6. Arwid. Weshalb das Hier uns müde macht.

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Nachdem wir uns etwas beruhigt hatten und sicher gegangen waren, dass nur die Waldhütte langsam abbrannte ohne mehr Schaden anzurichten, waren wir mit Annetta in die Stadt gefahren. In Dachs Wohnung berieten nun alle zusammen, was wir jetzt tun sollten. Elera hatte sich auch irgendwann zu uns gesellt und keinen Kommentar dazu hervorgebracht, wo sie gewesen war.

Während meiner Zeit im Rudel hatte ich erfahren, dass sie, Dachs und Annetta eine zusätzliche, eigene Wohnung besaßen. In Dachs' Wohnung hatte Nolan ein Zimmer, und da in jedem Raum die Decken so niedrig und die Einrichtungen so dunkel waren, nannten sie sie Dachsbau. Und natürlich weil sie es lustig fanden, weil Dachs Dachs hieß. Bestimmt war Nolan es gewesen, der mal auf die Idee gekommen war, es so zu nennen. 

Wir saßen im Wohnzimmer im Kreis und waren gerade dabei, eine Diskussion zu führen.

„Die stecken doch alle unter einer Decke. Bestimmt wollten die uns ausräuchern wie Kanickel. Wisst ihr? Die vertreibt man doch aus ihrer Höhle, um sie am anderen Ende zu fangen.", sagte Polly und hustete.

Elera, die im kompletten Gegenteil zu Nolan stets von Pollys Verschwörungstheorien genervt war, verschränkte die Arme und schaute zur Seite. Sie sagte: „Sie wollen keine Aufmerksamkeit, zumindest noch nicht. Glaube kaum, dass ein Leuchtfeuer in ihr Schema passt."

Mit ruhigem Blick musterte ich Elera. Polly und Nolan hatten mir erzählt, dass niemand es hätte riskieren müssen, Annetta zu suchen, wenn Elera nicht das Telefon weg geschlagen hätte. Wir hätten wissen können, dass sich niemand mehr im Haus befand. Bestimmt war Elera immer noch sauer auf Polly, weil diese Recht gehabt hatte. 

„Es war tatsächlich jemand im Haus.", warf ich ein. Ich besaß die Fähigkeit dazu, so etwas zu spüren. „Ich dachte anfangs, es wäre Annetta. Aber wahrscheinlich war es Elera oder Polly. Oder jemand anderes, ich kann es nicht genau sagen.", fuhr ich fort und spielte mit dem Stoff des Sofas, auf dem wir saßen. Werwolfsfähigkeiten waren toll, aber unterschiedlich stark ausgeprägt und die anderen wussten, dass man sich nicht immer auf sie verlassen konnte.

„Oder ein Brandstifter.", sagte Polly.

Elera rieb sich die Schläfe.

„Wir sollten hier weg.", sagte Nolan. Wir schauten ihn verwirrt an. Ich hatte keine Ahnung, wie er jetzt darauf kam, denn sein Gedanke schien vollkommen zusammenhangslos zu sein. „Was hält uns noch hier? Wenn sie uns jagen, werden sie uns früher oder später eh zu packen bekommen. Wir sind ein viel zu kleines Rudel, um einem unbekannten Feind die Stirn zu bieten.", erklärte er sich.

„Du meinst wohl viel zu armselig.", schnaubte Elera. Nolan formte mit den Händen etwas Rundes. „Vielleicht können wir uns mit einem anderen Rudel zusammenschließen. Mehr darüber herausfinden, was die Unbekannten wollen und wer sie eigentlich sind."

Polly und Annetta schienen nicht sehr begeistert von seinem Einfall, sie beide gewöhnten sich anscheinend nicht gerne an Neues. Das Tambolinrudel lebte schon lange Zeit im Echowald, in dem die Holzhütte gestanden hatte. Ich hingegen hatte mich in den letzten Jahren stets schnell an neue Umgebungen gewöhnt. Bedächtig strich ich über meine Bartstoppeln und meinte: „Eventuell kenne ich ein Rudel, welches in Frage kommt. Ich habe mich über einige informiert, bevor ich euch gefunden habe."

"Er klingt wie ein Hacker oder ein Geheimagent aus einem Actionfilm, bei dem „informiert" heißt, dass er einfach alles über einen weiß.", flüsterte Nolan Polly zu, aber natürlich hörten wir es alle. Ich musste grinsen und Annetta ebenfalls. Trotzdem sprach sie ihre Einwände gegen seinen Vorschlag aus: „Eine neue Umgebung bedeutet nur noch mehr Unsicherheit für uns. Und wenn wir dieses Territorium aufgeben, kriegen wir es bestimmt nicht mehr zurück, sollte es jemand anderes besetzen."

Nolan schüttelte den Kopf und drehte eine Hand so, dass die Handfläche nach oben zeigte. „Oder wir kommen mit Verstärkung wieder zurück. Der Echowald ist ein guter Platz für uns. Aber wenn wir...".

„Wir versuchen es.", unterbrach ihn Dachs heiser. Seine Entscheidungen waren stets unvorhersehbar und unumstößlich. Ich glaubte nicht, dass er ihn aus Überlegenheit oder Unhöflichkeit unterbrach. Das war einfach seine Art, zu Wort zu kommen. So stark er auch als Wolf war, von Zwischenmenschlichem hatte er wenig Ahnung, weshalb er oft als verschroben galt, was jedes Rudelmitglied auf seine Art war. Sie kamen aber gut mit dem Alpha aus und mochten ihn sehr gerne. Selbst Elera, obwohl ich manchmal bezweifelte, dass sie überhaupt irgendjemanden mochte.

„Wir haben bessere Chancen, wenn wir abhauen. Aber in menschlicher Gestalt. Als Wolf ist Younes noch nicht schnell genug, und wenn wir einen Wagen nehmen kommen wir besser voran."

Als Dachs das so einfach sagte, war niemandem von ihnen bewusst, was es bedeutete seine Heimat zu verlassen. Sie nahmen es hin und waren vielleicht ein bisschen aufgeregt, aber sie dachten nicht genug darüber nach.

„Wir passen nur nicht alle ins Auto.", warf ich ein, nachdem ich mir sicher war, dass Dachs ausgesprochen hatte. Ich war derjenige, der einen sechsten Autositz in Anspruch nahm. „Und uns fehlt Geld...", murmelte Polly.

„Wir verkaufen alles, was wir hier haben. Den Dachsbau,..." Ich bemerkte, wie Nolan lächelte. Er fand es lustig zu hören, dass sogar Dachs diesen Ausdruck benutzte."...den Wagen, vielleicht lässt sich in der Hütte noch irgendwas Brauchbares finden."  Alle zweifelten an letzterem, aber Dachs machte uns Mut.

„Ruht euch aus, wir fangen Morgen an alles vorzubereiten. Sobald es geht machen wir uns auf den Weg. Arwid, du hilfst mir dabei herauszufinden, wo es hingeht." Mehr sagte Dachs nicht dazu, wie immer hielt er seine Ausführungen knapp. Insgeheim hatte ich schon jetzt einen Plan davon, wo wir hin könnten.

„Wir fangen noch mal neu an.", sagte Nolan enthusiastisch, nachdem es einige Zeit lang still gewesen war. Elera schaute ihn an, als wäre er schwachsinnig. Annetta so, als würde sie ihn am liebsten umarmen. Da Dachs alles gesagt zu haben schien, verteilten wir uns dann im Dachsbau uns erholten uns von dem anstrengenden Tag.

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