischen der Möwen, mischten sich die aufgebrachten Stimmen der Händler. Wenn man Geld verdienen wollte, dann hier. Hier versammelte sich alles, was die Gesellschaft zu bieten hatte. Man sah Damen mit teuren Gewändern, Bettler mit verdreckten Gesichtern, Musiker mit ihren Instrumenten und eben Leute aus meinem Gebiet. Ich war eine einfache Diebin. Meine Hände waren geschickt und blitzschnell. Gelernt hatte ich das schon in jungen Jahren. Man durfte sich nur nie erwischen lassen. Bei kleinen Kindern, welche stahlen, drückten die Leute oft ein Auge zu. Leider war ich inzwischen aus diesem Alter heraus. Die Regierung, verbot solch ein Handwerk ausdrücklich. Nur wie sollte ich sonst überleben? Ich hatte niemals eine anständige Arbeit gelernt. Meine Eltern waren früh gestorben. Aufgewachsen war ich hier, auf den Straßen umgeben von Menschen mit demselben Schicksal wie ich.

Die Stadt aus Wasser wurde von einem König regiert. Ihn selbst bekam man kaum zu Gesicht, höchstens bei großen Feiern. Er war nur eine Marionette, ein Statist in diesem Spiel. Die Regierung war es, die Befehle erteilte. Wer sie waren oder wo sie ich aufhielten, dass wusste niemand. Sie erschufen die Regeln, wachten über alle Städte. Manche sagten, sie seien nicht von dieser Welt, wären übermenschliche Wesen. Warum sonst, bekämen sie alles mit? Ich glaubte diesen Märchen nicht. Die Regierung bestand höchstens aus einem Haufen Menschen, die nichts als Glück in ihre Wiege gelegt bekamen. Sie brauchten sich nicht über Geld, Essen oder Wohlstand zu Sorgen. Sie hatten alles, alles, was wir nicht hatten.

Das Stimmengewirr wurde immer lauter, je näher ich zu den Anlegeplätzen kam. Es war ein außerordentlich warmer Tag. Die Sonne stand hoch am Himmel, kaum eine Wolke war zu sehen. Die Pflastersteine zu meinen Füssen saugten jede Feuchtigkeit auf. Viele Händler hatten ihre Stände in den Schatten der Hausmauern aufgebaut. Ich musste zugeben, mit meinem schwarzen Umhang hatte ich zu dieser Tageszeit mehr als nur warm. Doch er verbarg meine auffällig roten Haare.

Dankbar schloss ich für einen kurzen Moment meine Augen, als die kühle Seeluft meinen Kopf streifte. Der Wind war ein Teil von mir. Im Laufe der Jahre hatte ich gelernt, ihn zu verstehen, ihn zu deuten. Manche mochten das verrückt nennen und doch zweifelte ich keine Sekunde daran, dass der Wind mir Dinge mitteilte.

Ich nahm meine linke Hand von der Tasche und richtete den Blick gerade aus. Die dichten Menschenmengen waren direkt vor mir. Es wurde gehandelt, getauscht, gestritten und gelacht. Niemand schenkte einem kleinen Mädchen wie mir Beachtung. Den Blick noch immer nach vorne geheftet, lief ich zügig durch die Menge. Meine linke Hand verschwand in den Taschen, tauchte kurz ab und dann wieder auf. Ich griff nach kleinen Dingen. Dingen, die nicht auffielen. Manchmal spürte ich Ringe oder Münzen, oft waren es aber auch nur belanglose Gegenstände.

Es war eine kurze Runde, bald stand ich nämlich bei dem Steg, welcher ins Wasser führte. Neben mir lagen die großen Handelsschiffe im Wasser, wiegten sich sanft hin und her zu dem Klang der Wellen. Meine Beute steckte ich in die Tasche. Zusammenrechnen konnte ich später. Solange die Mittagshitze den Leuten den Kopf vernebelte, musste ich handeln.

Ich tat, als ob ich jemanden am anderen Ende des Marktes sah und lief wieder eilig hindurch. Dieses Spiel wiederholte ich noch einige Male. Immer wieder von einer anderen Seite, so dass es eben nicht auffiel. Irgendwann war ich müde, die Hitze saugte all meine Kräfte auf. Der Wind war inzwischen auch nur noch ein leises Lüftchen und bot mir kaum Kühle.

Ich setzte mich auf eine Steintreppe, direkt neben dem Eingang eines Hauses. Müde schlug ich die Kapuze nach hinten und fuhr mir über die Stirn. Mal sehen...

In meiner Tasche befand sich das Diebesgut. Heute war die Ausbeute kläglich. Mehr als einen wertlosen Ring, eine Murmel und einen Stein hatte ich nicht erbeutet. Seufzend lehnte ich mich zurück. Der Tag war noch lange nicht zu Ende.

Ich wollte gerade wieder aufstehen, als auf einmal jemand meinen Arm packte. Etwas unsanft wurde ich auf die Seite gestoßen. Überrascht blickte ich auf.

Kreona, die Welt in der ich mich verlor LESEPROBEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt