Kapitel 2

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Kapitel 2

Die Legende des Buches

»Verzeihung« , sprach ein Mädchen in meinem Alter. Ihre Haare waren kurz, beinahe knabenhaft und in ihren Augen spiegelte sich völlige Gelassenheit. Irgendetwas an ihr war anders, war merkwürdig.

Sie nickte noch einmal, ehe sie ihren Weg fortsetzte. Ich holte tief Luft und blickte ihr einen Augenblick lange nach. Wahrscheinlich war auch sie auf der Suche nach ein paar Kostbarkeiten.

So schnell wie dieses Mädchen aufgetaucht war, so schnell war sie auch wieder aus meinen Gedanken verschwunden. Ich hatte besseres zu tun. Immerhin lag noch ein langer Tag vor mir.

-

Es war dunkel, die Straßen leer, ein paar vereinzelte Fackeln beleuchteten den Weg vor mir. Nur das Rauschen des Wassers, durchbrach die Stille der Nacht. Ich zog die Kapuze tiefer in mein Gesicht, während ich zielstrebig meinen Weg fortsetzte. Das Gasthaus zum "roten Pfeil" befand sich gleich neben dem Marktplatz und der kleinen Kapelle. Es war das einzige Haus, in welchem noch Licht brannte und Geräusche erklangen. Die Türen waren geöffnet, Musik drang aus dem Inneren. Es wurde getrunken, gelacht und da und dort gestritten.

Ich mochte diese Abende. Abende, an denen die Leute für einen kurzen Moment ihren Kummer vergaßen.

„Ein paar milde Gaben, ein paar milde Gaben. Hätte die Dame wohl ein paar milde Gaben?", krächzte eine Stimme unmittelbar in meiner Nähe.

Ich lächelte, zog meine Kapuze ein wenig zurück und hob kurz die Hand. „Bill, irgendwann holst du dir eine Erkältung", sprach ich und nickte dem alten Mann zu. Bill saß auf den Stufen zu dem Gasthaus, in der linken Hand eine Flasche Wein und in der anderen eine ausgeleierte Mütze. Er lächelte zurück und entblößte dabei eine Reihe faulender Zähne. „Die rote Diebin, sieh an, sieh an." Er verneigte sich spöttisch und wandte dann seinen Kopf wieder in eine andere Richtung. Er war einer dieser Menschen, die man hier öfters traf. Bill war ein Bettler. Seit ich klein war, lebte er auf diesen verstaubten Straßen. Wie durch ein Wunder hatte er, trotz seines losen Mundwerkes, immer genügend zu essen und zu trinken.

Ich betrat das Haus, drängte mich an den Menschen vorbei. Eine bedrückende Hitze schlug mir entgegen und sogleich vernahm ich den Geruch von Alkohol. Seufzend befreite ich mich aus meinem Mantel, suchte mir einen der hintersten Plätze in dem Gasthaus und wartete.

Wenn man als Diebin aufwuchs, dann lernte man sein Handwerk vor allem in diesen Kneippen.

Wie oft hatte ich hier gesessen, hatte die Menschen beobachtet und versucht ihre Gedanken zu lesen. Das war das faszinierende an Lebewesen. Sobald sie tranken oder sich unbeobachtet fühlten, dann benahmen sie sich anders. Sie verhielten sich dann so, wie sie wirklich waren.

Während ich mich zurück lehnte und mein Blick die Leute streifte, dachte ich darüber nach. Auf der Tanzfläche waren die Menschen, die entweder zu viel getrunken hatten oder die, die Aufmerksamkeit wollten. Diese Leute konnte man mit Worten manipulieren. Man konnte ihnen schmeicheln, sie ablenken und ohne dass sie es merkten, waren sie ein paar Münzen ärmer.

Weiter hinten in den Ecken traf man die Spieler. Nichts war ihnen lieber, als ein Handel. Dabei ging es ihnen nur um den Sieg. Manche von ihnen hatten schon ihre gesamte Familie samt Haus und Grund verspielt und dennoch saßen sie jeden Abend hier und stritten um den Gewinn. Auch sie waren unvorsichtig, dachten nicht nach. Nur der Sieg strebte vor ihren Augen, alles andere schien belanglos.

Dann hätten wir noch die Stillen. Diese saßen meistens bei dem Wirt, bestellten ihren Alkohol und wollten ihre Ruhe. Sie waren nicht hier wegen Gesellschaft, sie wollten bloß nachdenken. Diese Menschen waren gefährlich. Diese Menschen waren wie ich. Sie waren still, wirkten kleinlich und doch waren sie unberechenbar. Was verbarg sich hinter ihren Masken?

Kreona, die Welt in der ich mich verlor LESEPROBEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt