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Das klackern ihrer Absätze auf den Gängen, die so unnatürlich weiß schienen, beunruhigte sie. Es gab ihr ein seltsames, mulmiges Gefühl. Jasmin riss sich mit aller Kraft zusammen.

Mit geradem Rücken, ihr Herz für das gegenüber, bestimmt durch die Kleiderordnung, offen gelegt, schritt sie auf die Tür am Ende des Ganges zu. Man hatte ihr gesagt, dass alles geregelt war und sie jemand alt eingefleischtes als Studienobjekt hatte. Jemand interessantes, schließlich sollte ihre Reihe ein Highlight in der bedeutendsten Zeitung weltweit werden.

Sie drückte die Klinke herunter. Die Tür klickte, und schwang nach innen auf. Ein heller Raum, ein Tisch, zwei bequeme Stühle. Auf einem saß er.

Sie trat ein, schloss die Tür und ging auf ihn zu. Sie hatte sich fest vorgenommen, ihn normal zu behandeln, keine Angst zu haben. Sie wollte das unbedingt, aber er war so anders als alles, was sie jemals gesehen hatte, und sie konnte gar nicht anders als sich zu fürchten.

„Jasmin Weiß, ich freue mich dass Sie diesem Interview zugestimmt haben.", sagte sie mit fester, ruhiger Stimme, gab ihm die Hand.

„Tom. Hallo."

Sie riss sich zusammen, um nicht bei der Berührung zu zucken, die seine schwarz-rot gefärbte Hand sehr motiviert ausführte. Sie spürte seine Genugtuung, als er ihre Scheu wahrnahm.

„Ich sehe wenig blau bei ihnen." Diese Anspielung ging stark unter die Gürtellinie, und seine ironische, kratzige Stimme machte das nicht besser.

Sie setzte sich, und kramte in ihrer Tasche.

Als er plötzlich laut zu lachen begann, zuckte sie zusammen.

„Sehen Sie mich doch mal richtig an, Jasmin.", sagte er sanft. Sie hörte das Lächeln aus seiner Stimme heraus. Vollkommen irritiert blickte sie hoch, und sah ihn sich zum ersten Mal wirklich an. Sie hatte ohne es zu merken immer an ihm vorbei geschaut.

Harte, kantige Gesichtszüge, die freundlich und zufrieden wirken. Sanfte Augen. Und der ganze Körper war gefärbt.

Sie konnte kaum sagen, welche Farbe überwog, nur das eine am wenigsten vertreten war – blau, die Wollust. Als ihr auffiel, wie sehr ihr ihr Gesicht entglitten war, räusperte sie sich und fragte dann: „Ich verstehe nicht."

Er lachte wieder, schlug die Hände vors Gesicht und blickte durch seine Finger. „Ich meinte das als Scherz."

Er lenkte das Gespräch. Er hatte schon das Ruder über ihr Interview übernommen, bevor sie überhaupt etwas gesagt hatte. Sie fragte sich warum.

War es diese spitzbubenhafte Fröhlichkeit, das enorme Selbstbewusstsein, oder noch etwas anderes? Er saß dort, angekettet, mit freiem Oberkörper, die Hässlichkeit seines Herzens zur Schau stellend, und grinste.

Dann sah sie etwas neben seinem Stuhl liegen.

Er hatte das Hemd ausgezogen, damit sie das ganze Ausmaß sah.

Das ständige, bunte Spiel auf seiner Haut faszinierte sie. Es war, als würde sein Herz leben, sich ständig verändern. „Beginnen wir mit den Fragen. Es sind zehn. Also, wie geht es Ihnen in dieser Anstalt?"

„Sehr gut, wie Sie ja sehen können."

Sie sah hoch, blickte in seine Augen. Er sah nicht aus, als sollte dass ein Scherz sein, und auch der Tonfall klang nicht danach. Dennoch fiel es ihr schwer, dies zu glauben.

Jasmin räusperte sich. „Wie lange sind Sie schon hier?"

