5. Arwid. Weshalb man nicht alle retten kann.

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Ich war Teil der kleinen Ansammlung an menschlichen Gestalten, die gerade weit weg genug von der Hütte standen, um halbwegs in Sicherheit zu sein. Dachs hatte uns angewiesen, hier zu warten, nachdem wir aus dem Haus geflohen waren, weil wir fast erstickt wären. Annetta hatten wir nicht gefunden.

Jetzt gewann unser Alpha Abstand von der Wölfin, die mit ihm aus dem Fenster gesprungen war. Ich fragte mich, ob er verärgert war, da sie Younes mit in das in Flammen stehende Haus genommen hatte, nur weil sie wahrscheinlich gedacht hatte, alles allein machen zu müssen.

Als er zu uns trat, schaute er uns kurz an. Pollys Haare, sonst fast weiß, hatten einen grauen Rußschleier und bedeckten zerzaust das weinende Gesicht. Nolan stand hinter ihr und umarmte sie, aber auch seine Augen waren gereizt von Rauch und Tränen. Elera war ihm gefolgt, schien es aber nicht in Erwägung zu ziehen, sich zurück zu verwandeln. In ihren Augen mischte sich die orangerote Spiegelung des Feuers mit dem kalten Blau ihrer Iris und ergab so einen violett tanzenden Strudel, als sie abermals zum Haus zurückblickte.

Nervös raufte ich mir die Haare und versuchte mich zu beruhigen, indem ich die Hände in die Hosentasche steckte. Ich fragte mich, ob Dachs merkte, dass auch ich nicht so gefasst war wie sonst. Zwar kannte ich ihn kaum, glaubte aber, dass ihn normalerweise sein männliches Ego daran hinderte, Gefühle zu zeigen. Denn genauso war es bei mir. Unruhig verschränkte ich die Arme vor der Brust.

Das Kleine hatte Elera auf den Boden gesetzt, aber es blieb genau an der Stelle und ließ wie ein begossener Pudel das Köpfchen hängen. Es wirkte so traurig, als würde es vollkommen begreifen was passiert war. Wir hatten nicht nur die Waldhütte verloren, den einzigen Rückzugsort vor dem Menschsein, neben dem Wolfspelz. Sondern auch eines unserer liebenswürdigsten Rudelmitglieder.

Wir fühlten uns, als würden wir vor einem riesigen Kamin warten, der all unsere Erinnerungen und unsere Sicherheit in Wärme umwandelte, die uns ein letztes Mal vor der Kälte der Welt zu beschützen versuchte.

„Irgendjemand hat es in Brand gesetzt. Das war kein Unfall. Wir hatten Feuermelder. Selbst ein Holzhaus hätte nie so schnell abbrennen können, ohne dass da jemand nach hilft.", versuchte Nolan einen Schuldigen zu finden. Der Junge ließ Polly los und diese kniete sich schluchzend auf den Boden um Younes an sich zu kuscheln.

„Der Einzelgänger?", fragte ich abwesend. Auch ich brauchte Rache, aber da war noch etwas.

Ein Handy klingelte, die Melodie abstrus und unwirklich. Polly zog es aus ihrer Hosentasche und blickte durch die Tränen auf das Display. Ungläubig drückte sie darauf herum, so dass der Lautsprecher an war als sie abnahm.

„Hey Polly!", erklang eine freundliche Frauenstimme, die uns alle die Luft anhalten ließ. Polly zog als Antwort die Nase hoch.

„Du hast mich angerufen, aber irgendwie hat es schon wieder aufgehört zu klingeln als ich rangehen wollte. Was war denn, sollte ich dir was mitbringen vom Einkaufen?", fragte Annetta am anderen Ende der Leitung.

Polly lachte ihr Kinderlachen und für einen Moment lang versuchten wir alle zu begreifen, dass Annetta gar nicht mehr im Haus gewesen war. Dann beugte sich Nolan runter und sagte ins Telefon: „Mir bitte. Ich hätte gerne eine Tüte Marshmallows bitte."

„Alles klar, bis gleich!", meinte Annetta fröhlich und legte auf.

Jetzt lachte auch Dachs ein seltenes, ungewohntes Lachen und schüttelte den Kopf. Polly schaute Nolan skeptisch an: „Marshmallows??"

Jetzt lachten wir alle.

Alle außer die blauschwarze Wölfin, die sich unbemerkt in den dichten Wald gerettet hatte, nachdem der violette Strudel in ihren Augen wieder zu kalter Emotionslosigkeit geworden war.

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