„Sieben Jahre. Ich bin einer von denen, die nicht vorhaben sich bekehren zu lassen." Er lachte wieder, und warf dabei seinen Kopf in den Nacken. Amüsiert sah er sie nach dem kurzen Ausbruch an

Sie begann sich zu fragen, wie wahnsinnig man werden konnte, und was diesem Mann passiert sein musste. Sie hatte selten jemanden so viel lachen hören.

„Wie kam es dazu, dass Sie hier her kamen?"

Er sah nachdenklich zur Seite, und ließ sich mit der Antwort zeit. Er begann wieder: „Ich war immer sehr konform. Sehr ordentlich, und wie Sie es nannten, ausgeglichen. Meine Verteilung entsprach der ihren. Aber den einen Tag habe ich mich beim Sport verletzt, eine Fleischwunde. Es tat zu weh das Armband zu tragen, beide meiner Arme waren aufgeschürft. Die Schwestern im Krankenhaus bestanden natürlich darauf, dass ich es über den Verbänden trug, aber die Schmerzen waren zu groß. Also trug ich es nicht. Und es erleichterte mich."

Er hörte kurz auf zu sprechen. Dabei sah er auf die Stelle an ihrem Arm, die gerötet war von ihrem Wutausbruch gestern. Sie hielt ihre Hand davor.

„Als ich es wieder versuchte zu tragen am nächsten Tag, ging es immer noch nicht, und voller Angst ließ ich es wieder ab. Wie sollte ich mich denn so selbst kontrollieren? Ich dachte an nichts anderes mehr. Ich bekam mehr und mehr Angst, verließ mein Haus nicht mehr. Jede Veränderung erschütterte mich. Doch gleichzeitig wollte ich es nicht mehr tragen."

Er sah sie an. Ja, sie war Journalistin. Und zwar wegen ihrer unstillbaren Neugierde. Sie wollte mehr erfahren.

„Es war faszinierend. Ich spielte damit, selber die Kontrolle zu halten. Mein Herz klein zu halten. Ich begann, ein Feuer zu entdecken, was in mir loderte. Ich fühlte mich besser, freier. Irgendwann ging ich wieder arbeiten, und zog immer lange Pullis an. Das, was man von mir sah, war in Ordnung. Ich sagte, es läge an den Narben an meinen Armen, dass ich immer solche Pullis trug.

Und den einen Tag beleidigte mich ein Kollege. Er sagte, ich sei immer eitel gewesen, und nun entstellt. Und dann gab es kein Halten. Kein Armband, was einem den gesamten Arm versengen konnte im Notfall. Alles brach aus mir heraus."

Er nickte.

Sie schluckte.

„Haben sie das Gefühl, zu recht hier zu sein?"

„Was sind das denn für Fragen?", motzte er plötzlich. Sein Körper wurde rot. Es war eine Unmenge an rot, und sie begann zu zittern. Angst lähmte sie. So viel. So viel Wut.

Sofort ebbte das wieder ab, er sah besorgt aus.

„Tut mit leid, ich vergaß wie wenig Sie es gewöhnt sind Emotionen zu sehen."

Sie biss ihre Zähne zusammen und zischte: „Ich bin Emotionen gewöhnt, aber keinen Wahnsinn!"

„Wir sind hier fertig", brummte er. Dann hob er sein Hemd auf und zog es an. Es war kaum vorhanden, da es statt des normalen Kreises einen mindestens doppelt so großen auf der Brust hatte, und keine Ärmel.

„Ich habe gesagt, zehn Fragen." Jasmins Stimme war tiefer als sie es gewohnt war von sich, und sehr aggressiv. Sie beugte sich vor, und zeigte ihm ihr Herz. Rot und Violett. Sie würde sich nicht unterkriegen lassen.

Der Rest der Interviews verlief normal. So, wie es sein sollte.

Als sie ging, verabschiedete sie sich nicht.

Risse im HerzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt